Erinnerungen an England

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Obwohl ich Subaru mittlerweile viel negatives zugetraut hatte, brachte er mich lediglich nach Hause.
„Vielleicht hat er eine gespaltene Persönlichkeit?", vermutete ich als mir wieder sein sprunghaftes Gemüt ins Gedächtnis kam. Im einen Moment brüllt er mich an und im nächsten bringt er mich nach Hause und gibt mir sogar etwas zu Essen aus. Er verwirrte mich immer mehr. Wie sollte ich so jemanden oberservieren können, der sich den ganzen Tag verstellte und nie sein wahres Gesicht durchblicken ließ?

Nun war es schon zwei Tage her. Inzwischen konnte ich mich im Krankenhaus behandeln lassen und war fürs Erste krank geschrieben. Leider musste ich weiterhin einen Verband um meinen Kopf tragen, weil die Wunde öfters wieder aufgegangen war. Ich war viel zu hektisch und ich sollte eigentlich nur das Bett hüten. Allerdings gab es niemanden der mich versorgen konnte, außer mir selbst. Meine Kollegen würden nicht die Eltern für mich spielen.
Wiedermal saß ich auf meiner kleinen Nische am Fenster und stellte meine Teetasse, zu der längst vergessenen, Kaffeetasse, wohlwissend das ich meinen Tee ebenfalls vergessen würde.
So war es immer.
>>Ob sie sich geirrt haben?<<, dachte ich nach und lehnte mich zurück. Mein Blick fiel auf das große Fenster der Villa, der ich gegenüber wohnte.
Subaru wusste, dass ich ihn beobachtete, sowie ich wusste, dass er mich beobachtete. Seine Brillengläser reflektierten das Licht, machten ihn für mich sichtbar, obwohl er im Schatten des Hauses verschwand, wäre da eben nicht seine Brille, die nicht zu ihm passen wollte. Das Licht verschwand, mit ihm der junge Mann. Welches Ziel er wohl verfolgte?
Er musste sich ziemlich sicher fühlen, wenn es ihm egal war, dass er bei seiner Beobachtung gesehen wurde.
Ich seufzte schwer, als ich daran dachte, dass ich meinem Team bald einen Bericht schicken musste. Observierungen waren anstrengend, wenn auch nicht so schlimm wie den Tod als ständigen Begleiter hinter sich zu haben. Er war ein dunkler Schatten, der mich seit Beginn meiner Karriere verfolgte. Es wurde immer schwieriger, Menschen zu finden und sie zur Not hinzurichten. Ich konnte nicht mehr. Wie viele Leben sollten noch auf meiner Liste stehen?
Ich schüttelte mich, mochte nicht an den Tod denken, der mich früher oder später selbst durch meine Arbeit ereilen würde.
Die Klingel meiner Haustür ertönte schrill und laut im Flur, drang unangenehm in meine Ohren. Sie war alt und klang dementsprechend unangenehm schrill.
„Wenn du was willst, warum rufst du nicht wie jemand normales an?"
Mein Tonfall war das komplette Gegenteil von dem was ich fühlte. Ich freute mich über Gesellschaft, war ich doch zu oft allein.
Subaru ging ein paar Schritte zurück, sodass ich ihn sehen konnte. Als er zu mir hoch sah, reflektierten seine Brillengläser erneut das Licht. Es brannte in meinen Augen.
Ich war so in meine Gedanken vertieft, dass ich gar nicht mitbekommen habe, wie er sein Haus verlassen hat und mein Grundstück betreten hat. Selbst das klemmende Tor hatte ich überhört und gar nicht mitbekommen, wie er sich meiner Haustür genähert hat.
>>Du wirst unaufmerksam!<<, tadelte mich die Stimme meines Chefs in Gedanken, der nur nach einem triftigen Grund suchte, um mich endlich aus seinem Team werfen zu können.
Grummelnd rollte ich mich von der Fensterbank, wobei ich mit meiner Hand die Tassen streifte und sie vom Fensterbrett stieß. Drei Sekunden später hörte ich wie sie auf der Wiese landeten und zerbrachen. Ohne noch einen Blick zu riskieren lief ich die Treppen hinunter und öffnete die Haustür.

„Du solltest dir das abgewöhnen."
Schweigend sah ich den Mann vor mir an, wusste nicht, was ich dazu sagen sollte.
„Du hast zu viel Freizeit, wenn du mich die ganze Zeit über beobachten kannst." Ich hob bloß meine Schultern. Es war nicht verboten, jemanden einfach nur zu beobachten, zumal er selbst nicht aufhörte, mich zu beobachten.
Sein Blick blieb bei meinem Verband hängen, bei dem er leicht den Kopf senkte, als täte es ihm leid, wo er doch gar keinen Grund dazu hatte, sich deswegen schlecht zu fühlen. Dahinter steckte sicher etwas anderes. „Normalerweise habe ich keinen Besuch, der sich fürchten müsste, dass etwas vom Himmel fallen könnte."
Eigentlich hatte ich überhaupt keinen Besuch. Weder in England noch hier gab es Menschen, die mich so sehr mochten, dass sie mich besuchen kamen. Ich war ohne Familie und Freunde aufgewachsen, die meine Nähe suchen würden.
Subaru seufzte, aber es wirkte gespielt, als wollte er etwas anderes verschleiern. War es ihm vielleicht unangenehm, mich zu fragen, mit ihm mitzukommen?
„Wenn du schon nichts zu tun hast, kannst du auch mitkommen."
Er packte mich an meinem Handgelenk und zog mich ein Stück, bis ich mich dagegen stemmte. So einfach ließ ich mich nicht entführen.
„Hör auf Kranke zu trizen. Mach mir lieber was zu Essen statt zu nörgeln."
Perplex starrte ich ihn an. Das Benehmen der Oberschüler färbte wohl bereits ein wenig an mir ab. Mich so kindisch zu verhalten sah mir eigentlich gar nicht ähnlich.
Er hob skeptisch eine Augenbraue.
„Du bist den ganzen Tag allein, sorgen sich deine Eltern nicht?"
Ich suchte alle Erinnerungen meiner Eltern zusammen, die ich besaß, doch nichts deutete auf Zuneigung hin. Eher würden mich beide umbringen. Doch stattdessen sagte ich: „Meine Eltern sind im Ausland geblieben. Nur weil es mir nicht gut geht, können sie nicht ihre ganzen Termine verlegen."
Subaru's Hand rutschte meine Hand hinab, berührte meine Fingerspitzen. Ein mir fremdes Gefühl durchfuhr mich. Ich spürte seine Wärme immer noch, obwohl sie mich nur kurz berührt hat. Meine Fingerspitzen kribbelten und wollten noch mehr dieser Wärme.
„Wenn dem so ist, mache ich dir ausnahmsweise etwas. Lassen wir das nicht zur Gewohnheit werden. Nicht das die Nachbarn denken ich verführe eine Schülerin."
Sein Ton hatte etwas neckisches. Es war ungewohnt ihn witzeln zu sehen, hatte ich ihn stets als ernste Person eingeschätzt.
„Komm mit!"
Ich folgte Subaru in die Villa, die eigentlich Shinichi Kudo's Familie gehörte. Shinichi Kudo war schon längere Zeit verschwunden. In unserer Datenbank war er lediglich als Oberschüler bekannt, der ein paar Mordfälle gelöst hat. Wir hatten ihn als äußerst intelligent bezeichnet, dann schien er in etwas verwickelt worden zu sein, in dessen Strängen er sich besser nicht verworren hätte. Sein plötzliches Verschwinden war viel zu auffällig. Jemand wie er zog sich nicht einfach zurück, nicht wenn er solch eine Gabe hatte.
>>Neugier ist der Katze Tod<<, sagte man immer. Doch die Katze lebte, offenbar im Unwissen der Leute die ihm auf der Spur waren. Dieser Conan hatte eine verdächtige Ähnlichkeit zu Shinichi Kudo.
„Steh da nicht so rum. Hilf mir!"
Ohne das ich es bemerkt habe, waren wir in der Küche angekommen und Subaru legte mir gewaschenes Gemüse hin. Ich musste endlich aufhören zu träumen!
„Du scheinst, als könntest du mich nicht leiden, trotzdem machen wir zusammen essen."
„Hast du mir einen Anlass gegeben?"
Ich blinzelte überrascht. Warum war er plötzlich wieder so nett zu mir?
„Du hast mich zusammengestaucht, als ich ich dir im Weg stand."
Alice."
Ich hielt inne.
Das scharfe Messer in meiner Hand zitterte. Nein, das stimmte nicht ganz. Meine unruhige Hand zitterte. Etwas daran, wie er meinen Namen sprach weckte eine Erinnerung in mir. Unwillkürlich musste ich an den Mann denken, der mir in England das Leben gerettet hatte, ohne es zu wissen. Es war ganz anders, als zu dem Zeitpunkt, zu dem wir zusammen im Auto saßen. Mir wurde ganz heiß. Mein Herz wollte nicht mehr aufhören schneller zu schlagen.

Erinnerung

,,Are you okay?", erkundigte sich ein schwarzhaariger Mann, auf Englisch nach meinem Befinden, während ich verloren auf der Tower Bridge stand und in das dunkle Wasser starrte.
Mitleidlos prasselte der Londoner Regen auf uns beide herab. Es störte mich nicht, dass ich keinen Schirm hatte und nur ein schwarzes kurzes Kleid trug. Es war mir egal, würde ich krank werden. Ganz so, als schrie alles in meinem Kopf noch immer danach, dass ich es verdient hätte, für mein Leben bestraft zu werden.
Mein Gesicht, rot und geschwollen von meinen salzigen Tränen, die ich nicht aufhören wollte zu weinen.
Seine Augen hatten eine solch ungewöhnliche Form, sie waren unvergesslich. Dazu die stechend grünen Iriden, die so gar nicht zu seiner eindeutig japanischen Herkunft passten. Er dürfte erkannt haben, dass ich keine Japanerin war, aufgrund meiner Haarfarbe und meines eher europäischen Gesichts.
Seine Augen hatten mich für einen längeren Augenblick so sehr gefesselt, dass ich kurz aufhörte zu weinen.

Es war ein trauriger Tag, ein Ereignis das vier Jahre zurücklag. Mein Kollege war bei einer Geiselnahme ums Leben gekommen, er hatte sich für das Leben eines Kindes geopfert und dabei sein eigenes verloren.
Eine Kugel traf ihn ihm Nacken, dort wo seine Schutzweste aufhörte und sein Helm keinen Schutz bot, als er den Kopf gesenkt hatte, um sich schützend vor das weinende Mädchen zu werfen. Ich mochte den Mann, der sich opferte um ein anderes Leben zu verlängern. Das Schlimmste daran war jedoch, dass er mir nur einen Augenblick vorher seine Liebe gestanden hatte. Es war selbstsüchtig von ihm, mir solche Worte zuzusprechen. Ich wollte ihn so sehr dafür hassen, doch ich liebte ihn nach all der Zeit immer noch.
Unsere Beziehung hatte geendet bevor sie überhaupt begann. Ich vergab ihm. Mir konnte ich jedoch nicht verzeihen, ihm nicht gesagt zu haben, was ich fühlte, bevor sich seine Augen für immer schlossen. Ich wollte wissen, wie es mit uns weiter gegangen wäre, doch ich hatte nicht einmal einen Anfang gehabt.
>>Habe ich mein Glück vielleicht schon verbraucht?<<, fragte ich mich und sagte mir, ich habe kein Glück verdient.
,,Don't be sad. Would he be happy if he saw your tears? You should smile so as not to make him feel bad. Show him you are okay."
Seine Worte hatten mir Trost gespendet, obwohl ich traurig war lächelte ich. Woher wusste er nur, dass ich jemanden verloren habe, den ich liebte?
,,What's your name, sad girl?", fragte er und brachte mich zum lachen, allein durch den zu mir passenden Spitznamen. Ich war wirklich ein trauriges Mädchen.
,,Arisu."
Er lächelte, dass er mir seinen Namen nicht verriet störte mich nicht.
,,"I don't want to live", is that what's going through your mind right now, Alice?"
Ich war überrascht. Noch nie hatte mich jemand Alice genannt. War es töricht, wenn ich sagte, ich mochte es, wie er mich nannte, obwohl ich traurig war? Vielleicht hat er mich auch einfach falsch verstanden?
,,I think I could leave you in good conscience. I have to go now."
Sein sanftes Lächeln reichte mir, ich brauchte nicht noch einen Abschied.

Ende

Arisu", wiederholte Subaru meinen richtigen Namen und nahm mir das Messer ab, das gefährlich in meiner Hand zitterte. Habe ich mir das gerade eingebildet? Perplex starrte ich ihn an, traute mich nicht zu fragen, ob ich mich verhört habt.
„Setz dich. Ich mach das selbst. Nicht das du noch jemanden abstichst. Setz dich da rüber!", forderte er und nickte zum Esstisch hinüber. In Gedanken war ich noch immer in der Vergangenheit, während ich zu einem der Stühle schlurfte und mich setzte.
Plötzlich suchte mich mein schlechtes Gewissen heim, weil ich den Mann wiedersehen wollte, der mich damals vor einer dummen Entscheidung abgehalten hat, die ich vielleicht getroffen hätte, wäre ich dem mysteriösen Mann damals nicht begegnet.
Wenn ich nur seinen Namen wüsste...

Undercover ( Detektiv Conan FF) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt