Zwei

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Am nächsten Morgen wurde ich durch ein lautes Schnaufen geweckt. Ich richtete mich auf und sah aus dem Fenster. In unserem Garten übten die Männer des Hauses Football-Pässe. Seitdem Naomi und mein Vater zusammen waren, übernahm er die Vaterrolle für Kyle. Mein Dad trainierte mit ihm, forderte ihn über seine Grenzen hinaus und stachelte ihn an, wenn mein Bruder bereits kurz davor war aufzugeben. Doch Kyle schien, genau das zu brauchen, und ich genoss es, die beiden so zu sehen. Nachdem ich mich angezogen hatte, folgte ich dem köstlichen Duft des frisch gebrühten Kaffees in die Küche und genehmigte mir eine große Tasse des Wachmachers.

Auf der Terrasse rief ich beiden Sportlern ein lautstarkes „Guten Morgen" zu und setzte mich auf die Lounge, um sie weiter zu beobachten. Meinen Dad und meinen Bruder so zu sehen, frei und beinahe so, als würden sie jeden Vormittag gemeinsam üben, fühlte sich immer noch nach einem Traum an.

Ich legte meine Hände um die warme Tasse und genehmigte mir einen vorsichtigen Schluck des heißen Muntermachers. Er war kein Traum und ich war wieder hier; in Tennessee, bei meinem Vater und der Familie, die ich sonst so schrecklich vermisste. In jenem Moment duellierte sich mein Grinsen mit der strahlenden Wärme der Morgensonne. Nach ein paar Minuten unterbrachen die Sportjunkies das Training und gesellten sich zu mir auf die Terrasse.

„Guten Morgen, Schatz", begrüßte mich mein Vater im Vorbeigehen und gab mir einen Kuss auf die Stirn, bevor er zurück ins Haus lief. Mit einem breiten Lächeln im Gesicht sah ich ihm hinterher. Als ich mich wieder umdrehte, blickte ich direkt in das in Falten gelegte Gesicht meines Bruders, welcher sich in den Sessel mir gegenüber fallen ließ. Ich sah ihm an, dass sein hübsches Köpfchen gerade ordentlich grübelte. Wie üblich traute er sich nicht, es auszusprechen. Mit meiner Tasse in den Händen und einem Schmunzeln im Gesicht lehnte ich mich zurück und entschied mich dazu, ihn auszufragen.

„Los spuck's aus", forderte ich ihn auf. Kyle seufzte nur deprimiert und wich meinem Blick aus. „Ich hasse das." Jetzt war ich diejenige, die ihre Stirn runzelte. „Coby, der Typ von gestern Abend hat gefragt, ob wir heute zu Zac gehen, weil er es kaum erwarten kann, dich wiederzusehen." Der Stimmlage meines Bruders nach zu urteilen, war er alles andere aber nicht begeistert. Ich konnte mir das laute Lachen nicht verkneifen.

„Man, komm runter, ist doch witzig", fuhr ich ihn an. Aus irgendeinem Grund war Kyle nie begeistert, wenn sich ein Kerl für mich interessierte. Wären wir keine Geschwister gewesen, hätte ich schwören können, dass er eifersüchtig war. Ich wusste, dass es ihm nicht gefiel, wenn er meine Aufmerksamkeit teilen musste und ich wusste, dass es ihm wichtig war, so viel Zeit wie möglich mit mir zu verbringen. Vermutlich lag es daran, dass diese immer eng begrenzt war.

„Wo ist Naomi?", wechselte ich das Thema, um ihn auf andere Gedanken zu bringen, doch Kyle verdrehte genervt die Augen. „Einkaufen. Sie wollte dich nicht wecken", antwortete er und stand schwungvoll auf.

„Ich habe keine Lust auf Drama, Cara. Coby ist ein Kumpel von mir. Ich weiß, dass er genau dein Beuteschema ist, und ich kenne dich", sagte er und seine blauen Augen durchbohrten mich ermahnend. „Wieso sagst du das so?", schnaufte ich tief durch. Er tat das ständig. Immer wieder ermahnte er mich in diesem fast schon enttäuschend klingenden Tonfall. „Weil du ein Biest sein kannst." Kühl beantwortete er meine Frage und zupfte sich sein T-Shirt zurecht. Ich schnalzte mit der Zunge und unterbrach genervt den Blickkontakt.

Nun ja, Unrecht hatte er nicht. In den letzten sechs Monaten hatte ich drei Jungs dazu gebracht, heulend vor mir zusammenzubrechen, weil sie sich, laut eigener Aussage, hoffnungslos in mich verliebt hatten. Wie bereits gesagt, Lust auf feste Bindungen hatte ich nicht. Zu diesem Zeitpunkt wollte ich Spaß, Erfahrungen sammeln und mein junges Leben unverbindlich in vollen Zügen genießen und Kyle schien das, mit seinen amerikanischen Dorfansichten so gar nicht verstehen zu können.

the miles between us || reloaded || abgeschlossenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt