Zwei Wochen waren vergangen und das Blutspenden begann langsam zu einer Art Routine zu werden. Dreimal in der Woche erschien ich gegen acht Uhr bei den Hadleys, frühstückte ausgiebig, um Jonathan anschließend mit meinem Blut zu versorgen. Inzwischen hatte ich mir einen leichten Schutzpanzer zugelegt, um mich gegenüber seinen Launen abzuschirmen. Fast immer, wenn ich eintraf, befand Jonathan sich im Wintergarten und schaute gedankenverloren in den vom Winter noch kahlen Garten hinaus. Mittlerweile wusste ich, dass der Korbsessel mit dem blauweißgestreiften Kissen, sein Lieblingsplatz war. Ich wurde ziemlich gut darin ebenfalls eine gefühlslose Miene aufzusetzen und so wenig wie möglich mit ihm zu reden. Tareesa hingegen war jedes Mal freundlich und kümmerte sich fast wie eine Mutter um mich. Ich hatte begonnen bei jedem Besuch eines meiner Bücher mitzubringen, was ich während der qualvollen Stunden des Blutspendens laut vorlas. Das schien wirklich das Einzige zu sein, was Jonathan an mir gefiel. Aber auch die letzten Wochen änderten nichts daran, dass ich meinen Arbeitgeber immer weniger ausstehen konnte. Er war fies und hatte die Fähigkeit, dass ich mir jedes Mal blöd vorkam, wenn ich den Mund aufmachte.
Gerade war ich dabei den Faden in die Nadel einzufädeln, was aufgrund der Bewegungseinschränkung durch die zahlreichen Schläuche gar nicht so einfach war, als Jonathan mich genervt darum bat das Kerzenlicht zu löschen. Da übermorgen der Märzfeiertag bevorstand und ich mit meinen Schneideraufträgen noch deutlich hinterherhinkte, hatte ich meine Arbeit einfach in die Nächte hierher verlagert. Aufgrund dessen hatte ich keine Zeit mehr ihm etwas vorzulesen.
»Jetzt habe ich mir schon wieder in den Finger gestochen!«, fuhr ich ihn entnervt an, da mich seine Worte abgelenkt hatten. Die starren Kunststoffschläuche trugen ihr Übriges dazu bei, dass das Nähen während einer Blutspende alles andere als einfach war.
»Sie wissen schon, dass mir Ihre Blutstropfen zustehen und nicht der Nadel.«
»Höflich wie immer«, entgegnete ich murmelnd.
»Keine Sorge, ich ändere mich nicht.« Er sah mich einfach nur an, sein Blick undurchdringlich wie immer. Daran habe auch ich keinen Zweifel, sagte ich zu mir selbst.
»Ich könnte Ihnen ein Schlaflied singen, wenn Sie darauf bestehen«, erwiderte ich leicht sarkastisch.
Kurz zuckte er zusammen, wahrscheinlich wieder einer der Schmerzschübe, an die ich mich inzwischen gewöhnt hatte.
»Nein Danke, ich möchte mein Gehör noch möglichst lange erhalten«, krächzte er und die Andeutung eines Lächelns glitt über sein Gesicht.
Als der Morgen anbrach, hatte ich aus dem halbfertigen Schnittmuster fast ein fertiges Kleid genäht. Die Nacht war nicht einfach gewesen, da mir aufgrund des Blutverlustes immer wieder die Augen zugefallen waren und meine Muskeln von der eintönigen Handbewegung des Nähens schmerzten. Ein wenig stolz blickte ich auf das fast fertige rote Volantkleid und fuhr mit meinen Fingern durch die feinen Rüschen am Rocksaum. Den Rest würde ich heute Nachmittag erledigen und Loredana damit hoffentlich ein Lächeln ins Gesicht zaubern.
»Wofür um alles in der Welt haben Sie sich mit diesem Kleid die Nacht um die Ohren geschlagen?«, begrüßte mich Jonathan. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass er wach war.
»Das Kleid ist für den Märzfeiertag«, sagte ich fröhlich. Ich musste zugeben, dass ich mich auf das Fest freute und endlich etwas Abwechslung in meinen tristen Alltag bekam.
»Aha«, kam es von der benachbarten Liege.
»Vielleicht... sehe ich Sie auch dort?«, versuchte ich es unbefangen, stieß damit aber auf einen eisigen Blick meines Gesprächspartners.
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Die Blutspenderin
Science FictionEnde des dritten Weltkriegs. Nach der Einberufung ihrer älteren Schwester Gina als Blutspenderin in das Staatskapitol, bleibt Ailina mit Ginas Tochter Skayla alleine zurück. Inzwischen kehren immer mehr Soldaten von der Front nach Agalega heim. Dar...