Part 3

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Whyever you wandered
Into this little life of mine,
However you found me,
It matters not.
Forget the way you came,
I never want you
To go back
Again.

- Tyler Knott Gregson -

Woah.
Woah.
Ich glaube, meine Augen verwandelten sich in genau dem Moment in zwei riesengroße Tennisbälle. Allein dieser Satz, der so einfach klingt aber so viel aussagt, riss mich komplett mit. Er hatte das Gefühl, nach draußen gehen zu müssen. Das Gefühl. Genau wie ich.
Ich merkte gar nicht, dass ich mit meinem Blick einen kleinen Grashalm fixierte, der sich durch die Steinplatten den Weg an die Oberfläche erkämpft hatte. Ich hörte ihn nur, wie er ausatmete und merkte, wie er seine Sitzhaltung veränderte. Er setzte seine beiden Hände hinter sich auf den Steinen ab und schaute nach oben. In der Hoffnung, zu sehen, was er sah, zu erkennen, was er erkannte, tat ich es ihm gleich. Dutzende Sterne hatten den Weg an das nächtliche Himmelszelt gefunden. Ich kannte mich nicht besonders aus mit ihnen, erkannte aber den großen Wagen sofort. Er war immer da, um uns den Weg zu weisen, genau wie der Mond, der große, helle Riese, der des nachts am Himmel steht, auf uns aufpasst und Licht schenkt.
Nun sah ich, wie er seinen Arm bewegte, und die Hand vor sein Gesicht hielt.
„Das hab ich mal in einem Film gesehen", lächelte er beinahe schüchtern. Die ganzen sozialen Gepflogenheiten, die jeder von uns sich angewöhnt, waren ihm komplett egal. Vor seinen kumpels hätte er sicher nicht zugegeben, dass er das leuchten der Stille geschaut hat.
Seinen Daumen hielt er hoch, so das der Mond von ihm bedeckt wurde. Er lehnte sich ein wenig zu mir rüber, damit ich den Effekt besser erkennen konnte.
„Der Mond ist immer gleich groß, egal, wo du bist.", führte ich seinen Gedanken weiter.
Wir saßen noch gefühlte Stunden beieinander, ohne miteinander zu reden. Die Stille war jedoch keineswegs unangenehm, wir hingen beide unseren Gedanken hinterher. Ich musste immer wieder daran denken, wie komisch, furchteinflößend und gleichermaßen schön und besonders das Gefühl war, fremdgesteuert zu sein. So ein Gefühl habe ich noch nie erlebt, es kribbelte überall in meinem Körper, mit war warm wie schon lange nicht mehr, aber ich fühlte auch eine seltsame Taubheit. Auf die Frage, die immerzu in meinem Kopf herumschwirrte, warum zur Hölle ich fremdgesteuert wurde, wusste ich verdammt nochmal keine zufriedenstellende Antwort. Um das Gefühl abzuschütteln, beobachtete ich die Sterne. Ich suchte geradezu neue sternenbilder und war wie jedes Mal fasziniert davon, wie die Sterne nach längerem beobachten immer und immer dunkler werden. Dumpfe Fußstapfen und eine helle Stimme rissen mich aus meinen Gedanken.
„Gefunden!" Veronica stand hinter uns, atmete schwer und hatte einen Arm in die Hüfte gestemmt, mit dem anderen strich sie sich ihre Blonden Strähnen aus dem Gesicht. Auf ihren Wangen befand sich ein roter Schimmer, der ob der Dunkelheit nur ganz leicht zu erahnen war. Hätte ich aus den anderen Anzeichen nicht schließen können, das sie gelaufen war, hätte man auch etwas anderes vermuten können. Der Punkt, das Kai nun mit ebenso roten Wangen angelaufen kam, festigte meine Argumentation.
