One

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Müde lehnte ich meinen Kopf gegen die kalte Scheibe des Fensters und beobachtete die Sonne dabei, wie sie langsam hinter den Dächern der kleinen Vorstadthäuschen verschwand, die sich aneinanderreihten wie große Soldaten. Die Vorgärten waren allesamt penibel gepflegt und schrien schon förmlich das Wort spießig, was mich innerlich leise seufzen ließ. Immer wenn ich in den Ferien hierher gekommen war hatte ich das Gefühl, nicht mehr in diese Stadt zu gehören, die dem Klischee der familienfreundlichen und friedlichen Idylle mehr als nur entsprach. Aber daran müsste ich mich wohl nun gewöhnen.

Der Taxifahrer spähte durch den Rückspiegel in meine Richtung und ich konnte nur hoffen, dass er kurz vor meinem Ziel nicht auch noch mit Smalltalk begann, denn nach der stundenlangen Reise wollte ich mich nicht mit einem Fremden über das Wetter unterhalten. Eigentlich wollte ich gar nicht reden und lieber versuchen mich an den Gedanken zu gewöhnen, nun für immer hier zu leben. Mein Hintern zwickte von dem langen sitzen und verzweifelt versuchte ich mich bequemer zu positionieren, was mir aber nicht wirklich gelang. Und gerade als ich meinte es nicht mehr aushalten zu können und kurz davor war einfach aus dem fahrenden Wagen zu springen, stoppte das gelbe Auto und der ältere Mann drehte sich freundlich lächelnd zu mir um.

"Wir sind da." Innerlich verdrehte ich die Augen über diese offensichtliche Aussage, doch äußerlich lächelte ich ihn an und löste den Gurt um meinen Oberkörper.

Das kleine Haus in dem mein Vater lebte unterschied sich nicht wirklich von allen anderen in dieser Stadt. Es war in der gleichen Farbe gestrichen, das Dach hatte die selbe Form wie alle anderen und auch der Vorgarten war recht gepflegt, was ich bei meinem Dad nicht vermutet hätte. Einzig und allein der winzige Wald, der sich hinter dem Haus erstreckte und so die Vorstadt von der restlichen Welt abgrenzte, bot ein anderes Bild als der Anblick auf die anderen Häuschen.

Nachdem der nette Taxifahrer mir noch mit meinen Koffern bis an die rot lackierte Haustüre geholfen hatte, bedankte ich mich und drückte ihm das Geld in die Hand, welches meine Mutter mir für diesen Zweck freundlicherweise mitgegeben hatte. Kurz darauf fuhr der Wagen los und ich war allein. Mein Herz pochte vor Aufregung, ich hatte meinen Vater seit einem Jahr nicht mehr gesehen und immerhin waren die Umstände meines Umzuges zu ihm auch nicht gerade wahnsinnig erfreulich.

Gerade als ich klingeln wollte, bemerkte ich den kleinen Notizzettel, der neben dem Klingelschild am Briefkasten haftete. Mit zusammengezogenen Augenbrauen rupfte ich ihn ab und versuchte die geschwungene Schrift meines Vaters zu entziffern.

Hallo Liebes,
ich hoffe, du hast deinen Weg gut hierher gefunden. Leider muss ich noch etwas länger im Club bleiben und kann dich daher nicht begrüßen. Der Schlüssel liegt unter der Topfpflanze, mach' es dir doch schon einmal gemütlich.
Hab dich lieb, bis nachher.

Schmunzelnd blickte ich auf den schwarzen Topf mit den ziemlich braunen Stängeln darin, die wohl einmal eine Pflanze waren. Ich nahm es meinem Vater nicht übel, dass er noch nicht da war, immerhin war der Club sein Leben und außerdem würde sich dann das unangenehme Gespräch, dass wir noch führen müssten, nach hinten verschieben. Also drehte ich etwas beruhigtet den Schlüssel im Schloss herum und trat hinein in das kleine Haus; in mein neues Zuhause.

Der Flur war ziemlich schmal und mündete rechts und links in je ein Zimmer, einmal in die Küche (in der nur gekocht wurde wenn der Lieferservice gerade nicht zu erreichen war) und rechts in das mickrige aber wirklich gemütliche Wohnzimmer, in dem eine braune Couch stand, die schon mehr Jahre miterlebt hatte als ich. Mit den schweren Koffern im Schlepptau machte ich mich auf den Weg in mein Zimmer, das direkt neben dem Badezimmer im ersten Stock lag und wäre beinahe zusammen mit meinem Koffer polternd die enge Treppe hinuntergestürzt.

Mein Zimmer hatte sich logischerweise nicht verändert in dem Jahr, in dem ich nicht hier gewesen war. Es war nur spärlich eingerichtet, denn normalerweise war ich nie länger als zwei Wochen am Stück hier und dementsprechend waren die Wände kahl, nirgends klebten Poster oder hingen Bilder, was sich auch so bald nicht ändern würde. Ich hatte mit niemanden ein Bild, das ich an die Wand hängen würde. Erschöpft ließ ich mich auf mein altes Bett nieder, die Matratze quietschte leise unter meinem Gewicht. Noch so etwas, an das ich mich hier gewöhnen müsste.

Grand Mal - Break your chainsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt