Yesterday
Eine Woche war vergangen seit dem Zusammentreffen mit Edda. Ich blieb sogar noch ein paar Tage länger bei meinen Eltern. In den vielen Kisten entdeckte ich noch alte Klamotten, einige passten und Julie lieh mir welche von ihr. Auf Arbeit meldete ich mich krank. Ich genoss die Zeit sehr, nicht nur die Ruhe durch die landschaftliche Gegend auch meine Eltern den ganzen Tag um mich zu haben, tat mir unglaublich gut. Wir unternahmen viel und zum ersten Mal seit langem, fühlte ich mich wieder so richtig wohl. Alle Gedanken bezüglich Julius und dem Projekt verdrängte ich für die paar Tage.
Allerdings holte mich die Realität schneller ein als gedacht, denn kaum war ich wieder auf Arbeit, ging der Stress los. Allerdings fehlte mir die nötige Stärke, um einfach so zu kündigen. Das kam mir dann doch sehr unüberlegt vor - was sollte ich denn dann machen und viel wichtiger - wie würde ich dann meine Miete zahlen? Arm war ich nicht, die Firma bezahlte mich gut, einige Monate könnte ich ohne Job überleben - jedoch hielt mich die Angst vor dem Ungewissen zurück.
Also schleppte ich mich bis Ende der Woche ins Büro, obwohl Julius noch ein paar Mal den Termin beim Bürgermeister und mein Fehlen ansprach, gab es für mich keine Konsequenzen. Dafür war mein Ruf zu gut - als dass sie mich wegen eines verpassten Termins, den Julius ja letztendlich übernommen hatte, kündigen würden.
Heute war Freitag und ganz oben auf meiner To-Do-Liste stand Edda, die ganze Woche schon wollte ich zu ihr fahren, um ihr das Buch wiederzugeben - jedoch hatte ich keine Zeit gefunden.
Sie wohnte am Ende der Stadt in einem kleinen Haus. Dahinter begann ein Wald - es erinnerte mich sehr an mein Elternhaus - es strahlte die selbe Ruhe aus.
Vor ihrer Tür parkten einige Autos, weswegen ich eine Weile nach einem Parkplatz suchen musste. Nachdem ich einen gefunden hatte, lief ich gut fünf Minuten durch den Ort bis ich schließlich vor ihrem Haus stand, wieder wurde ich Nervös, das passierte mir in letzter Zeit oft. Jedoch wusste ich genau wieso - sie wusste, warum auch immer, was in mir vorging, sie konnte tiefer in mich blicken als ich selbst, davor hatte ich Angst.
Schließlich klingelte ich, immerhin konnte ich nicht den ganzen Nachmittag davor stehen, was würden die Nachbarn denken.
Ich wartete eine ganze Weile, fasst wollte ich schon gehen als mir eine rothaarige Frau die Tür öffnete. Ihre grünen Augen waren leicht gerötet - so als hätte sie geweint. Für einen Moment wusste ich nicht wohin, war überfordert und kam mir ein wenig dumm vor.
"Hallo, bist du auch eine Freundin von Edda?", fragte sie schließlich.
"Hallo, ich eh also ja, kann man so sagen. Ich bin eigentlich nur hier, um ihr das zu geben. Sie hat es im Zug vergessen.", demonstrativ hielt ich das Buch in die Höhe.
Die Frau lächelte leicht, "Ohne das Ding ging sie nirgendwo hin.", dann trübte sich ihr Blick wieder.
"Sorry - ich bin übrigens Lieke..", ich hielt ihr mein Hand entgegen, "Wenn Edda nicht da ist, dann lasse ich es einfach hier."
Sie ergriff meine Hand ebenfalls, "Ich bin Camille.", sagte sie zaghaft. "Edda wird allerdings nicht wiederkommen."
Ich runzelte die Stirn, "Ist sie umgezogen?".
"So zu sagen.", Camille kratzte sich am Hinterkopf. "Sie eh - also Edda, meine Mutter - sie, sie ist tot."
Sie war was? Mir fiel die Kinnlade runter, das konnte nicht sein - ich hatte doch vor ein paar Tagen noch mit ihr gesprochen, verwirrt schaute ich zu Camille.
"Sie hat dir nichts gesagt?", fragte sie schließlich.
"Ich eh - nein, wie auch?"
Eine Weile sah Camille in meine Augen und zog mich schließlich an meinem Ärmel ins Innere, erst jetzt bemerkte ich die Ansammlung an Jacken auf der Garderobe. Bevor ich protestieren konnte, hatte sie meinen Mantel in der Hand und zog mich hinter sich her.
Unser Ziel war - wie sich rausstellte - das Wohnzimmer, in welchem unzählige Menschen standen und saßen. Sie unterhielten sich in vielen Gruppen und waren bunt angezogen. Es dauerte einen Moment bis ich realisierte, dass ich soeben eine Beerdigung gecrasht hatte - innerlich gab ich mir eine Ohrfeige.
Hätte ich es nicht besser gewusst, dann wäre ich niemals auf die Idee gekommen, dass das hier allerdings eine Beerdigung sein sollte. Allein ein Bild, um welches unzählige Kerzen und Blumen standen, deutete daraufhin. Die Leute waren so unterschiedlich, so bunt und redeten gelassen miteinander - keine erdrückende Stille.
Ich kam mir plötzlich sehr fehl am Platz vor - immerhin kannte ich weder Camille noch Edda wirklich, es kam mir falsch vor jetzt hier zu stehen - ich hatte doch nur einmal mit ihr gesprochen.
Camille, die immer noch neben mir stand, hatte wohl dieselbe Gabe wie ihre Mutter und schien genau zu wissen, was in meinem Inneren vor sich ging. Sie berührte mich am Unterarm, um meine Aufmerksamkeit von den Leuten auf sich zu ziehen.
"Sie war besonders, weißt du - meine Mutter - sie wollte keine 0815 Beerdigung, sie wollte, dass wir feiern - genauer gesagt, dass wir sie und ihre Leben feiern. Oft hatten wir darüber diskutiert, ich wollte nie darüber reden, es hat einfach zu sehr weh getan.", für einen Moment dachte ich, sie würde anfangen zu weinen - doch dann stahl sich ein Lächeln auf ihre Lippen.
Schließlich fand auch ich meine Stimme wieder, "Sie - eh, sie wusste, dass sie stirbt?", fragte ich.
Camille schaute gedankenverloren auf das Bild ihrer Mutter und nickte, "Krebs - die Ärzte konnten nichts mehr tun. Es war also abzusehen - allerdings, überlebte meine Mutter die geschätzten 6 Monate der Ärzte aus unerklärlichen Gründen zweimal.."
Ich atmete tief durch und versuchte das alles erstmal zu verarbeiten, wäre ich schon Anfang der Woche gekommen - so wie ich es eigentlich geplant hatte, dann hätte ich sie vielleicht noch gesehen. Sofort machte sich ein schlechtes Gewissen in mir breit - schon wieder hatte mich mein Job von etwas wichtigem abgehalten.
"Das tut mir leid, ich wusste das nicht - weder von ihrer Krankheit noch dass sie - also das sie..", es fiel mir schwer es auszusprechen, verrückt ich kannte sie doch kaum - warum ging mir das so nah. "..gestorben ist. Ich denke, ich sollte auch wieder gehen - ich will euren Moment nicht zerstören.", beendete ich dann doch noch meinen Satz.
Camille sah etwas verletzt aus von meinen Worten. "Also so wie ich meine Mutter kenne, würde sie sich wünschen, dass du bleibst - aber ich kann es natürlich verstehen, wenn du wieder gehen willst, dass hier ist nicht gerade die idealste Art und Weise seinen Nachmittag zu verbringen.", sie verschränkte schützend ihre Hände vor der Brust - in dem Moment tat sie mir leid.
"Wenn du meinst, dann bleibe ich. Immerhin muss ich ihr das hier noch wiedergeben."
Mit wackeligen Beinen ging ich auf das Bild zu, welches in der Mitte das Raumes stand. Neben Blumen und Kerzen, konnte ich auch Briefe und diverse andere Gegenstände erkenne, die alle eins gemeinsam hatten; sie verbanden eine hier anwesende Person, mit einer hier nicht mehr anwesenden - mit Edda. Ich legte ihr Buch schließlich zwischen die Gegenstände und verharrte für einen Moment vor ihrem Bild. Sie trug einen großen Hut und hatte ein Tuch um ihren Kopf gewickelt wie bei unserer ersten - und leider auch einzigen Begegnung. Sie lächelte in die Kamera und strahlte dabei soviel Freude aus, dass sich automatisch meine Mundwinkel ein Stück nach oben bewegten.
Danach drehte ich mich um und fing den Blick von Camille auf, welche mich anscheinend beobachtet hatte. Sie redete gerade mit einer anderen Frau, doch fixierte mich mit ihren Augen.
Schüchtern ging ich wieder auf meinen Platz zurück - an dem ich vorhin stand und beobachtete von da aus das Treiben. Es waren wirklich viele Leute hier, was mich jedoch nicht wunderte wenn Edda mit jedem so sprach wie mit mir - dann könnte sie ganze Hallen füllen.
Sie war eben ein Segen.
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Amor Est Vitae Essentia
Romance"Ich mochte es in Camilles Nähe zu sein, ich mochte es ihr Lachen zu hören, ihre Lippen auf meiner Wange zu spüren. Ich mochte sie. Sehr sogar." Manchmal kommt alles anders; man begegnet bestimmten Menschen und auch wenn es auf den ersten Blick komp...