„Mann, wir haben euch in der ganzen Schule gesucht!" Kai sah mit einem vorwurfsvollen Blick in unsere Richtung. Als wir aufstanden, zog mich Veronica schnell zu sich, ließ mich aber sofort wieder los, als hätte sie sich verbrannt, als sie merkte, das ich noch immer klitschnass war. Ich sah genau, wie ihr Blick erstmal meinen gesamten Körper scannte, von oben nach unten, und sie danach genau das gleiche mit Carlo tat. Als sie mit ihrer Inspektion fertig war, schlich sich ein verschmitztes Grinsen auf ihre Lippen. „Ihr seid komplett nass", stellte der Große fest, betonte es jedoch wie eine Frage. „Ja, wir wollten ein bisschen schwimmen.", nun grinste auch Carlo. Ich musste auch grinsen und schlang mir meinen warmen Mantel um den Körper, der auf den Steinen lag. Mir war mittlerweile verdammt kalt. „Seid ihr behindert oder so? Das Wasser hat wahrscheinlich keine drei grad" fuhr uns Veronica an. „Ihr hättet euch den Tod holen können." sie sah sehr, sehr böse aus, sie hatte den gleichen Blick drauf, den ich durch meine Arbeit in der Krippe perfektioniert hatte. Ich benutze ihn immer, wenn ein Kind ein anders schlug, biss oder kneifet, und das war weiß Gott ziemlich häufig los. Hinter ihrer ärgerlichen Fassade konnte ich ernsthafte Besorgnis und beinahe Angst erkennen. Ich kannte Veronica gut genug, um sie lesen zu können, wie ein Buch und mich nicht von ihrer Fassade, die oftmals anders handelt, als ihr Herz, verschrecken zu lassen. Sie ist wie Jessica aus until dawn.
„Ich war in das Becken gefallen, Carlo hat mich rausgezogen", schoss ich. Veronica und Kai starrten mich ungläubig an. „Zum Glück ist er gekommen, ich meine, mir wurde schon schwarz vor Augen..", plapperte ich weiter, um sie von der Situation zu überzeugen und ihre Stimmung zu bessern. Ich konnte ihnen ja kaum sagen, was tatsächlich passiert war. „Du kannst doch schwimmen." erwidert Veronica, diesmal mit einem skeptischem Unterton.
In der Schule angekommen verfrachteten sie uns beide in zwei Stühlen und brachten uns heißen Tee, den ich dankbar annahm. Zwar mit Milch und zucker, was sonst nicht so mein cup of tea ist, aber immerhin wärmte mich das warme Getränk von innen. Es war so, als würde ein kleines Alien in meinem Ohr sitzen, und mir die ganze Zeit die schönsten Komplimente zuflüstern. Ich sah, wie Kai und Veronica angeregt miteinander sprachen. Ich hörte nur „das kann doch nicht sein" „lebensmüde" „in letzter Zeit" und „Angst". Veronica ließ sich von meinem Blick gar nicht beirren, Kai hatte seine große Hand auf ihre Schulter gelegt und nickte, während sich Veronica anscheinend richtig in Rage redete. Ich hatte meinen Tee schon beinahe ganz ausgetrunken, als Veronica zu mir kam, mir ein großes, weißes Handtuch reichte und mir verkündete, das wir heute einen mädelsabend machen würden. Mädelsabende mit veronica laufen jedes Mal komplett gleich ab. Zuerst bestellen wir uns Pizza oder etwas beim Italiener, wir machen uns einen Film auf Netflix an und quatschen dabei viel mehr über ihre letzte Eroberung, als mir lieb wäre. Gerade heute hätte ich einen Moment in der Wanne, nur mit mir und meinen unendlichen Gedanken gut gebrauchen können, aber sie ließ kein „nein" zu. Noch mit dem Handtuch um den Körper gewickelt - es war eines der Schule, welches wir immer zum schwimmen genommen hatten- verfrachtete sie mich in ihr kleines Auto, machte ihre Playlist auf Spotify an und parkte aus. Zum Glück mussten wir nur fünf minuten fahren, ich konnte mittlerweile meine zähen nicht mehr spüren, und ich wollte endlich neue, trockene und warme kuschelsocken anziehen und mich unter einer kuscheligen Decke vor dem Rest der Welt verkriechen. Der Tag heute war so komisch. Die komische Situation mit dem Fremdbestimmt sein, und das mein crush, der Kerl, in den ich unwiederbringlich verliebt war, mich gerettet hatte. Langsam breitete sich ein Kopfschmerz in meiner rechten Schläfe aus, der unermüdlich pocherte. Ja, heute war viel zu viel los gewesen.
