9┃Briefe

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bye bye skies of yesterday

Nervös trommelte ich auf meinem Lenkrad herum, ich stand schon gut zwanzig Minuten auf dem Parkplatz vor meinem Büro. Die letzten Tage ging ich jeden Morgen ins Büro mit dem Ziel zu kündigen, doch bisher waren alle meine Versuche gescheitert; mal hatte ich im letzten Moment gekniffen oder Julius wollte irgendeinen Entwurf mit mir durchgehen und ich konnte ihn nicht abwimmeln. Doch heute war der Tag - zumindest versuchte ich mir das die letzten zwanzig Minuten einzureden.

Ich gähnte herzhaft und nahm dann einen großen Schluck von meinem Kaffee, seit Eddas Beerdigung schlief ich nicht sonderlich gut - ich dachte viel zu viel nach und wenn ich doch schlief, dann träumte ich von grünen Augen, was mich später nur noch mehr zum nachdenken animierte. Camille wollte mir einfach nicht aus dem Kopf gehen - egal wie sehr ich es versuchte. Ich konnte mir nicht erklären wieso.

Während ich aus meinem Autofenster in den Himmel starrte, beobachtete ich zwei Vögel, die in kreisenden Bewegungen über den Horizont tanzten  - ich musst an Edda denken wie sie ständig aus dem Zug heraus die Vögel beobachtete, und an das Buch welches sie vergessen hatte - eine Kernfrage war; "Was wäre, wenn heute der letzte Tag deines Lebens ist?", was würde ich machen, wie würde ich ihn verbringen und vor allem mit wem? 

In unserer Gesellschaft werden wir nicht dazu erzogen, über sowas nachzudenken - in unseren Gedanken und unserem Leben soll es immer weiter nach vorne gehen; neues Auto, großes Haus - immer mehr, mehr von allem - höher, weiter, schneller. Keine Zeit für Stillstand - innehalten - atmen. Ich seufzte, verdammt wenn das mein letzter Tag wäre, dann würde ich ihn sicherlich nicht hier auf dem Parkplatz verbringen wollen. Ich stieg aus und ließ die Autotür mit einem lauten Knall zu fallen, danach betrat ich zielstrebig das Gebäude und machte erst vor dem Büro meines Chefs halt.

-

Keine Viertelstunde später kam ich mit einem großen Karton, in welchem mehrere Jahre meines Lebens durcheinander lagen, nach draußen. Ich fühlt mich befreit und konnte endlich durchatmen. 

Nachdem die Kiste in meinem Kofferraum verstaut war, hielt ich kurz inne - was jetzt, was sollte ich machen - ich hatte alle Zeit der Welt und war komplett frei. Plötzlich kam mir eine Idee und ich fuhr einfach los, ließ mich von meinem Herzen leiten, und stand wenige Minuten später vor Eddas Haus.

Unsicher stieg ich aus, irgendwas in mir wollte Camille sehen, mit ihr sprechen und sicher gehen, dass alles okay war.

Mit wackeligen Beinen ging ich auf die große Tür zu und blieb eine Weile davor stehen - was wenn sie gar nicht da war, was wenn sie hier gar nicht wohnte. Meine Gedanken fuhren Karussell. Ich atmete tief durch und klingelte, wenn niemand da war - dann würde ich einfach wieder fahren.

Doch das Schicksal schien auf meiner Seite zu sein, nach wenigen Sekunden öffnete Camille mir die Tür. Sie sah etwas überrascht aus mich hier zu sehen - ich selbst war es auch, doch ihr überraschter Ausdruck wich einem herzlichen Lächeln.

"Heii, was machst du denn hier?", fragte sie und öffnete die Tür ein wenig mehr, um mich besser sehen zu können.

"Hi, eh - also, ich wollte wissen wie es dir geht und war gerade in der Nähe?", meine Aussage klang eher nach einer Frage und halbgelogen war sie auch.

Camille legte den Kopf leicht schief - sie schien mich zu durchschauen, "Das ist sehr nett von dir - magst du vielleicht reinkommen?", sie trat einen Schritt zur Seite.

Kurz zögerte ich, doch dann erinnerte ich mich daran, dass ich extra her gefahren war, um sie zu sehen und ging ins Haus. Camille nahm mir meinen Mantel ab - wie vor ein paar Tagen auch schon - allerdings war meiner diesmal der einzige, der an der Garderobe hing.

Amor Est Vitae EssentiaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt