Mit einem unguten Gefühl in der Magengegend schlug ich meine Augen auf und blickte mich orientierungslos um. Was war passiert? Mein Blick fing das abgestoßene Holzregal ein, in dem Kisten mit Stoffresten überquollen und ein zusammengerollter schwarzer Schatten war ein weiteres Indiz dafür, dass ich mich in meinem Zimmer befand. Langsam schoben sich Erinnerungsfetzen in mein Gedächtnis. Hätte ich nicht eigentlich im Haus meines Empfängers sein müssen? Jonathans Gesicht flackerte wie ein Windzug vor meinem inneren Auge auf und mein Gedächtnis versuchte nach Worten zu greifen, die er mir erzählt hatte. Meine Stirn fühlte sich glühend heiß an und meine Locken klebten unangenehm auf der schwitzigen Haut. Dann traf mich die Erkenntnis wie ein Schlag. Ich war doch nicht etwa? Aber die Erinnerungslücken waren Beweis genug dafür, dass ich vor den Augen meines Empfängers das Bewusstsein verloren hatte. Was danach passiert war, hielt mein Gehirn vorerst vor mir verschlossen. Schließlich waren Schritte auf der Treppe zu hören und wenig später klopfte es an der Tür.
»Ailina, du bist endlich aufgewacht! Kann ich reinkommen?« Skays Haarschopf lugte durch den Türspalt.
»Klar.« Meine Stimme klang seltsam und ich entließ ein kehliges Husten.
»Hier, ein Kräutertee. Jetzt kannst du ihn endlich trinken, die anderen Tassen sind alle kalt geworden.« Skays kleine Hände umklammerten einen Becher, den sie mir vor die Nase hielt. Ich bemerkte, dass mein Mund ganz trocken war und nahm ihr den Tee dankbar ab.
»Ich hoffe, der schmeckt. Ich hab' mich zum ersten Mal an Teekochen versucht.« Bescheiden blickte meine Nichte zu Boden.
»Riechen tut er schon mal wunderbar.« Ich lächelte Skay matt zu.
»Ich hatte schon Angst, du wachst nie wieder auf.« Mit einem bedrückten Gesichtsausdruck setzte sich Skay zu mir auf die Bettkante.
»Wieso das?«, murmelte ich.
»Naja, seit drei Tagen hast du dein Bett nicht mehr verlassen. Nicht, dass du darin festgewachsen bist.«
»Drei Tage?«, wiederholte ich erschrocken. Wie konnten drei volle Tage an mir vorbeiziehen, ohne dass sie eine einzige Erinnerung bei mir hinterlassen hatten?
»Oh anscheinend hat es mich voll erwischt«, sagte ich sichtlich benommen.
»Ein Glück waren diese Ärzte da, die von da kommen, wo Mama jetzt auch ist und haben sich um dich gekümmert. Papa wusste nämlich so gar nicht, was er tun sollte. Und ich auch nicht. Und einmal war diese Frau da.«
»Eine Frau?« Ich zog meine Augenbraue nach oben, was mich einiges an Kraft kostete.
»Naja die, da wo du immer zur Arbeit bist.«
»Tareesa?«, krächzte ich.
»Ja, ich glaub sie hatte so einen merkwürdigen Namen. Sie hat dir diese Kiste da mitgebracht.« Erst jetzt fiel mein Blick auf den Bücherstapel, der neben meinem Bett lag. Irritiert studierte ich die Buchtitel. Die wertvollen Stücke stammten auf jeden Fall nicht aus meiner geheimen Bücherkiste.
»Ah«, brachte ich mühsam zusammen. Neugierig griff ich nach einem der Bücher. Die befleckten und teilweise gewellten Seiten verrieten mir, dass die Bücher mehrfach gelesen worden waren und ich einige Titel davon bereits auf dem Fußboden von Jonathan Hadley gesehen hatte. Sollte das etwa eine Art Gute-Besserungs-Geschenk von meinem Empfänger sein? Tareesas Bücher waren das definitiv nicht.
»Sie ist richtig nett. Sie hat mir sogar selbstgebackene Kekse mitgebracht«, riss mich Skay von den Literaturwerken los.
»Habe ich sonst noch was verpasst?« In meiner geistigen Abwesenheit, ergänzte ich flüsternd. Ich bekam das Gefühl, die vergangenen Tage nicht einfach lückenlos zurückzulassen. Nicht, dass irgendetwas vorgefallen war und ich es einfach verschlafen hatte.
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Die Blutspenderin
Science FictionEnde des dritten Weltkriegs. Nach der Einberufung ihrer älteren Schwester Gina als Blutspenderin in das Staatskapitol, bleibt Ailina mit Ginas Tochter Skayla alleine zurück. Inzwischen kehren immer mehr Soldaten von der Front nach Agalega heim. Dar...