Wir bestellten uns etwas bei Veronicas lieblingsitaliener, den sie nur noch mit „fabrizio" ansprach, und ich freute mich riesig auf meine Portion Tortellini überbacken in Schinken-Sahne-Sauce, aber noch mehr freute ich mich über die rosa kuschelsocken, die übergroße, dunkelblaue sweatpants aus weichem Stoff und den grauen Pulli, die mir Veronica gleich in die Hände drückte. In dem weichen Mischmasch aus Baumwolle und Polyester fühlte ich mich wie neu geboren. Sie umhüllten mich wie die Wärme an einem der wenigen Sommertage, die Sonne, die draußen schien und die Vögel, die morgens ihr Lied sangen.
Als es jedoch zur Auswahl der Filme ging, horchte ich wieder auf. Das leuchten der Stille war in Veronicas Watchlist. Ich bin eigentlich immer mit jedem Film einverstanden, den sie anmacht, und möchte die unangenehme Situation gerne umgehen, sich um einen Film zu streiten, und stimme deshalb allem zu, doch dieses Mal nicht.
„Hey, ich hab richtig Lust auf den." ich zeigte mit der Hand auf das Filmplakat. Veronica nickte nur. Ich glaube, heute würde sie mir alles durchgehen lassen. Als ich mich umgezogen hatte, hab ich ein Telefonat von ihr mit Kai zufällig mitgehört. „Sie wollte sich umbringen", meinte sie. Das ist wohl ein wenig überdramatisiert, aber sie weiß, dass ich mein Leben unheimlich langweilig finde.
Als die Szene mit dem Mond kam, musste ich wie eine fünfzehn-jährige ganz, ganz dämlich Lächeln. Veronica schaute mich aus dem Augenwinkel an, aber sie konnte den Zusammenhang nicht geschlossen haben. Woher auch? Ich bin einfach zu paranoid, aber ich denke jedes Mal, das ich unheimlich offensichtlich mit meinen Gefühlen bin. Nachdem wir unsere Bäuche mit Nudeln und bruschetta vollgeschlagen hatten, machten wir noch Gesichtsmasken und lackierten unsere Nägel. Meine waren eigentlich immer Natur, manchmal hatte ich so Phasen, in denen ich meine Nägel jede Woche neu lackierte und immer penibel darauf achtete, das sie perfekt gefeilt waren, aber die hielten nie lange an. Im moment waren meine Nägel kurz und glanzlos. Veronica verschaffte dem Abhilfe und trug einen dunkelroten Nagellack von Essie auf.
Der Abend war tatsächlich sehr schön. Ich genoss die Zeit mit ihr sehr, solche mädelsabende machten wir viel zu selten. Als ich mich in das Bett neben Veronica kuschelte, schlief ich sofort ein.
Die nächsten Wochen flogen an mir nur vorbei. Wir hatten durchgehend Programm. Erst feierten wir mit den Kindern halloween, bastelten und verkleideten uns in der Kita, was ziemlich cool war. Zwar setzte ich mir einfach einen Hexenhut auf, und das war's, weil die krippis vor gruseligen Verkleidungen doch ziemlich Angst haben, aber die kleine Feier hat trotzdem allen großen Spaß gemacht. Bei uns liefen viele kleine Prinzessinnen, Fledermäuse und Kürbisse durch die gruppenräume, davor schmückten wir diese mit Girlanden und luftballoons und aßen Kartoffelsalat und chicken nuggets. Nachdem wir Halloween erfolgreich hinter uns gebracht hatten, bereiteten wir schon die Weihnachtszeit vor. Weihnachten in der Kita ist meine allerliebste Zeit, und auch allgemein könnte das ganze Jahr über Weihnachten sein. Wir bastelten, sangen und lasen ganz viel, und obwohl wir die Zeit alle sehr genossen, war sie unheimlich anstrengend. Am letzten Tag, bevor die Kita zwischen den Jahren zumachte, hatten wir eine kleine Weihnachtsfeier mit einem Buffet. Alle Eltern kamen und feierten mit uns und ihren Kindern, und nachdem der Tag vorbei war, waren wir alle komplett fertig mit den Nerven.
„Hey, was machst du eigentlich zwischen den Jahren?" fragte mich Danielle, als sie sich gerade ihren Rentier-Haarreif absetzte. „Ich weiß noch nicht, vielleicht fahren Clark und ich nach Schottland hoch, seine Eltern haben da ein kleines cottage", erwiderte ich, als ich mir gerade die Haarnadel rauszog, mit der ich meinen heiligenschein-Haarreif befestigt hatte. Wir hatten uns alle verkleidet, Lottie trug einen haarreif, an dem zwei kleine Tannenbäume wackelten, und Jenna hatte eine weihnachtsmannmütze auf ihrem Kopf. „Aha, Du und Clark, alleine im cottage.", grinste mich die blonde verschmitzt an. Ich verdrehet meine Augen, musste aber auch grinsen. Seit die drei einmal bei einer kleinen Feier dabei waren, und dort Clark getroffen haben, sind sie alle total besessen von der Idee, das wir das perfekte Paar wären. „Ja, es wird sicherlich unheimlich romantisch, wenn er mir ununterbrochen von James vorschwärmt.", führte ich ihren Gedanken weiter. „Das ist doch nur Alibi", meinte sie grinsend. Ich prustete laut und schüttelte meinen Kopf. „Du brauchst einfach jemanden wie Clark." die drei, gerade Danielle und Jenna, lächerten mich regelmäßig über mein Liebesleben aus. Sie bekamen immer die gleichen Antworten. ‚Ja, alles wie immer', ‚ich hab mit dem Kerl auf Tinder geschrieben, aber der ist mega komisch' oder ‚joa, ich hab den von letzter Woche geghosted'. „Nur hetero?", fragte ich grinsend. „Nur hetero.", meinte sie überzeugt. „Naja, wie auch immer, vielleicht schafft ihr es ja zu dem Hallenturnier." „zu welchem Hallenturnier?" „Dima's Verein veranstaltet jedes Jahr ein Hallenturnier am 6. Das macht immer mega Spaß, es wird laute Musik gespielt und die Spiele sind auch echt spannend." „Achso, Fußball?" „Genau. Das ist in Pett, wenn du magst schick ich dir die Adresse nochmal auf WhatsApp." ich zog mir gerade meinen Mantel an, als ich ihr zunickte. „Ja, mal schauen, vielleicht schaffen wir's ja."
Am nächsten Tag traf ich mich tatsächlich mit Clark. Mein gesamtes Auto war vollgestopft mit Proviant für den Weg, Koffern und Taschen. Der Weg nach Helmsdale würde etwa 12 Stunden dauern, und langsam fing es an, zu schneien. Es war Acht Uhr morgens, und ich war ziemlich müde. Ich hatte es nur geschafft, zu duschen und mein obligatorisches porridge zu essen, dann musste ich schon los.
Ich hatte meinen großen thermobecher mit Harry Style's Gesicht drauf in meiner Hand, der zum Bersten gefüllt mit einem Caffè Mocha war. Den Becher hatte mir Clark vor Jahren zum Geburtstag geschenkt, weil er mich immer mit meiner Liebe zu Harry Styles und one direction aufzog. Wir hörten meine gesamte glee-playlist zwei mal durch und sangen zu jedem Lied lauthals mit, als wir endlich in dem kleinen, beschaulichem Örtchen genau an der See angekommen waren. Es lag schon Schnee und dicke Flocken schwebten sanft auf meine hellbraunen Haare, die in Wellen auf meine Schultern fielen. Ich liebte den Winter.
Das kleine cottage lag verschlafen und träumerisch an dem Rand von helmsdale, Efeu wuchs wie ein Bogen über die Haustür und an den Fenstern bildeten sich kleine Eiskristalle. Das dunkelbraune Schindeldach war von einer dicken Schneeschicht bedeckt. Es war wunderschön.
Wir packten erstmal aus und feierten den Kamin an, bevor wir es uns auf dem großen Sofa bequem machten und die erste dvd von Harper's Island in den Fernseher schoben. Ich liebte die Serie, es ist die beste horrorserie, die ich je gesehen habe. Clark und ich schauten die halbe Serie an diesem Abend, bevor ich todmüde in das große, weiche Bett fiel.
Am nächsten Tag gingen wir in das Dorfzentrum. An dem Marktplatz stand ein großer, stämmiger Mann mit einem dichten, grau-meliertem Vollbart vor vielen Tannenbäumen. Nachdem wir uns einen ausgesucht und zuhause festlich geschmückt hatten, gingen wir raus, um zu spazieren. Das machten wir häufig, und die Natur in den highlands war einfach wunderschön. Wir gingen durch einen kleinen Wald, und Clark scherzte die ganze Zeit, dass er mich sicher nicht essen würde, wenn hier wendigos auftauchen würden.
Am nächsten Tag war Heiligabend. Wir gingen in die kleine Kirche, und ich musste Clark beinahe mitschleifen. Er ist Atheist und nicht gerade on friendly terms mit der Kirche, was ich auch ziemlich nachvollziehen kann. Lange Zeit war ich auch alles andere als gläubig, das hat sich jedoch vor sechs Jahren schlagartig verändert. Ich war gerade 16, als meine Familie mir nachreiste, um gemeinsam einen Urlaub in den Niederlanden an der see zu verbringen. Ich war mit einer Reisegruppe für Jugendliche schon vorgefahren, und meine ältere Schwester Theresa sowie meine Eltern wollten später nachkommen. Sie erst eine halbe Stunde gefahren, als das Auto vor ihnen einen Unfall baute. Der Fahrer hatte gerade eine neue Familie gegründet und hatte dementsprechend wenig geschlafen. Das Baby hatte die ganze Nacht gebrüllt. Er ist eingeschlafen. Sekundenschlaf. Der kleine Ford meiner Eltern ist mit 100km/h ungebremst gegen den großen suv geprallt. Alle drei waren sofort Tod.
Die Kirchengemeinde hat mir viel geholfen in der schwierigen Zeit danach. Ich habe in einer kleinen Wohnung gewohnt, die von der Kirche gestellt wurde, da ich alleine das große Haus nicht finanzieren konnte. Außerdem bin ich zwei mal in der Woche zu einer Selbsthilfegruppe gegangen, was mir sehr geholfen hat. Mittlerweile kann ich damit gut leben, nur manchmal kommt der Schmerz wieder hoch. An Weihnachten oder den Geburtstagen ist es besonders schlimm. Damit ich nicht alleine sein muss, verbringen Clark und ich die Tage eigentlich immer gemeinsam. Seine Eltern kommen ursprünglich aus Irland, und auch diese sind nicht sehr religiös, was für Iren ziemlich besonders ist, und dementsprechend hat Weihnachten in der Familie keine große Bedeutung. Mir bedeuten die Tage alles.
Am nächsten Tag gibts eine kleine Bescherung, wir gehen nach draußen spazieren und abends in den kleinen dorfpub. Die Tage sind wunderschön und enden viel zu früh. Clark muss am 04. schon wieder nachhause, da er wieder arbeiten muss. Er ist professioneller Musiker und als Pianist in irgendeinem schicken Restaurant in London angestellt. Das er sich über die Feiertage hat freinehmen können, war schon das größte für ihn, und ich bin mir sicher, dass er mit seinem höchst-homosexuellem Boss flirten musste, um frei zu bekommen.
