Rhy und ich folgten Fullham wie ein zweiter Schatten. Von der See zogen graue Nebelschwaden über den Hafen, hinter dessen dichtem Umhang wir nur schemenhaft zu erkennen waren. Der inzwischen einsetzende Regen lief wie ein Wasserfilm an den Häuserfassaden herunter, während wir angestrengt versuchten Fullhams Gestalt nicht in der anwachsenden Anzahl an Menschen aus den Augen zu verlieren. Zwar konnte der glatzköpfige Mann auch zu irgendeiner unwichtigen Verabredung unterwegs sein, aber schließlich sollte jede Gelegenheit genutzt werden, den Norfolk-Rebellen einen Schritt näher zu kommen. Während unserer Verfolgungsjagd klärte ich Rhy darüber auf, was ich über Fullham wusste. Fullhams Umwerben um mich, verschwieg ich dabei aber. Es war angenehm mich mit Rhy zu unterhalten, der mir in seiner offenen Art ziemlich viel über sich erzählte. Auch er hatte eine zugeteilte Blutspenderin, die ihm ein paar Tage die Woche mit ihrem Blut versorgte. Rhy wohnte mitten in der Innenstadt und arbeitete, wie er mir bereits erzählt hatte, hinter versteckten Absichten für den Staat. In seiner Rolle als Staatswache konnte er ohne große Mühe geheime Informationen, die der Staat ansonsten für sich behielt, aufschnappen und der Gruppe mitteilen.
Fulham machte es uns leicht ihm unauffällig über das regennasse Kopfsteinpflaster zu folgen, da er sich bisher noch kein einziges Mal umgedreht hatte. Menschen strömten wie die vom Himmel fallenden Regentropfen an uns vorbei und luden die Fracht von einem rostübersäten Containerschiff. Richtigen Schiffsverkehr gab es in Agalega allerdings nicht. Nicht mehr. Schließlich gab es keine Handelspartner, da wir das einzige noch verbliebene Land auf der Erde waren. Die wenigen Schiffe waren dazu gedacht, den Osten Agalegas anzusteuern, da die Gegend aufgrund der bergigeren Landschaft über Land ziemlich beschwerlich zu erreichen war. Den gesamten Nordosten Agalegas dominierten Felsen und Geröll. Im Norden hatte der Krieg allerdings dafür gesorgt, dass die Landschaft von Gift bedeckt war. Sofort musste ich an neulich denken, als ich vom Baumhaus meines Empfängers einen Blick auf den verwüsteten Norden hatte werfen können, in dessen Verwüstung noch immer Menschen lebten, dessen Leben dem Staat völlig egal waren.
»Vorsicht!« Rhy riss mich hinter einen Stapel korrodierter, verlassener Kisten, hinter denen wir uns schützend versteckten. »Fullham scheint auf irgendjemanden zu warten.« Rhy deutete auf den Glatzkopf, der sich inzwischen immer wieder in unsere Richtung umsah.
»Und jetzt?«, hakte ich nach. Meine Locken hingen in nassen Strähnen in mein Gesicht. Auch Rhys Uniform hatte der Regen bereits durchnässt, sodass sich die Staatswappen unter der Feuchtigkeit noch stärker abzeichneten.
»Das müssen wir wohl oder übel abwarten.«
Resigniert seufzte ich. Die nasse Kälte bahnte sich bereits einen Weg zu meinen Füßen. »Hoffentlich ist das hier nicht alles umsonst und Fullham wartet bloß auf einen Kollegen, mit dem er seinen Feierabend ausklingen lassen kann.«
»Das glaub ich nicht. Die Gegend sieht nicht gerade einladend aus.«
Wir hatten inzwischen das Hafengebiet erreicht, in dem der Schiffsverkehr schon vor Jahren eingestellt worden war und die übriggebliebenen Schiffe als leblose Gerippe auf dem Meer schaukelten. Während wir weiter darauf warteten, dass jemand zu Fullham stieß, fragte Rhy mich weiter über mein Leben aus. Was das anging, war er mehr als interessiert. Wir mussten ganze zwanzig Minuten in der Kälte ausharren, bis sich schließlich eine weitere Gestalt zu Fullham gesellte. Die beiden Männer tauschten einige knappe Worte aus und Fullham überreichte dem anderen die Papiere, die er zuvor versehentlich auf der Straße verstreut hatte, weshalb er mir überhaupt erst aufgefallen war.
»Schade, dass wir nicht näher rangehen können.« Leicht enttäuscht darüber, dass wir kein einziges gesprochenes Wort zwischen den Männern verstanden, wrang ich einige meiner Haarsträhnen aus, die daraufhin auf meiner Stirn kleben blieben. Zustimmend nickte Rhy mir zu. Auch seine Haare waren sowohl vom dem Regen, als auch von dem versprühten Meerwasser benetzt, das durch das Anschlagen der Wellen an die Hafenmauer an Land gelangte.
DU LIEST GERADE
Die Blutspenderin
Science FictionEnde des dritten Weltkriegs. Nach der Einberufung ihrer älteren Schwester Gina als Blutspenderin in das Staatskapitol, bleibt Ailina mit Ginas Tochter Skayla alleine zurück. Inzwischen kehren immer mehr Soldaten von der Front nach Agalega heim. Dar...