Neunzehn

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Der Glaube an Gott war in Amerika so eine Sache. Eine unfassbar wichtige Sache. Gerade im dörflichen Newton nahm man Jesus und seinen Leidensweg besonders ernst.

Meine Mutter erzog mich in dem Glauben, dass nichts meinen Weg bestimmen würde außer das Schicksal. Ob dieses nun von Gott vorherbestimmt war, ließ sie der Interpretation halber immer offen.

Mein Vater und Naomi hingegen waren ehrfürchtig und folgten dem Ruf des Pastors jeden Sonntag in die Kirche. Ständig sagten sie Dinge wie: „Wir beten für dich." oder „Gott hat einen Plan für dich."

Ich wuchs also mit zwei völlig verschiedenen Ansichten über Gott auf und bewegte mich auf einem Mittelweg. Der Gedanke daran, dass es etwas gab, das größer war als wir Menschen, imponierte mir. Dennoch, Kirchengänge schlug ich aus. Mich mit der halben Stadt in einen Saal zu setzen und gemeinsam zu beten, überspannte dann doch den Bogen in meinen Augen.

Entsprechend hielt sich meine Begeisterung in Grenzen, als ich die Newton Baptist Church das erste Mal seit zehn Jahren betrat.

Am zweiten Samstag im Dezember veranstaltete Pastor James sein traditionelles Barbecue und der Versuch mich zu drücken, war in dem Moment kläglich gescheitert, als mir Naomi ein bordeauxrotes Skaterkleid aus der Mall mitgebracht hatte. Pastor James' Enttäuschung hätte ich hingenommen, aber Naomi konnte ich nicht erneut enttäuschen und so presste ich mich mürrisch in den langärmeligen Traum aus Jersey und folgte dem Ruf des christlichen Häuptlings.

Die Kirche selbst hatte nichts mit den Gotteshäusern zu tun, die man in Deutschland so kannte. Der schnöde Betonklotz lud meiner Meinung nach nicht dazu ein, den spirituellen Geist auf eine Reise zu schicken, aber darum ging es mir hier auch nicht. Ich hatte mir das Ziel gesetzt, weniger vorlaut und dafür freundlicher zu sein und eine Unternehmung dieser Art, stellte die perfekt Übungseinheit für mein Ziel dar.

Still trottete ich also meiner Familie hinterher und begrüßte die Gemeindemitglieder freundlich. „Gefällt es dir?", fragte Kyle und erntete sofort ein spöttisches Lachen meinerseits. „Bisher ist ja nichts passiert, was mir nicht gefallen würde, also jain?", antwortete ich leise.

Mein Bruder lachte nur kurz in sich hinein und richtete sich den Ärmel seines Hemdes. „Naja, ich frag nur, weil Coby und Ashley bestimmt auch da sein werden."

Der Ärmel war mittlerweile gerichtet und dennoch traute sich Kyle offensichtlich nicht, mich anzuschauen. Ich konnte mir mein Schmunzeln nicht verkneifen.

Selbstverständlich hätte ich meinen Samstagabend lieber mit Hasel in der Bar ihres Vaters verbracht, als Coby und die fiepsende Ashley turtelnd in der Kirche zu begaffen, aber Kyle konnte nichts dafür.

Ich ging einen Schritt auf meinen Bruder zu und kuschelte mich schüchtern an seine Schulter. „Ist schon in Ordnung. Ich habe einen Schlussstrich gezogen und mir geht es wirklich gut. Du bist der Letzte der ein schlechtes Gewissen haben muss.", versuchte ich meinen Bruder zu beruhigen und erntete direkt einen seiner liebevollen Küsse auf meinen Kopf.

„Ich meine ja nur. Er ist neben Zac ein echt wichtiger Freund für mich geworden. Er hat es auch nicht einfach. Wie auch immer. Ich wünschte, ich wäre derjenige gewesen, den du versucht hättest anzurufen.", flüsterte Kyle in mein Ohr und drückte mich fester an sich.

Eigentlich hatte ich nicht vor, jemals mit ihm über diesen Abend zu sprechen. Ich japste kurz nach Luft. „Das hätte nichts geändert.", war das Einzige, was ich herausbekam, während ich vergeblich versuchte normal zu atmen.

the miles between us || reloaded || abgeschlossenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt