"Ihr seid... Menschen.", fasste Thea zusammen, nachdem sie sämtliche Erinnerungen des Traums durchsucht hatte. "Aber... euch sollte es nicht mehr geben."
Sie wandte sich um. Die Kreaturen hatten sich genähert und einen Kreis um die drei gebildet. Jedoch hielten sie sich noch fern. Wohl noch unsicher, ob Thea nun gefährlich war oder nicht."Das gleiche dachten wir auch von Euch. Die Engel sind Geschichten. Legenden geradezu." Laya schüttelte den Kopf. "Niemand hat noch an eure Existenz geglaubt - bis jetzt."
"Ja. Das sind schöne Geschichten." Marya grinste und wollte sich von ihrer Mama lösen, doch die hielt sie weiter zurück. Also legte sie nur den Kopf leicht schief und fragte: "Willst du die hören?"
"Es wäre sicher interessant." Thea nickte. "Aber zuerst würde ich gern einen Platz für die Nacht finden. Ein großer Baum würde schon genügen.""Ich gebe Euch ein Zimmer. Im Gasthof. Und soviel Essen und Trinken, wie Ihr wollt.", rief jemand aus der Menge und Thea wandte sich zur Stimme. Sie kam von einem Mann mit dichtem, schwarzen Haar auch im Gesicht. Fleckiger Stoff spannte um einen dicken Bauch und ein beißender Geruch ging von ihm aus. Der Engel mochte noch nie gegessen haben, doch der Würgereiz war klar zu identifizieren.
"Nur, wenn nichts in Eurem Haus diesen Gestank verströmt... Mensch.", lehnte sie ab. Demonstrativ schlug sie die Flügel in seine Richtung, wodurch er einen Schritt zurücktaumelte.Die Menschen schwiegen, nur Marya lachte laut. Laya kicherte leise.
"Das war Frank, der Wirt des Dorfes.", flüsterte die Frau, dann sprach sie lauter: "Ihr könnt bei mir schlafen, Thea. Ich habe ein kleines Haus im Wald, abseits des Dorfes. Ein freies Zimmer findet sich dort."
Der Engel lächelte und nickte. Dankbar nahm sie das Angebot an.Der Kreis öffnete eine Lücke, als Laya auf die Menschen zuging, gefolgt von der Geflügelten, deren Hand Marya ergriffen hatte.
Hatte Thea bis vor Kurzem noch eine tiefe Abneigung dem Wald entgegengebracht, erschien er ihr nun weniger dunkel und bedrohlich. Laya war wie ein leitendes Licht für sie und Marya vermittelte ihr Sicherheit. Ihr war klar, dass sie ihre Ängste nun ablegen musste. Die dunkelgrünen, spitzen Blätter waren ein fremdes Kleid an den Bäumen, doch waren dies auch nicht die fliegenden Inseln. Dieser Wald war kein Teil der immerwährenden Finsternis. Dieser Wald war nur ein Wald. Nicht der Friedhof unzähliger Engel.*
Layas Haus war nicht klein. Im Vergleich zu denen der Ansammlung war es riesig. Ganz aus Holz war es erbaut, Fenster an nur wenigen Stellen eingelassen und mit einer rot bemalten Tür ausgestattet.
"Es ist größer als die anderen.", teilte Thea ihre Bemerkung mit und folgte Laya durch die rote Tür in den noch dunklen Innenraum. "Warum hast du es als klein bezeichnet?"
Marya hielt, während ihre Mama verschwand und mit einem flackernden, gelben Licht zurückkam. "Ich dachte, Euch käme es klein vor. In den Geschichten heißt es, ihr wohnt in silbernen Palästen und lacht nur über die Unfähigkeit der Menschen." Schnell senkte sie den Blick. Ihr Gesicht wurde rot, wie Thea bemerkte, auch wenn sie es nur kurz sah. Sofort eilte die Frau weiter und entfachte ein weiteres Licht. Dieses wuchs jedoch schnell und erhellte den Raum.
Er war nicht groß. Die Lichtquelle befand sich an einer Wand, umgeben von rotem Stein, davor stand ein Tisch aus Holz umrahmt von vier Stühlen. An den Wänden standen Bretter hervor, auf dem verschiedene Dinge, wie Steine oder Stoffe lagen.
"Bitte, setzt Euch. Marya, hilf mir doch kurz etwas zu essen zu holen.", bat Laya und deutete erst auf die Stühle, dann winkte sie Marya zu sich.Die beiden verließen den Raum und Thea trat vor. Vorsichtig trat sie auf das weiche Fell, das unter dem Tisch lag und zog einen der Stühle lautlos zurück. Unschlüssig saß sie am Tisch, das leise knacken von Holz ließ der Stille keinen Raum. Sie fühlte sich fehl am Platz. Ihre Flügel hingen über der Lehne und die Spitzen streiften das Fell.
Neugierig sah sie zur Decke, die ebenfalls aus Holz war, jedoch gerade hoch genug, dass sie nicht anstieß. Es wunderte sie, da die Menschen doch soviel kleiner waren. Nach oben hin gab es viel ungenutzten Raum..."Entschuldigt. Aber mehr können wir leider gerade nicht auftreiben."
Laya stellte eine runde Holzscheibe auf den Tisch und drei weitere vor zwei leere Plätze und Thea. Dazu reichte Marya ihr vier hohe Gefäße, die sie ebenfalls verteilt und aus dem größten klares Wasser in die kleineren goss.
Thea sah sich an, was auf der mittleren Scheibe lag und konnte es als Brot erkennen. Ebenso etwas namens Käse.
"Ich möchte euch nichts wegessen, wenn ihr nichts habt." Die Geflügelte nahm ihr Wassergefäß. "Ich kann lange ohne Nahrung leben. Nur Wasser ist wichtig."
"Wir haben genug." Marya kletterte auf den Stuhl neben ihr, der Blick auf das Licht. "Wir teilen, weil das richtig ist. Mama macht morgen neues Brot. Von der Ziege bekommen wir Milch für den Käse und morgen holen wir auch Eier von den Hühnern.""Sie hat recht. Teilen ist richtig und wir tun es gern. Schon..." Laya schüttelte den Kopf. "Schon gut. Bitte. Nehmt nur."
Thea lächelte dankbar und nahm sich eine Scheibe Brot und ein Stück Käse.
Marya begann zuerst zu essen und Thea fand es richtig, gewartet zu haben. Sie war immerhin nur ein Gast.
Der Käse war leicht sauer, doch sehr gut und die Geflügelte bemerkte schnell, wie ihr Magen sich mit dem sauren Käse und den trockenen Brot füllte. Das Wasser weichte alles auf und während das kühle Nass ihre Kehle hinabrann, schien es sich in ihrem Körper zu verteilen. Es stärkte sie und glücklich schloss sie für einen Moment die Augen. Dann nahm sie einen weiteren Schluck."Es war herrlich.", lobte Thea. "Meine erste Nahrung und sicher die beste."
"Soviel Lob bin ich nicht gewohnt.", antwortete Laya und räumte die Teller, wie die Scheiben hießen, vom Tisch. "Marya, bring Thea doch in die Gästekammer. Du hattest sicher einen langen Tag."
"Ja. Gegen Müdigkeit gibt es leider nur ein Mittel."
Marya kletterte wieder vom Stuhl und zog Thea sofort hinter sich her. Sie folgte ihr über einige Stufen, dann hielten sie vor einer Tür, die ein Stück kleiner war, als die Rote. Thea musste den Kopf einziehen und in die Knie gehen, um auf Layas Höhe durchzupassen. Ihre Flügel musste sie hingegen eng anlegen und sogar schief stellen, um hindurch zu passen.
Der Raum dahinter war jedoch wieder hoch genug, wenn auch kaum eingerichtet. Ein weiches Bett mit einer Decke, wie Marya erklärte, stand seitlich an einem Fenster.
"Schlaf gut, ja? Und morgen musst mir ganz viel erzählen.", verabschiedete sich das Kind und Thea bestätigte es ihr kurz. Dann ging die Kleine und Thea legte sich in das Bett. Es war zwar etwas zu klein, trotzdem schlief sie sofort ein.
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THEA - Der Traum der Göttin [Teil 1]
FantasyIn einer Kultur der Reinheit und Perfektion, wird falsches ausgesiebt. So passiert es Thea, die als einzige der Generation mit braunen Flügeln schlüpft. Verstoßen von ihrem Volk verlässt sie die fliegenden Inseln, auf der Suche nach einem neuen Lebe...