-10-

217 9 2
                                    

„Sind Sie okay, Madam?", ertönt Edwards Stimme neben mir. Ich drehe mich überrascht zu ihm und nicke als Antwort. Ich bin immer noch geschockt, dass der Mann, vor mir, haargenau aussieht wie Josh. „Sie sehen aber nicht so aus. Sie sollten sich lieber setzten", fordert er mich auf. Gleichzeitig merke ich, wie Edward mich leicht in Richtung der kniehohen Mauer führt und wir uns setzten. „Sehe ich jemandem ähnlich, den Sie kennen, Madam?", stellt Josh seine nächste Frage. Ich zögere kurz, entschließe mich aber trotzdem zu antworten. „Ja, Sie sehen meinem Ex Josh zum Verwechseln ähnlich." „Pardon Madam, aber was ist ein Ex?", fragt er mich. „Wo ich herkomme, bezeichnet man damit jemanden, der einen dem Hof machen möchte", erkläre ich schnell. „Darf ich annehmen, dass diese Begegnung nicht erfreulich ausgegangen ist?", fragt Edward mich mit gerunzelter Stirn. Ich nicke nur. Ich war mir eigentlich sicher, dass ich mit Josh abgeschlossen habe, aber warum schmerzt mein Herz immer noch, wenn ich ihn sehe? Er ist noch nicht mal der richtige Josh, sondern sein Vorfahre oder so. Das Ganze ist doch absurd. Ich sitze hier irgendwo auf einer Insel im Ozean zu einer Zeit, die nicht meine ist. Trage ein absurd unpraktisches Ballkleid und helfe einem Piraten. Ich habe miterlebt, wie ein Schiff gekapert wurde und habe mir seit gefühlt einer Woche nicht mehr meine Zähne geputzt. Eventuell ist das Ganze einfach nur ein Traum und ich wache gleich in meinem Bett in Boston auf. Um sicherzugehen kneife ich mich in meinen Arm, doch nichts passiert. „Können Sie mich mal bitte kneifen?", frage ich Edward. Dieser schaut mich ungläubig an. „Pardon?", fragt er sicherheitshalber noch mal nach. „Mich kneifen", antworte ich gereizt. Zögerlich erhebt Edward seine Hand um und kneift mich in den Oberarm. „Aua", zische ich und reibe mir über die scherzende Stelle. Es ist wohl doch kein Traum. „Ich bitte um Verzeihung", ertönt Edwards Stimme neben mir. „Ach, schon okay", antworte ich abwesend. Ich bin wirklich in der Vergangenheit. Es ist kein Traum. Ich starre auf meine Hände. Was passiert wohl, wenn ich hier sterbe? Ob meine Familie mich schon sucht? Was ist mit meinem Studium? Mein Atem wird immer schneller, als mir all diese Fragen durch den Kopf schießen. Kalter Schweiz läuft mir den Rücken runter, als mir bewusst wird, dass ich hier festsitze und nicht weiß, ob ich jemals wieder nachhause kommen werde.

„Madam, Sie müssen sich beruhigen!", brüllt mich eine tiefe Stimme an. Gleichzeitig merke ich wie mich zwei starke Hände an der Schulter rütteln. Verwirrt hebe ich meinen Kopf und sehe, wie mich besorgte Augen anschauen. „Atmen sie ganz langsam ein und aus, so wie ich", fordert Edward mich auch. Ich folge seinen Anweisungen, bis ich mich wieder beruhigt habe. „Vielen Dank für Ihre Hilfe, normalerweise bekomme ich kein Panikattacken," bedanke ich mich bei Ihm. „Ich helfe gerne Miss..." zögert Edward. „Magdalena", stelle ich mir vor. „Es freut mich Ihre Bekanntschaft zu machen, Miss Magdalena", sagt Edward mit einem Lächeln auf seinem Gesicht. „Wir sollten lieber zurück zum Ball gehen, ihre Begleitung sucht Sie bestimmt schon" ergänzt Edward und hält mir seine Hand hin um mir hoch zu helfen. Mit einem Nicken ergreife ich seine Hand und lasse mich von ihr hochziehen. Er hakt unsere Arme ineinander und führt mich langsam zurück zur Treppe. „Sind Sie zu Besuch bei der Gräfin?", fragt Edward mich. „Nein, ich besuche meinen Onkel Jefferson, den Apotheker", lüge ich. „Und wo sind Sie denn aufgewachsen?", fragt er neugierig. „Meine Eltern leben in Boston", antworte ich ehrlich. „Boston ist eine sehr schöne Stadt. Wer sind denn Ihre Eltern?", stellt Edward seine nächste Frage. Bevor ich Antworten kann, merke ich, wie sich etwas Schweres auf meine linke Schulter setzt. Geschockt bleibe ich stehen und drehe meinen Kopf nach links uns sehe dort den Papagei von vorhin sitzen. Diese starrt mich bewegungslos an. „Kusch", ertönt Edward Stimme neben mir und er wedelt mit seiner Hand vor dem Papagei herum. Diese bleibt jedoch unbeeindruckt auf meiner Schulter sitzen. „Blödes Vieh, flieg endlich wieder weg", wird Edwards Stimme lauter. Doch der Papagei ignoriert ihn und schaut mich weiter an. „Edward, ich glaube der Papagei möchte nicht weg", erkläre ich ihm. „Dann sollte ich ihm eine Lektion erteilen, eventuell begreift er es dann. Magdalena, bleiben Sie ganz ruhig stehen", weist er mich an. Edward stellt sich einige Meter vor uns hin und hebt ein paar Steine vom Boden auf. „Edward, Sie wollen doch jetzt nicht den Vogel mit Steinen bewerfen, er fliegt bestimmt gleich von alleine weg.", versuche ich seine Meinung zu ändern. Dabei bewege ich meine linke Schulter leicht, in der Hoffnung, dass der Papagei wegfliegt. „Das sture Vieh versteht es nicht anders", erklärt Edward und hebt seinen Arm und zielt Richtung den Papagei. Ruckartig mache ich einen Schritt nach rechts, als ein Pfiff ertönt und der Papagei losfliegt und sich ein paar Meter weiter niederlässt. Leider ist es dort zu dunkel um zu erkennen, worauf sich der Papagei gesetzt hat. Doch es scheint eine Person zu sein, denn die Gestalt kommt langsam auf uns zu. „Captain de Haan, man wirft keine Steine nach Vögeln, deren Besitzer man nicht kennt", ertönt eine mir bekannte, tiefe Stimme. Die Person kommt zu einem Halt, kurz bevor er ins Licht schreiten würde. Nur seine Umrisse sind etwas besser zu erkennen. „Und wer sind Sie?", fragt Edward. „Das spielt keine Rolle", antwortet ihm die dunkle Stimme. „Captain de Haan, sie sollten lieber zum Fest zurückkehren, denn Miss Smith braucht Ihre Gesellschaft nicht mehr", fordert er ihn auf. „Das haben Sie nicht zu bestimmen, Sie sind ein Feigling, der Schutz im Schatten sucht. Treten Sie endlich hervor!", knurrt Edward ihn an. „Tst Tst, in all den Jahren sind Sie nicht schlauer geworden", verspottet ihn die Stimme. Dabei zieht die Gestalt einen langen Gegenstand aus seinem Gürtel, der aussieht wie ein Degen. Das Halfter des Degens leuchtet in vier verschiedenen Farben. „Das kann nicht sein!" ertönt Edwards ängstliche Stimme. „Die Longini Familie wurde vor über zehn Jahren ausgelöscht. Ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen." murmelt Edward. „Da irren Sie sich", antwortet ihm die tiefe Stimme und tritt gleichzeitig komplett aus dem Schatten und richtet seine goldene Klinge auf Edward Carter. Auf dem ersten Blick ist er nicht wieder zu erkennen. Er trägt einen dunklen rubinroten Anzug, wie Mr. Bluré und sein Gesicht ist komplett sauber. Auf seinem Kopf trägt er eine weiße Perücke, die zu einem Pferdeschwanz gebunden ist. Mit einem lauten Kratzen erhebt sich der Papagei und stürzt sich auf Edwards Gesicht. Mit einer schnellen Bewegung, dreht sich Carter zu mir und ergreift meine Hand. „Beeil dich!", flüstert er mir zu und zieht mich hinter sich her in die Dunkelheit.

„Carter, ich kann nicht so schnell laufen in diesem Kleid!", fauche ich seinen Rücken an. Ruckartig bleit Carter stehen, dreht mich um und mit einem schnellen Hieb durchtrennt er meine Schnürung und das Kleid fällt zu Boden. Nun stehe ich vor ihm in meiner Unterwäsche, was aus einem langen weißen Unterhemd besteht. „Carter!", fauche ich ihn an und versuche meinen Körper mit meinen Händen zu bedecken. Gott sei Dank ist es dunkel. Ich spüre wie Carters Augen mich von oben bis unten mustern und er anfängt zu grinsen. „Gib mir deine Jacke", fauche ich erneut. Carter kommt einen Schritt auf mich zu und flüstert in mein Ohr: „Was bekomme ich dafür als Gegenleistung?" Daraufhin funkle ich ihn wütend an. „Ich werde nicht um Hilfe schreien, ich glaube nämlich, dass die Wachen der Gräfin mir gerne zur Hilfe eilen", erwidere ich mit einem Grinsen auf meinem Gesicht. „Das würde ich gerne sehen", provoziert Carter mich. Als ich gerade für meinen gefakten Hilfeschrei ansetzten möchte spüre ich, wie mich jemand von hinten packt und mir ein Tuch vor den Mund hält. Ich versuche nach der Person zu treten und mich zu befreien, doch vergebens. Als ich flehend in Carters Richtung schaue entdecke ich, dass er nicht mehr in meinem Blickfeld ist. Mein Körper fühlt sich immer schwerer an und ich verliere die Kontrolle über ihn. Es dauert nicht lange, bis ich auch mein Bewusstsein verliere.

„Captain, Sie hat ihr Bewusstsein verloren", ertönt Georges Stimme und er löst seine Hand von Magdalenas Gesicht. Carter schaut ihn nur mürrisch an und zieht der bewusstlosen Magdalena seine Jacke an, da George seinen Blick nicht von ihr lassen kann. Mit einem Knurren, entreißt er ihm Magdalena und trägt sie zu Mr. Blurés Kutsche. Als er und Magdalene in der Kutsche sitzen, gibt er George ein Zeichen, dass er sie zurück zum Schiff bringen soll. Bevor er die Tür schließt pfeift Carter erneut durch die dunkle Nacht und die Kutsche setzt sich in Bewegung.

Tagebuch eines PiratenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt