"Laya?" Die Gruppe stand unbewegt vor ihr, einige hatten lange Stöcke erhoben, als fürchteten sie einen Angriff. Es waren tatsächlich die Dorfbewohner gewesen, denen sie gefolgt war. Ihre Gefühle brandeten wie Wellen an ihren Geist, brachen jedoch, bevor der Engel sich beeinflussen ließ.
Die Menschen schwiegen. Niemand war wirklich froh den Engel wiederzusehen. Nicht, nachdem sie ihre Hilfe verweigert hatte. Aber hatten die Bewohner das wirklich geglaubt? Gab es wirklich Engel, die kämpfen konnten? Gab es vielleicht Geschichten unter ihnen, dass Engel bei Gefahr helfen?
"Wenn sie unter euch ist, dann lasst sie gehen. Ich möchte sie nur in Sicherheit wissen." Das Schweigen brach nicht. Stumm starrten die Männer den Engel an."Du hast unsere Familien sterben lassen.", rief jemand aus der Mitte der Gruppe. Eine raue Stimme, die sie dem Wirt zuordnen konnte. Es war erstaunlich sie wiederzuerkennen, da sie diese nur einmal gehört hatte. Layas Haus und den Wald hatte sie eigentlich nicht mehr verlassen - oder?
"Das habt ihr selbst getan. Ich hätte euch nicht helfen können.", versuchte sie sich zu erklären.Die Männer wurden ihr mit jeder Sekunde weniger sympathisch. Waren alle Menschen so, denen sie auf ihrer Reise begegnen konnte, würde sie ihnen ausweichen. Soweit plante sie die Suche nach den Völkern. Und dabei war es egal, ob sie Laya und ihre Tochter wieder vereinte - oder eben nicht. "Ich kann nicht kämpfen.", erklärte sie. "Ich hätte auch nicht ohne weiteres die Flammen löschen können."
"Du hättest erscheinen können!", bellte eine ihr fremde Stimme. "Du hättest dich den Banditen zeigen können und sie wären geflohen. Die Strafe des Gottes fürchten alle Menschen."
"Wohl kaum jene, die du Banditen nennst. Menschen, die ein Dorf im Morgengrauen angreifen und niederbrennen. Alles töten, was es dort gibt." Thea verschränkte die Arme vor der Brust. "Egal worauf diese Diskussion hinausläuft, Laya hat nichts damit zu tun. Und mit meinem Verschwinden auch nicht." Der Engel breitete die Arme wieder wohlwollend aus, streckte die Flügel. "Ist sie nun noch unter euch?"Die Bewohner murmelten leise, raunten einander etwas zu. Niemand rührte sich. Der Engel und die Bewohner sahen sich nur an, bis endlich etwas geschah.
Ein spitzer, kurzer Schrei drang aus der Menge heraus, worauf die Menschen sich zur Seite bewegten. Sie bildeten einen breiten Gang, durch den der Wirt Laya zerrte. Er hielt sie an den Haaren, was der Frau nur erlaubte hinter ihm herzustolpern. Trotz des mittlerweile zerrissenen Kleides, konnte sie so kaum mit ihm Schritt halten.
Thea musste nicht unter den Menschen aufgewachsen sein, um den schlechten Zustand der Frau zu erkennen. Getrocknetes, dunkles Blut mischte sich mit dem Dreck auf dem Kleid. Trübe Augen sahen unter dem zerzausten Haar hervor, geschwollen von Tränen, die jetzt nicht mehr flossen."Was habt ihr gemacht...", flüsterte Thea und kniete sich zu der Frau, die der Wirt einfach nach vorne stieß. Dadurch verlor sie das Gleichgewicht und stürzte ins Gras. Fast lautlos wimmernd blieb sie liegen.
"Nichts.", brummte der Mann, das Grinsen verschwand unter seinem Bart, und deutete hinter den Engel. "Und jetzt verschwinde mit deiner Hexe, Federvieh."Stumm nickte die Geflügelte und half der zitternden Frau auf die Beine. Langsam drehte sie sich weg von den Bewohnern des Dorfes, in der Hoffnung nie wieder Menschen wie diesen begegnen zu müssen.
Einen Schritt nach dem anderen führte sie Laya fort von denen, an deren Seite sie gelebt hatte.
"Verschwinde, Engel!", brüllte jemand und etwas Schweres traf auf ihre Schuppen. Nur einen Moment lang verspürte sie den leichten Druck, viel länger klang ein heller, hohler Ton nach. Die rufenden Menschen verschwanden unter dem Geräusch, dass sich auf dem Grasland ausbreitete."Alles ist gut.", versprach der Engel und stützte ihre Freundin. Nur sehr langsam kamen sie voran. Das gab den Menschen Zeit, nach ihnen beiden zu werfen. Doch trafen sie lediglich die Schuppen oder Federn des Engels, die die Frau unter den Flügeln abschirmte.
Sie sah nicht zurück. Thea wollte auch nicht wissen, was die Leute warfen. Wollte die Wut in ihren Augen nicht sehen, während die Schuppen beinahe eine Melodie verbreiteten."Alles... gut...", wiederholte Laya, während das Zittern langsam verklang. Ihre kalte Haut wärmte sich unter dem Schutz des Engels auf. "Marya...?"
"Sie ist in Sicherheit." Thea sprach leise. Vielleicht waren die Menschen noch immer zu nah, um ihr Gespräch zu belauschen. "Sie ist bei einem Mann. Ein Magier, der uns aufgenommen hat. Er wird auch dich aufnehmen."
Endlich sah die Frau auf. Ihre Augen glitzerten vor Nässe, während sie kaum merklich nickte. "Danke...", hauchte sie, gegen den Ton der Schuppen nicht lauter als Wind. "Bitte, bring' mich zu ihr.""Werde ich." Thea sah nun doch zurück. Steine, Holz- und Metallteile lagen im Gras, die Dorfbewohner warfen nicht mehr. Dafür sahen sie ihnen noch immer hinterher. Wut brannte in ihren Augen.
Ein kleiner Stich durchfuhr das Herz des Engels, als sie den Blick abwandte. "Leg deinen Arm um meinen Hals und halt dich fest.", bat sie, dann griff sie die Frau hinter dem Rücken und unter den Knien. "Nicht loslassen.", erinnerte die Geflügelte, breitete die Flügel aus und stieß sich vom Boden ab. Der Druck hob sie schnell in die Höhe, der Wind trieb sie vorwärts.Nun wieder kannte sie ihr Ziel und vertraute, dass die Natur sie problemlos dorthin führen würde.
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THEA - Der Traum der Göttin [Teil 1]
FantasyIn einer Kultur der Reinheit und Perfektion, wird falsches ausgesiebt. So passiert es Thea, die als einzige der Generation mit braunen Flügeln schlüpft. Verstoßen von ihrem Volk verlässt sie die fliegenden Inseln, auf der Suche nach einem neuen Lebe...