Immer noch fühlte ich mich von den Ereignissen des gestrigen Tages benommen. Auf dem gesamten Rückweg aus dem Kapitol hatte ich weder mit Skay, noch mit Marcus ein Wort gesprochen und war zu Hause angekommen, weiter schweigend auf mein Zimmer gegangen. Inzwischen hatte sich die Schwärze der Nacht um die Fenster ausgebreitet und nur der Schein der Kerzen spendete mir etwas Licht. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es schon nach Mitternacht war, aber an Einschlafen war bei meinem aufgewühlten Zustand nicht zu denken. Mein kleiner schwarzer Kater hatte sich auf dem Schreibtisch zusammengerollt und das Kerzenlicht färbte seine wachsamen Augen goldfarben. Er war uns vor einigen Jahren zugelaufen und hatte in kürzester Zeit mein Herz erobert, sodass ich ihn scherzhaft Mr. Darcy getauft hatte. Der Name eines ritterlichen Charakters aus einem meiner Lieblingsbücher, die noch aus der Alten Welt stammten. Und bisher tat er seinem Namen alle Ehre. Wenn es um ein Stück Käse ging, konnte ihm keiner in der Rolle des Charmeurs das Wasser reichen. Sanft strich ich durch sein weiches Fell, als ich mich zu ihm an den Tisch setzte. Unter seiner linken Katzenpfote befand sich die schwarzeingebundene Akte, die mir die Sekretärin am Ende meiner Untersuchung im Kapitol in die Hand gedrückt hatte. Bisher hatte ich noch keinen Blick hinein geworfen.
»Soll ich?«, wandte ich mich an Mr. Darcy und deutete auf die Mappe. Als Antwort bekam ich ein zufriedenes Schnurren, was wohl eher der Dankbarkeit meiner Streicheleinheit geschuldet war, als eine Zustimmung auf meine Frage. Vorsichtig schob ich seine Pfote zur Seite und zog die verschlossene Akte zu mir heran. Ich fragte mich, welcher Mensch sich hinter dem Namen Jonathan Hadley verbarg, dessen Buchstaben im Schein der Kerzen auf dem Umschlag weißlich schimmerten. Interessiert schlug ich die erste Seite auf und sah mich einer Biographie über den Soldaten konfrontiert. Es waren Fakten über seinen Werdegang aufgelistet, sowie die Orte seiner Stationierung, wo genau er an der Kriegsfront gekämpft hatte. Am Ende der Biographie befand sich sogar ein Porträt von diesen Mann. Es war nicht zu leugnen, dass es sich bei diesem Soldaten um einen gutaussehenden jungen Mann handelte, dessen blondes Haar leicht unter seiner dunkelblauen Soldatenmütze hervor lugte. Seine Gesichtszüge waren ernst und die wachsamen, hellgrünen Augen beherrschten sein markantes Gesicht. In seinen Händen, die wie ich fand, für einen Mann sehr schmal und feingliedrig waren, hielt er ein goldenes Ordensabzeichen. Auf der letzten Seite des Dokuments waren Angaben für mich abgedruckt, die wohl eine Art Arbeitsvertrag darstellen sollten. Laut der angegebenen Adresse wohnte dieser Hadley auf der anderen Seite des Krähenwaldes. Wenn ich den Weg durch die abgelegenen Waldpfade nehmen würde, die ich wie meine Westentasche kannte, würde mein Arbeitsweg nicht länger als eine Viertelstunde dauern.
***
Inzwischen waren zwei Tage vergangen und ich war leicht nervös bei dem Gedanken daran, dass nach dem Frühstück mein erster offizieller Arbeitstag anstand. Die letzten Nächte hatte ich häufig wach in meinem Bett gelegen und hatte versucht mich gedanklich darauf vorzubereiten, wie mein Arbeitsleben als Spenderin ablaufen würde. Ohne wirklichen Appetit schaufelte ich den Haferbrei in mich hinein, um meinen Magen wenigstens etwas zu beruhigen.
»Du kommst aber wieder nach Hause zurück?« Besorgt blickten mich Skays kindliche Augen vom Küchentisch herüber an.
»Natürlich«, versicherte ich meiner Nichte erneut, die die letzten Tage fast genauso unruhig gewesen war, wie ich selbst. Wahrscheinlich musste sie an Gina denken, die seit ihrer Einberufung keinen Fuß mehr in unser Haus setzen durfte. Wenigstens war ich von einem Umzug in das Kapitol verschont geblieben. Skay und ich saßen alleine am Frühstückstisch, da Marcus sich an seinen Schreibtisch zurückgezogen hatte. Seit gestern ein adressierter Brief an ihn eingetroffen war, benahm er sich noch seltsamer als sonst. Und irgendwie wusste ich, dass das nichts Gutes bedeuten würde.
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Die Blutspenderin
Fiksi IlmiahEnde des dritten Weltkriegs. Nach der Einberufung ihrer älteren Schwester Gina als Blutspenderin in das Staatskapitol, bleibt Ailina mit Ginas Tochter Skayla alleine zurück. Inzwischen kehren immer mehr Soldaten von der Front nach Agalega heim. Dar...