Kapitel 37

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Meine Schwester blickte uns an, als wären wir Norfolk-Rebellen, die eine gezückte Waffe auf sie hielten. Wenige Augenblicke später fing sie sich.

»Ailina? Was macht ihr hier?« Meine Schwester hob fragend die Augenbrauen.

»Das sollten wir lieber nicht hier draußen im Flur besprechen«, flüsterte ich. Die zwei aufgestylten jungen Frauen waren bestimmt nicht die einzigen Bewohner in diesem palastgroßen Gebäude und auch andere konnten jeden Moment ihre Wohnung verlassen.

»Mama«, rief Skay und rannte mit ausgestreckten Armen auf ihre Mutter zu. Etwas unbeholfen schloss meine Schwester ihre Tochter in die Arme.

»Dann folgt mir«, kam es gemurmelt aus Ginas Mund, der von Skay's Haaren bedeckt war. Sie warf mir dabei einen Blick zu, der mir bedeuten sollte, dass ich schnellstmöglich unser plötzliches Auftauchen erklären sollte. Ihre Augen blieben ebenfalls an meiner schwarzen Perücke hängen, die bei ihr sicherlich noch mehr Fragen aufwarf. Ein wenig verletzte es mich schon, dass sie unseren Besuch mehr wie einen Vorwurf zum Ausdruck brachte, als dass sie sich freute mich zu sehen.

Meine Schwester steckte in einem dunkelblauen Satinkleid, das sich fließend um ihren Körper schmiegte und sicherlich mehr Geld wert war, als Skay und mir in sechs Monaten zur Verfügung stand. Mal ganz abgesehen von den silbrig-funkelnden Ohrsteckern, die Ginas strahlende Gesichtsfarbe betonten. Meine Schwester war ebenfalls Mitbewohnerin dieser heilen Welt geworden, dachte ich bitter und innerlich fragte ich mich, wie oft am Tag sie daran dachte, dass sie eine Tochter und Schwester hatte, die zusehen mussten, dass sie überhaupt eine warme Mahlzeit am Tag zu sich nehmen konnten. Schweigend folgten Rhy und ich meiner Schwester, an deren Hand Skay sich geklammert hatte als würde sie fürchten, dass meine Schwester sich einfach in Luft auflösen würde, wenn sie sie loslassen würde. Wie auch bei meinem letzten Besuch schritten wir durch die stilvoll und exklusiv eingerichtete Wohnung, bei der ich mich in meinem schäbigen Kleid, wie ein unschöner Fleck auf den strahlend weiß gestrichenen Wänden fühlte. Auch Rhy pfiff beim Anblick der luxuriösen Ausstattung anerkennend durch die Zähne. »Nicht schlecht«, sagte er, als wir einen goldeingefassten Wandspiegel passierten.

»Gibt es noch das schwarze Bild, auf dem man Personen auftauchen und verschwinden lassen kann?«, fragte Sky neugierig und ich wusste, dass sie damit den Fernseher meinte, vor dem sie das letzte Mal fasziniert gesessen hatte.

»Hier gibt es Strom?«, brachte Rhy genauso überrascht hervor, wie ich damals.

»Ja«, sagte meine Schwester knapp und wandte sich dann ihrer Tochter zu. »Möchtest du so lange fernsehen, während wir Erwachsenen uns unterhalten?«

»Oh ja! Erwachsenendinge sind laaangweilig«, plapperte Skay vergnügt und hüpfte auf die Couch, wo ihr Körper fast vollständig unter dem Kissenberg verschwand, der das hochwertige Ecksofa bedeckte.

»Dann mache ich dir den Fernseher an und damit wir dich nicht stören, gehen wir kurz ins benachbarte Zimmer«, sagte Gina sanft und erweckte das Fernsehgerät wenig später zum Leben.

»Krass.« Während sich mein Interesse für den Fernseher eher begrenz hielt, trat Rhy einige Schritte näher an den an der Wand befestigten Bildschirm. So wie er auf das sich bewegende Bild starrte, wirkte er wie ein kleiner Junge.

Da Rhy abgelenkt war, nutzte Gina die Gelegenheit mich nach ihm auszufragen.

»Wer ist der Mann. Dein Empfänger?«, fragte sie leise, wobei ihre Stimme längst von der fröhlichen Musik, die aus dem Fernseher drang, übertönt wurde.

»Nein«, räusperte ich mich und dachte im gleichen Moment an Jonathan. Ob er wohl schon mit Florin zusammensaß? Wusste meine Schwester, dass ihr Empfänger mit uns zusammenarbeitete?

Die BlutspenderinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt