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"Geschaffen wurde unsere Welt von der Schöpferin. Ein reines, perfektes Wesen, das uns das Land gab und die Meere. Die Flüsse und Berge. Die Wälder und Wüsten.
Und die Schöpferin schuf auch die fünf alten Völker. Die Engel, auf den Himmelsinseln, die Nachtschwärmer in den Bergen, die Feen in den Wäldern, die Anima auf der Wüsteninsel und die Meerwesen an den Küsten. All diesen Völkern schenkte sie einen Baum. Der Mutterbaum, aus dem die Individuen schlüpften, wenn die Träume sie unterrichtet hatten." Der Magier nickte und Thea nippte kurz an ihrer Tasse, dann fuhr er fort: "Doch es geschah eines Tages, dass ein neuer Gott erschien. Dieser Gott lachte über die Kreaturen, die stets im Frieden miteinander lebten und keine Waffen besaßen. Auch Mühe und Angst war ihnen fremd, denn die Schöpferin gab ihnen alles, was sie brauchten.
Um ihre Schöpfung zu verteidigen stritt sich die Schöpferin mit dem fremden Gott und dieser schlug einen Wettstreit vor. Noch rasend vor Wut über die Beleidigung willigte sie ein und sie verabredeten den Wettstreit.
Kurz darauf wurden fünf Vertreter gewählt, die für die Göttin kämpfen würden und mit fünf Kreaturen des anderen Gottes auf eine Insel vor der nördlichen Küste gebracht. Dort traten sie gegeneinander an in den Prüfungen des Körpers und des Geistes. Die Vertreter der Schöpferin siegten und kehrten in ihre Heimat zurück.

Doch sie alle wurden betrogen. Der Gott entsandte seine Geschöpfe schon früh und der Wettstreit war lediglich eine Ablenkung für die Schöpferin. Seine Kreaturen eroberten das Land und drängten die fünf Völker zurück. Hilflos musste die Schöpferin dem zusehen und versank in Trauer über das vergossene Blut ihrer Kinder.
Auch dies nutzte der Gott und versiegelte ihre Kraft außerhalb der Welt. Er veränderte die Träume der Bäume und zwang die Völker in kleinen Gebieten zu bleiben, die sie nicht verlassen durften.
Die Völker wurden unter den Menschen zu Legenden und diese Geschichte eines Tages vergessen." Er seufzte und schüttelte den Kopf, das dünne Haar schwebte in der Bewegung.

"Und nun? Heißt das, es gibt noch andere Völker, als das meine?"
Der Zauber nickte schwach. "Ja. Und vielleicht bist du in der Lage, die Grenzen zu übertreten. Auch den Fall von den Himmelsinseln hast du überlebt, Kindchen. Warum solltest du nicht einer der wiedergeborenen Wettstreiter sein."
"Bitte? Das verstehe ich nicht. Was ist an den Wettstreitern denn anders gewesen?", hakte sie nach und sah nachdenklich auf den Bodensatz ihrer Tasse. Letzte Pfützen glitzerten im letzten Licht und schienen mit den Blättern einen Baum zu bilden, an dem die Reifekapseln hingen.

"Die Wettstreiter der Göttin erhielten ihren Segen. Es war ihr letztes Geschenk. Einer von jedem Volk erhielt es und gab es nach seinem Tod weiter. Die Wettstreiter konnten nach der Verbannung der Schöpferin als einzige die Gebiete verlassen und die anderen Völker besuchen. Gemeinsam, so heißt es, können sie auch die Schöpferin befreien und einen Kampf gegen den fremden Gott führen."
Sie nickte verstehend und stellte die leere Tasse zurück. In Gedanken wiederholte sie die wichtigen Informationen für sich, wodurch sich jedoch neue Fragen auftaten.
"Sag, woher weißt du das alles, Magier? Auch mein Volk kennt diese Geschichten nicht.", fragte sie nach und strich mit dem Finger über den dünnen Rand.

"Diese Frage habe ich erwartet, darum sollst du es wissen. Schon zu dieser Zeit gab es Menschen, die nicht der Mehrheit folgten. Ein Mann war es, der die Wettstreiter traf und um ihre Vergebung für sein Volk bat. Sie erteilten ihm diese, jedoch nur für ihn. Seinem Volk, so versprachen sie, würden sie nie vergeben. Dafür gaben sie ihm dieses Wissen weiter, das auch das ihre war, und schickten ihn fort.
Der Mann vererbte dieses Wissen viele Jahre später an seinen Schüler und dieser wieder an seinen. Solange, bis ich dieses Wissen erhielt.
Und jeder Hüter dieses Wissens lebte an diesem Ort und forschte nach den fünf Völkern..."
"Und haben sie etwas herausgefunden? Wo sie nun leben, zum Beispiel?"
"Ja. Jaja. Und vieles mehr. Viele Winter sind gekommen und gegangen und mit ihnen viele Hüter." Er erhob sich stöhnend von seinen Stuhl, trat an ein Regal und holte ein schmales Buch heraus. Dieses reichte er dem Engel mit den Worten: "Eine Zusammenfassung unseres Wissens. Die Orte, an denen die Bäume stehen. Die Gebiete, in denen die fünf Völker leben. Das Ritual, um die Schöpferin zu befreien, das bei der steinernen Blume durchgeführt werden muss."

Vorsichtig schlug Thea das Buch auf. Das Papier war dünn und eng beschrieben. Es war ihr ein leichtes die Worte zu lesen, denn es war die Schrift ihres Volkes. Es wunderte sie nach der Geschichte auch nicht, woher die Hüter diese Schrift beherrschten. Es war sicher ein Teil des Wissens, das der Erste erhielt.
"Es ist bemerkenswert." Sie strich über die raue Oberfläche, dann schloss sie es wieder. "Ich werde es lesen und mir alles merken."
"Oh, nein nein.", winkte der Magier eilig ab. "Dies ist ein Geschenk. Ich habe noch weitere Aufzeichnungen, doch alles wichtige steht dort geschrieben."
"Nun, dann danke ich dir, werter Magier. Für deine Zeit, deine Gastfreundschaft und dein Geschenk. Ich wollte sowieso die Welt kennenlernen und vielleicht beginne ich damit, die anderen Völker aufzusuchen." Sie lächelte und verneigte sich leicht.

Ihr Entschluss stand schon seit ihrer Flucht fest. Sie würde es genau so machen. Die Völker suchen und kennenlernen. Vielleicht mehr über sich selbst herausfinden. Und gemeinsam mit ihnen den Wunsch der Schöpferin erfüllen und sie befreien.

THEA - Der Traum der Göttin [Teil 1]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt