Siebzehn

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Es war schon eine merkwürdige Situation. Seit knapp vier Wochen wohnte ich nun in Newton und hatte bis zu diesem Tag nicht ein einziges Spiel meines Bruders gesehen. Wir gingen durch dick und dünn, wir beleidigten uns und chillten im Bett des anderen, wenn wir uns wieder vertragen hatten. Ich kannte diesen Kerl wie meine Westentasche und dennoch hatte ich, bis zu diesem Tag, niemals mehr von seinen Footballfertigkeiten gesehen, als die lahmen Übungspässe in unserem Garten.

Ich war eine beschissene Schwester, wenn man bedachte, dass Kyle jedes noch so sinnlose Foto von mir mit seinen über fünfhundert Followern bei Instagram teilte, während ich nur ein gezwungenes "schön" auf den Lippen hatte, wenn er mir berichtete, wie das Spiel gelaufen war.

"Alles ok, Süße?", fragte Naomi und drehte sich vom Beifahrersitz zu mir, um mich liebevoll anzulächeln. "Mach das bitte nicht.", ermahnte ich sie sofort. Ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, befolgte sie meinen Befehl und blickte wieder in Fahrtrichtung. "Aber ja, es ist alles gut.", log ich und befriedigte die Neugier meiner Stiefmutter damit ein Stück weit.

Seit dem Unfall gab es für mich zwei wichtige Regeln für jede Autofahrt. Erstens, ich saß nicht hinter dem Beifahrersitz und zweitens, der Beifahrer durfte sich nicht zu mir umdrehen. So simpel, so schwierig für Naomie, welche ständig während des Autofahrens quatschen musste.

Gegen siebzehn Uhr erreichten wir die Schule. Die Newton'sche Bevölkerung versammelte sich hier, als hätte die Bienenkönigin höchstpersönlich gerufen. Noch nie hatte ich so viele Autos hier gesehen und das sollte etwas heißen, schließlich war der Parkplatz der Highschool immer überfüllt. Fahrgemeinschaften waren nicht so das Ding des dörflichen Tennessee's.

"Ist hier immer so viel los?", fragte ich völlig perplex und stolperte dabei über meine eigene Aufregung. "Nun, das Spiel nach Thanksgiving ist besonders beliebt. Hier haben alle Zeit, schätze ich.", antwortete mein Vater lachend und parkte den Wagen am Straßenrand, da die Aussicht auf einen richtigen Parkplatz eh vergebens war.

Nachdem wir unseren Marsch zum Spielfeld beendet hatten, drängten wir uns auf die Tribüne und suchten nach einem Plätzchen, von welchen wir das Können der heimischen Mannschaft begutachten konnten. Wieder fühlte ich mich, als wäre ich in einem Teeniefilm gefangen. Dieses ganze Drama rund um die Highschool war absolut befremdlich für mich. Die Schüler, Eltern und teilweise sogar Lehrer hatten ihre Gesichter mit rot-weißen Zahlen oder Streifen bemalt. Fast jeder trug einen Hoodie oder irgendein anderes Merchandise der Schule. Sie pushten sich gegenseitig hoch, als würde es hier um die Weltmeisterschaft gehen.

An meiner Schule in Erfurt hatten wir einen Talentwettbewerb. Die einzigen Zuschauer waren die Eltern der talentierten Kids, betrunkene Lehrer und Helfer die im Unterricht etwas verbockt hatten. Die Tatsache, dass es eine Strafe war, bei den Vorbereitungen dieses Wettbewerbs zu helfen, war aussagekräftig genug.

Das hier war keine Schulaktivität oder eine Veranstaltung, das hier war ein verdammtes Volksfest.

"Miller!", hörte ich jemanden rufen, drehte mich jedoch nicht um, da ich nicht der Meinung war, der Ruf würde mir gelten. "Cara Miller!", rief es erneut. Beschämt fuhr ich auf dem Treppenabsatz herum.

Da unten stand er. Seine Augen waren die Sterne, die am Himmel des Geräuschs seines Lachens tanzten.

"Drückst du uns die Daumen?", rief er erneut und wieder brachte mich Zac Morris in die Bredouille, mich vor fremden Menschen zu schämen. Ermahnend riss ich meine Augen auf und grinste kopfnickend. "Offensichtlich.", antwortete ich stumm und widmete mich wieder dem Aufstieg. Naomi und mein Dad hatten mittlerweile drei freie Plätze gefunden. Ich gesellte mich also zu ihnen und gab dem Spektakel eine Chance.

the miles between us || reloaded || abgeschlossenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt