Kapitel 32

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Wieder überschlugen sich meine Gedanken, als ich die Treppenstufen ins Untergeschoss nahm. Ich hatte so lange in meinem Zimmer gekauert, bis ich die Tür von Skays Zimmer ins Schloss hatte fallen hören. Was würde Marcus als nächstes tun? Ich wollte mir gar nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn Eleja nicht so urplötzlich im Rahmen meiner Zimmertür aufgetaucht wäre. Wie ich Skay unbemerkt aus dem Zimmer lotsen sollte, indem auch Marcus schlief, kam mir in diesem Moment wie ein unlösbares Rätsel vor und ich wusste, dass mir die Zeit davonlief.

Im Schein des kleinen Kaminfeuers im Wohnraum suchte ich jeden Winkel der Küche ab, schob jeden Stuhl beiseite und schaute sogar in den Schubladen nach, in der Hoffnung in zwei lebendige gelbe Katzenaugen zu blicken, obwohl dort nur eine Spielzeugfigur Platz gehabt hätte. Mr. Darcy war kein Nachtschwärmer. Die Nächte hatte er immer zusammengerollt auf meiner Bettdecke verbracht, anstatt draußen herumzustreunen. Während ich unter den Sofakissen nachschaute, beschlich mich wieder dieses ungute Gefühl. War mein Kater etwa Marcus in die Quere gekommen? Ich traute Marcus inzwischen alles zu. Bebender Zorn durchfuhr mich und trieb mir erneut Tränen in die Augen.

Als ich wieder im Obergeschoss war, hatten sich die nassen Tropfen auf meinem Gesicht in ein salziges Rinnsal verwandelt. Während ich gedankenverloren auf meine Zimmertür zusteuerte, entdeckte ich zwei leuchtend gelbe Punkte, die wie Bernsteine in der Dunkelheit funkelten. Mein Kater kauerte auf dem Schoß meiner Nichte, die sich vor Marcus Arbeitsplatz gekniet hatte. Keine Sekunde später war ich neben Skay in die Hocke gegangen.

»Er hat sich verletzt. Ich habe es im Flur Miauen gehört. Papa hat gesagt, es waren Einbrecher im Haus. Haben die ihm wehgetan?« Als Skay ängstlich ihre Hand aus dem Fell meines Katers löste, bedeckte warme, rote Flüssigkeit ihre Finger und zog sich bis über ihre blassen Handflächen. Es gab keine Einbrecher, dein Vater ist das gewesen. Würde Skay mir das jemals glauben? Konnte sie mit der Wahrheit überhaupt umgehen? Konnte ein Kind verstehen, dass der eigene Vater zu so etwas fähig war?

Sanft entzog ich ihr Mr. Darcy, dessen Körper sich schwach in meinen Armen hob und senkte. Ich spürte die Feuchtigkeit auf dem Fell im Bereich seines Bauches. Ein süßlicher, metallischer Geruch hing in der Luft, als ich das Ausmaß seiner Verletzung untersuchte. Die Wunde war nicht groß, aber blutete stark.

Wetten Marcus ist das gewesen, als er dein Zimmer verwüstet hat. Da hat er nicht mal auf deinen kleinen Kater Rücksicht genommen, sprach meine innere Stimme zu mir und stachelte die Wut auf ihn erneut an.

»Ich muss ihn zu einem Tierarzt bringen«, brachte ich hervor. Nur gab es in Agalega keinen, von dem ich wusste. Aber ich kannte eine Krankenschwester, die ganz sicher wusste, was Mr. Darcy jetzt brauchte. Tareesa musste ihm einfach helfen. Sie würde wissen, was zu tun ist.

»Darf ich mitkommen?« Auch in Skays Augen spiegelten sich Tränen. Normalerweise hätte ich das nicht erlaubt, aber diese Situation war nicht normal. Und mir dämmerte, dass das hier vielleicht meine einzige Chance war, Skay aus diesem Haus zu bekommen.

»Ja«, sagte ich.

Skay sah mich mit großen Augen an, ehe sie weitersprach. »Aber die Ärzte werden ihn wieder gesund machen, oder?«

»Bestimmt.« Hoffentlich. Wütend starrte ich auf Skays Zimmertür, hinter der Marcus sich verkroch. Anscheinend glaubte er wirklich, dass mich das Chaos in meinem Zimmer so eingeschüchtert hatte, dass ich mich wie ein braves Mäuschen darin verkriechen würde. Oder er hatte vor, diese Nacht nochmal wiederzukommen, um das zu beenden, zudem er nicht mehr gekommen war. Ich musste mich beeilen.

»Bevor wir losgehen, solltest du deine Hände waschen.« Ich nickte in Richtung der verkrusteten Blutschicht auf Skays Händen. »Und ich hole eine Decke für Mr. Darcy«, flüsterte ich.

Die BlutspenderinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt