Kapitel 10

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Evie regte sich langsam und erstarrte. Überwältigt sah sie sich um. Sie lag in einem Raum, vollkommen aus Holz, aber er schien natürlich entstanden zu sein, Äste zogen sich duch den Raum und es gab keine Kanten. Sie hob nun vollkommen den Blick und stand vorsichtig auf, aber ihre Beine trugen sie ohne Probleme. Als sie sich umsah, bemerkte sie einen Thron und ihre Augen weiteten sich. Er war ebenfalls aus, wie es schien, lebendigem Holz und riesig. Er war auf einem Podest und die Rückenlehne ging in die Form eines Geweihs über, dessen Enden sich fast bis zur Decke erstreckten, welche zu höher war, als sie je schätzen könnte. Auf einmal bemerkte sie, dass eine Gestalt auf dem Thron saß. War der etwa schon die ganze Zeit da? Vorsichtig ging sie näher an ihn heran, während der Boden ihre Schritte dämpfte. Nun konnte sie den Mann besser erkennen. Er schien ziemlich groß zu sein und trug ein langes silbernes Gewandt. Sie glaubte, langes hellblondes Haar und eine Krone zu erkennen, aber sie war sich nicht sicher, da sein Gesicht im Schatten lag und sie sich nicht traute, näher heran zu gehen. Aber seine Haltung strahlte eine solche Verlorenheit aus, dass sie unbedingt das Bedürfnis verspürte, ihn zu trösten. Nicht, dass er schwach aussah, oder zuammengesunken wäre, aber er strahlte eine furchtbare Einsamkeit aus, sodass Evie unbewusst näher an ihn herantrat.

Aber in diesem Moment hob er den Kopf und starrte sie an. Noch immer konnte sie sein Gesicht nicht erkennen, aber sie konnte seinen bohrenden Blick spüren, der sich in ihre Seele zu brennen schien und etwas dort berührte. Sie wusste nicht, wie lange sie dort stand und in das Dunkel, wo sie seine Augen vermutete, sah. "Wer bist du?", fragte er dann mit leiser, rauer Stimme, die Evie Schauer über den Rücken laufen ließen. Einen Moment lang war sie nicht in der Lage einen Ton von sich zu geben, dann räusperte sie sich, den Blick schüchtern zu Boden gesenkt. Die Vertrautheit und Schwäche zwischen ihnen war durch seine kalten Worte verschwunden. "Ich bin Evie.", antwortete sie zögerlich. Dann wagte sie es langsam, den Kopf zu heben. Wieder spürte sie den bohrenden Blick des Königs. Sie hatte für sich selbst beschlossen, dass er einer sein musste. Dieser stand auf. Mit langsamen, sicheren Schritten stieg er die Stufen hinab, bis er vor ihr stand. Evie wagte es nicht, den Blick zu heben und ihn anzusehen. Noch nie in ihrem Leben hate sie sich so klein gefühlt. "Sieh mich an.", murmelte er mit seiner rauen Stimme. Sie zögerte, riss sich aber zusammen, es war auch nur ein Mann! Aber als sie in dieses Gesicht sah stockte ihr der Atem und sie erkannte ihren Irrtum. Es lag nicht nur an den spitzen Ohren. Nein, so eine Schönheit konnte einfach nicht menschlich sein. Und erst diese Augen. Strahlend blau zogen sie Evie in ihren Bann, diese wehrte sich nicht, versank in den Tiefen seiner Seele. Sie spürte, wie er eine warme Hand an ihre Wange legte. Elektrisierende Schauer fuhren durch ihren Körper und ihre Knie fingen an, nachzugeben. "Evie...", hörte sie noch seine, sie willenlos machende Stimme, dann wurde es schwarz um sie.

Eine Hand berührte sie an der Schulter und Evie fuhr hoch, sich verwirrt umsehend. Sie war in ihrem Bett, Legolas saß neben ihr. Langsam tröpfelte die Erinnerung wieder in ihr Gehirn. Sie hatte mit Johanna und Legolas auf dem Sofa gesessen und dann... musste sie eingeschlafen sein. Sie konnte unmöglich in diesem Thronsaal gewesen sein. Sie fuhr sich mit der Hand über´s Gesicht. "Was ist passiert?", murmelte sie verschlafen. Legolas lachte. "Du bist einfach so eingeschlafen, während ich mich mit Johanna unterhalten habe. Inzwischen ist sie weg. Es ist ja auch schon spät abends.", er grinste. "Dann kann ich ja auch gleich weiterschlafen oder?", fragte Evie hoffnungsvoll. Legolas lachte und musterte sie belustigt. "Mach ruhig, ich komme auch gleich."

Zur gleichen Zeit starrte Thranduil, der Elbenkönig, verwirrt in die Luft vor sich. Was bei den Valar war das gewesen? Eben noch hatte er ihr Gesicht an seiner Hand gefühlt, in ihre Augen geblickt. Und jetzt... innerhalb eines Wimpernschlags war sie verschwunden. Wahrscheinlich genauso, wie sie gekommen war. Er musste es sich einfach eingebildet haben, vielleicht war er auch eingenickt. Doch trotzdem schweiften seine Gedanken nur um sie. Evie..., was für ein seltsamer Name, sie faszinierte ihn. Die Art, wie sie ihn angesehen hatte, als wüsste sie, was in seiner Seele vorging. Er schüttelte den Kopf. Schwachsinn. Aber trotzdem. Ihre undefinierbaren Augen, ihre goldenen Haare, ihre vollen, roten Lippen. So sanft und perfekt geschwungen, wie die Blütenblätter einer Rose. Er stöhnte innerlich auf. Wer auch immer sie war. Es war gut, dass sie verschwunden war, er wusste nicht, was er getan hätte, wäre sie hier geblieben. Selbst jetzt, wo sie nicht da war, erregte ihn allein der Gedanke daran, wie sich ihre Haut unter seinen Fingern angefühlt hatte. Wie es wohl wäre ihre wundervollen Lippen zu küssen, ihren Geschmack zu kosten. Er kniff die Augen zusammen, oh verdammt sei sie, dass sie solche Gefühle wieder in ihm geweckt hatte. Er musste unbedingt den Kopf frei bekommen. Er konnte es sich nicht leisten, sich von einem Hirngespinst ablenken zu lassen. Er hatte ein Königreich zu regieren und seinen Sohn zu finden. Thranduil machte sich große Sorgen um ihn, man konnte ihn wirklich nicht mal ein paar Stunden alleine lassen, ohne, dass etwas passierte. Niemand wusste, wo er hin war, aber da er in der Nacht, der Portalöffnung verschwunden war, konnte nur eins passiert sein. Er betete, dass dem nicht so war. Er hohlte tief Luft und richtete sich auf. Dann öffnete er die großen Türflügel des Thronsaals und wandte sich an eine der beiden Wachen, die dort standen. "Hol mir Gereila und bring sie zum Portal.", befahl er knapp. Die Wache nickte und machte sich sofort auf den Weg, während Thranduil ihm nachsah und seine Gedanken wieder zu Evie abschweiften. Dann machte er sich ebenfalls auf den Weg.

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