Milan kam in den nächsten zwei Tagen nicht zur Schule, allerdings hatten wir uns Nachrichten geschrieben und ich wusste zumindest, dass es ihm wieder einigermaßen gut ging. Eigentlich wollte er auch wieder in den Unterricht, jedoch machte ihm seine Mutter einen Strich durch die Rechnung und drohte seine Zimmertüre zuzunageln, falls er aus dem Bett aufstehen sollte. Begeistert war Bambi davon überhaupt nicht.
Irgendwie hatt er es aber geschafft seine Mutter zu überreden, dass ich am Mittwoch vorbeikommen durfte, damit wir mit der Nachhilfe weitermachen konnten. Immerhin hatte ich nur noch diese und nächste Woche Zeit, denn am Montag in zwei Wochen würde die Klausur stattfinden.
"Was grinst du denn so dein Handy an? Und wehe du schaust dir heiße Typen an und zeigst sie mir nicht!" Empört verschränkte Ana ihre Arme vor dem schwarzen Top und starrte mich über den Tisch des Eiscafes hinweg an.
Ich schüttelte lächelnd den Kopf uns legte mein Handy auf den Tisch." Ich habe nachher noch eine Physikstunde."
"So?", sie hob grinsend eine Augenbraue, "Und seit wann freust du dich so über Physik? Oder hat das eher etwas mit deinem Nachhilfelehrer zu tun?"
Ich verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf. Seit Montag musste ich mir jetzt immer wieder diese Anspielungen anhören und das obwohl ich nichts mehr wollte als gar nicht über das nachzudenken, was auch immer mein Körper fühlte wenn Milan in der Nähe war. "Es hat damit zu tun, dass es nur noch knapp zwei Wochen bis zu dieser blöden Klausur sind und ich über jede Hilfe glücklich bin, die ich bekomme. Und sonst nichts." Ich unterstrich meine Aussage mit einem mahnenden Blick.
"Klar", sagte Ana nicht ganz so überzeugend, wurde aber von dem Eisdielenbesitzer unterbrochen, der mir meinen Eisbecher brachte. Ana hatte nichts bestellt, sie meinte sie hatte keinen Hunger. Allerdings bemerkte ich den fast schon sehnsüchtigen Blick, mit dem sie meinen Schokobecher anstarrte.
"Sicher, dass du nichts willst?", fragte ich amüsiert und wartete nur darauf, dass sie anfing zu sabbern. Entschlossen schüttelte sie ihren Kopf und ich zuckte mit den Schultern. Eine Zeit lang war es still zwischen uns und ich genoss nur das Eis und die warmen Sonnenstrahlen in meinem Gesicht. Es war ein schöner Tag mit einer sanften Brise, die hin und wieder durch meine Haare wehte und diese total verwüstete.
"Daniel hat mich gefragt ob ich seine Freundin sein will", platzte es unvorhergesehen aus Ana heraus und ich verschluckte mich an einem Schokostückchen. Hustend starrte ich sie an, während die Russin mich ratlos ansah und auf ihrem Stuhl herumrutschte.
"Wa-Wann?", hustete ich und versuchte angestrengt mich wieder zu beruhigen. Meine Güte, musste sie diese Information denn auch so plötzlich raushauen?
"Vorgestern", nuschelte sie.
"Und wieso wirkst du so, als hätte er dir gesagt er würde nichts von dir wollen? Es ist doch genial wenn er mit dir zusammen sein will." Ana sah wirklich aus als wäre sie vollkommen verzweifelt und am Boden zerstört.
Sie seufzte schwer und spielte mit ihren Fingern. "Eigentlich schon."
"Und uneigentlich?" Ich zog eine Augenbraue nach oben und verstand nicht, um was sie sich Gedanken machte. "Dass er dich als seine feste Freundin will zeigt doch, dass du sicherlich kein Zeitvertreib für ihn bist."
"Das ist es nicht", murmelte sie und fuhr sich durch ihre blonden Haare. Ihre blauen Augen wirkten unsicher und sie war angespannt, fast als hätte sie Angst. Aber vor was denn?
"Was dann Ana? Ich dachte du magst ihn?"
"Verdammt tu ich doch auch, und wie. Aber was ist, wenn er es sich dann morgen schon anders überlegt? Wir wissen beide, dass eine erste Liebe so gut wie nie bestehen bleibt und-"
Kopfschüttelnd unterbrach ich sie. "Warte, du hast also Angst davor, dass Daniel dich irgendwann eventuell verlassen könnte?", hakte ich nach und die Russin nickte zögerlich. "Dann willst du also alleine sterben? Soll ich dir schon mal fünfzig Katzen holen, die dich dann fressen wenn du mit neunzig tot umfällst?"
"Ey!", rief sie empört und ich warf nur die Hände in die Luft.
"Mensch Ana, natürlich kannst du nicht wissen, ob Daniel dich nach einer Woche, einem Jahr oder nie verlassen wird, aber das ist doch kein Grund dafür es nicht einmal zu versuchen! Immerhin liebst du ihn doch, oder?"
"Na ja, Liebe ist so ein starkes Wort", murmelte sie mit rosa Wangen und fummelte an der weißen Tischdecke herum. Als ich streng die Augenbraue nach oben zog piepste sie jedoch ein leises "Ja, tu ich."
Zufrieden nickte ich. "Na also, wieso machst du es dir dann selbst schwer und stößt ihn von dir? Denk einfach nicht zu sehr an das, was kommen könnte und viel mehr an das, was gerade im Moment passiert." Ich steckte mir den letzte Löffel meines Eises in den Mund und lobte mich selbst für meinen Rat. Denn jetzt mal im Ernst, Daniel und Ana würden ein super Paar abgeben.
Doch trotzdem waren noch nicht alle Zweifel aus Anas Augen entfernt und ich wusste ehrlich nicht, worüber sie noch nachdachte. Dann aber wurde ihr Gesicht endlich wieder entschlossen und stark, sie sprang von ihrem Stuhl auf und sah auf ihre Uhr. "Ich muss was klären", sagte sie zu mir und umarmte mich hastig, bevor sie in Richtung Bushaltestelle davon lief.
"Er ist im Boxclub!", rief ich ihr zur Sicherheit lächelnd hinterher und bezahlte dann mein Eis, um mich anschließend selbst auf den Weg zu meinem nächsten Ziel zu machen. Die Physik wartete auf mich.
Etwa zwanzig Minuten später stand ich erneut vor der Haustür der Walters und wartete darauf, dass mir geöffnet wurde. Von drinnen hörte ich laute Stimmen, die mich verwirrt die Stirn runzeln ließen, denn eigentlich hatte ich immer den Eindruck, dass es hier ziemlich harmonisch zuging.
"Verdammt nochmal ich bin alt genug um selbst zu wissen, was gut für mich ist okay?! Also hör endlich auf mich andauernd kontrollieren zu wollen!" Ich hatte Milans Stimme noch nie so sauer und laut erlebt und war wirklich sprachlos.
"Aber ich will doch nur, dass es dir gut geht!" Marys Stimme klang traurig und verzweifelt. "Denkst du ich sehe nicht, dass es wieder schlimmer wird? Das war das letzte Mal auch so-"
"Ich weiß wie es das letzte Mal war, ich war dabei!", schrie Milan jetzt noch lauter und seine tiefe Stimme bebte, "Aber ich bin kein Kleinkind mehr, also hör auf mich wie eines zu behandeln!"
Weil das ganze so langsam ausartete klingelte ich erneut, nur diesmal drückte ich den Knopf etwas länger. Wütend klingende Schritte näherten sich der Tür, bevor diese mit Wucht aufgerissen wurde und ich automatisch einen Schritt zurück ging. Milan stand mir mit dunklen Augen gegenüber.
"I-Ich kann später wiederkommen", bot ich kleinlaut an und wollte schon umdrehen, als er den Kopf schüttelte und durch seine Haare fuhr, die so verdammt weich waren.
"Nein, du kommst gerade richtig", meinte er etwas ruhiger doch noch immer aufgebracht und versuchte mich anzulächeln. Es wurde nur eine Grimasse. "Komm mit." Milan schnappte sich mein Handgelenk und zog mich hinter sich her nach oben, sodass ich Mary nur knapp zuwinken konnte als wir an der Küche vorbei kamen. Sie sah wirklich bestürzt aus, doch ich konnte sie nicht näher betrachten da wir schon halb die Treppe oben waren.
"Ist alles okay?", fragte ich vorsichtig als die Tür hinter uns ins Schloss fiel und Milan frustriert seufzte. Er sah um einiges frischer aus als am Montag, das war mir schon an der Tür aufgefallen.
Er winkte ab und deutete auf den Schreibtisch, vor den ich mich setzte. "Nur ein kleiner Streit, sonst nichts. Manchmal denkt meine Mum eben, ich wäre noch zwei Jahre alt und sie müsste bei jedem Schritt den ich gehe aufpassen, das nervt enorm."
"Sei doch froh, dass deiner Mutter dein Wohl am Herzen liegt", sagte ich ruhig und packte meine Sachen aus meiner Schultasche. "Es ist schlimmer, wenn sie sich überhaupt nicht für dich interessiert."
Ich hörte, dass Milan sich auf seinem Bett niederließ, hatte aber nicht erwartete, dass er den Stuhl mitsamt meiner Wenigkeit in seine Richtung drehen würde. Intensiv sah er in meine Augen und da war es wieder, dieses schwummrige Gefühl in meinem Bauch, als würde ich krank werden. "Hört sich an, als sprichst du aus Erfahrung", meinte er leise und ohne seinen Blick abzuwenden.
Leicht lächelte ich, auch wenn es eher bedrückt wirkte und zuckte mit den Schultern. "Möglich. Aber lass uns vielleicht später darüber reden, immerhin muss ich bald eine Physikklausur bestehen."
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Grand Mal - Break your chains
Teen FictionBeendet ✔️ Ella hat genug von dem neuen Freund ihrer Mutter und als sie auch noch von dem Internat auf das sie ging verwiesen wird, beschließt sie zu ihrem Vater in eine idyllische Vorstadt zu ziehen. Endlich könnte sie ein ruhiges Leben leben, weit...