Aus Langeweile nehme ich dann tatsächlich die Einladung von Danielle an. Ich stehe also mit einem sehr genervtem Clark und einem äußerst motivierten James vor der Halle in Pett. James liebt Fußball, und kennt sich weitaus besser damit aus, als ich. Aus seiner dunkelblauen Winterjacke zieht er ein kleines Portmonee, und bezahlt für mich und Clark den Eintritt.
In der Halle werde ich geradezu überrannt von Menschen. Überall laufen Kerle in fußballtrikots rum, Männer in Trainingsanzügen und junge Mädels mit geglätteten Haaren, perfekten Lidstrichen, sexy Outfits, die eher in einen Club passen würden und falschen Wimpern. James zieht uns zu den Bänken, die jedoch schon gerammelt voll sind. Clark möchte mir irgendwas erzählen, jedoch verstehe ich ihn nicht. Mit wahrscheinlich Lautstärke 100 dröhnt „Sweet Caroline" aus den Boxen. Ein Team, was gerade spielt, hat ein Tor geschossen. Die Menge an Zuschauern, die laut mitsingen, machen es auch nicht besser. Wir verfolgen die Spiele, bis ich das Gefühl habe, beobachtet zu werden. Irgendwie fühle ich Augen auf mir, und schaue in die Richtung, aus der die Blicke kommen.
Ich sehe nur braune Augen.
Und meine Knie werden wackelig.
Ich halte mich an der Barrikade, hinter der wir stehen, fest.
So schnell es geht, blicke ich auf den Boden, und zücke mein Handy aus meiner Manteltasche.
Als ich wieder aufblicke, steht er auf dem Hallenboden. Nun kann ich auch Kai und Noah sehen. Während des Spiels entscheiden sich clark und James, etwas zu essen zu holen. Sie kennen ja niemanden aus der Mannschaft. Meine Füße werden langsam schwer und ich setze mich auf eine bank etwas neben mir, die gerade frei geworden ist. Ich bin voll dabei und fiebere richtig mit. Carlos Mannschaft gewinnt tatsächlich, und ich freue mich richtig für sie. Am Ende wird „Sweet but psycho" von Ava Max gespielt, und ich muss grinsen. Sweet but Psycho, ja, das passt.
Clark und James kommen je mit einer Portion Fish and Chips zurück, und ich stibitze mir ein paar Pommes von Clark. Ich glaube, das hat er schon miteinberechnet. Er nimmt nie Mayo, aber ich liebe sie, und neben den Pommes befindet sich ein Klecks von der leckeren Soße.
Als ich fertig bin mit meinem Snack trifft mich beinahe der Schlag. Neben mir sitzt, und ich weiß es, ohne nachzuschauen, Carlo. Ich fühle das, ich weiß, das hört sich komisch an, aber ich fühle das. Mein Herz geht schneller und meine handinnenflächen fangen an, zu schwitzen. Ich bemühe mich sehr, normal zu sein. Wahrscheinlich denkt er eh schon, dass ich komplett verrückt bin, nachdem er mich aus dem Wasser gefischt hatte. Ich hab Clark noch nichts von meinen Gefühlen erzählt, da ich zu viel Angst habe, dass er davon wind bekommen würde. Und er hat eine Freundin, also ist die kleine Hoffnung, die ich mir ständig mache, eh vergeblich. Ich merke, wie er ein paar mal zu mir rüberschielt, vielleicht bilde ich mir das aber auch nur ein. James versucht irgendein Gespräch anzufangen, aber ich höre nur halb zu und Antwort sehr einsilbig.
„Das Mädchen da, ich glaube, die möchte uns ihr arschgeweih zeigen", meint James. Er schielt zu einem Mädchen rüber, und ich schaue auch nach hinten, kann sie aber nicht mehr erkennen. Als ich mich wieder umdrehe, um sie doch noch irgendwie zu erhaschen, hab ich einen po im Gesicht. Wortwörtlich. Ich hab einen po im Gesicht. Den po von einem Kerl mit braunen Locken. Er packt gerade seine Tasche. Und ich hab seinen verdammten po im Gesicht.

CastawayWo Geschichten leben. Entdecke jetzt