Am nächsten Morgen rannte ich beinahe, um meinen Mantel zu holen. Ich musste ganz dringend dieses Haus verlassen, um wieder atmen zu können.
»Komm' in einer Woche wieder. Ich denke, dass müsste zur Eingewöhnung reichen«, sagte Tareesa und reichte mir meine Wollhandschuhe.
»Eingewöhnung?«, hakte ich nach.
»Naja, es kann immer Komplikationen geben.«
»Aber ich dachte, mein Blut ist schon ausreichend getestet worden, sodass es hundertprozentig kompatibel ist.« Eine leichte Hoffnung machte sich in mir breit, dass ich vielleicht doch nicht die passende Spenderin war.
»Das stimmt schon. Aber es kommt auf die richtige Dosierung an. Man kann nie vorsichtig genug sein«, begrub Tareesa meinen Hoffnungsschimmer im nächsten Moment wieder.
»Hmm«, brachte ich lahm hervor.
Jonathan hatte nach meiner nächtlichen Erkundungstour kein einziges Wort mehr zu mir gesagt. Wahrscheinlich war ich auf seiner Beliebtheitsskala inzwischen schon kilometerweit in die Tiefe gestürzt. Mir war es nur recht, dass er sich irgendwo im Haus verkroch. Ein Dankeschön für meine Blutspende konnte ich von diesem Mann wohl nicht erwarten.
Als ich den letzten Knopf meines Mantels geschlossen hatte, trat ich auf die nasse Steintreppe und blickte in den trüben, feuchten Februarmorgen hinaus.
»Es wird besser«, waren Tareesas letzte Worte zum Abschied.
Bei der Vorstellung diese ganze Prozedur nächste Woche wieder über mich ergehen zu lassen, brannte es in meiner Kehle. Ich schenkte ihr ein Seufzen und kehrte dem Haus den Rücken zu. Ich fühlte mich beinahe beflügelt vor Erleichterung endlich wieder draußen zu sein. Obwohl die Vorstellung, dass Skay zusammen mit Marcus zu Hause auf mich warteten auch nicht gerade traumhaft war. Auf dem Rückweg durch den Wald versuchte ich meine Gedanken zu ordnen. Ich hatte das Gefühl, als hätte ich etwas Schreckliches verbrochen und würde nun dementsprechend dafür bestraft werden. Im stillen Wald begegnete ich keiner einzigen Seele und gelangte völlig unbemerkt zu unserer Haustür. Hinter der Tür hörte ich leises Lachen. Kurz hatte ich Panik, dass Marcus vielleicht das Haus mit Skay hätte verlassen haben können. Ich zwang mich meinen Mantel glatt zu streichen und mir nichts anmerken zu lassen. Schließlich wollte ich nicht, dass Skay sich Sorgen um mich machen musste, da sie es ohnehin schon alles andere als einfach hatte. Und Marcus. Ihm wollte ich die Schadenfreude über die Katastrophe, die ich hinter mir hatte auf keinen Fall gönnen. »Einfach lächeln, Kopf anheben, Augen zu und durch«, befahl ich mir, als ich an das Türholz klopfte.
»Ailina!« Skay rannte auf mich zu und schlang ihre Arme um mich. Fast hätte ich vergessen, wie gut sich das anfühlte. Ich wirbelte meine Nichte einmal im Kreis um mich herum.
»Willkommen zurück«, begrüßte mich auch Marcus, der gerade dabei war, eine Zeitung zusammenzufalten. Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann wir das letzte Mal eine Tageszeitung in unserem Haus gehabt hatten.
»Ich habe Tee aufgesetzt«, ergänzte er und deutete Richtung Herd.
»Wenn es euch nichts ausmacht, würde ich mich erst einmal umziehen und frisch machen.« Ich musste aus diesen Klamotten raus.
»Natürlich«, erwiderte Marcus.
»Achja, bevor ich es vergesse. Eine deiner Freundinnen, Lorena oder sowas in der Art, ist gestern Abend kurz hier gewesen«, fuhr er fort und hielt mich davon ab, die Treppe nach oben zu stürmen.
»Loredana«, verbesserte ich ihn.
»Entschuldige, Namen konnte ich mir noch nie merken.« Marcus aufgesetztes Lachen war in dem Sinne ansteckend, als dass es eine Gänsehaut bei mir auslöste.
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Die Blutspenderin
Science FictionEnde des dritten Weltkriegs. Nach der Einberufung ihrer älteren Schwester Gina als Blutspenderin in das Staatskapitol, bleibt Ailina mit Ginas Tochter Skayla alleine zurück. Inzwischen kehren immer mehr Soldaten von der Front nach Agalega heim. Dar...