Part 13

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I wish...
To be so happy with you
That one day,
You and I will be
Nothing more,
Nothings else
Than
A heart.

One heart...

- Alexandra Vasiliu

Als ich aufwachte schien die Sonne durch die Zugezogenen, schweren Gardinen beruhigend in mein Zimmer. Kein Vogelgezwitscher war zu hören, und durch das Fenster, welches einen Spalt breit geöffnet war, strahlte jetzt schon eine solche Hitze, dass mir richtig warm wurde. Aus Ermangelung an anderen Optionen, welche für dieses für Schottland so seltsame Wetter akzeptabel und passend gewesen wären, zog ich ein hellgrünes, leichtes Kleid an, welches anscheinend aus einer Mischung aus Baumwolle und Leinen bestand. Der Rock war wie immer bodenlang - was wirklich von Vorteil war, weil meine Beine schon wieder einige Stoppeln aufwiesen - und die Bluse hatte einige schöne Stickereien und Verzierungen. Ich weiß, jedes Mal empfand ich es so, aber das war das weitaus schönste Kleid bis jetzt. Meine Haare steckte ich mir mit ein paar kleinen Haarspangen aus dem Gesicht, schnappte mir „Jane Eyre", und verdrückte mich mit einer Schale Erdbeeren bewaffnet an meinen neuen lieblingsplatz. Ich hatte ihn schon gestern von weit entfernt gesehen, und wollte unbedingt dahin, um dort zu lesen. Eine gemütliche Bank stand an einem kleinen Weiher, große Trauerweiden säumten das Ufer. Der Eindruck von heute morgen hatte nicht geirrt, und es war wohl der wärmste Tag des Jahres. Auf dem Teich schwammen Enten, die vergnügt im Wasser herumtollten und schnatterten. Das Wasser strahlte eine angenehme Nässe und Kälte aus, und ich machte es mir bequem. Ich beschloss, dass ich morgen auf jeden Fall mit einer Kamera hier her kommen müsste, um die Schönheit fest zu halten. Ich wusste, dass es schon Kameras gibt. Wahrscheinlich sind sie unheimlich teuer, aber dafür, diesen Anblick zu konservieren, dafür würde ich alles geben. Er erinnerte mich an den Schwanensee aus dem Barbiefilm. Beinahe erwartete ich, dass ein Schwan landen würde, sich in eine wunderschöne, blonde junge Frau verwandelt und perfekt die Choreografie zu Tchaikovsky's Melodien beherrscht. Ich bin mitten in dem Buch verschlungen, und hab die Schale Erdbeeren, die ich mir aus der Küche stibitzt hatte, beinahe aufgegessen, als ich höre, wie sich jemand neben mich hinsetzt. Ohne es zu sehen oder zu hören weiß ich, dass es Nate ist. Sein Geruch ist mir mittlerweile so vertraut, und ich spüre die wohlwollende Atmosphäre, die Ruhe, Gelassenheit und liebe, die immer von ihm ausstrahlt. Ich lese den Absatz zuende, lege das improversierte Lesezeichen auf die Seite und Klappe das Buch vorsichtig zu. „Ich wollte dich nicht stören. Nur ist es anderswo heute nicht auszuhalten und ich habe dich gesehen und dachte mir, ich könnte dir ein wenig Gesellschaft leisten." „du störst nicht. Wenn du nicht gekommen wärst, würde ich hier sicherlich bis zum Sonnenuntergang sitzen, lesen, und komplett desozialisieren.", grinse ich, als ich das Buch vorsichtig neben mich auf die Bank lege. „Zum Thema Gesellschaft, ich habe gesehen, dass du Mr. Reed kennengelernt hast", meint er, als er sich eine Erdbeere aus der Schale, die ich ihm hingeschoben habe, schnappt. „Ja", schnaube ich, „Mr. Reed ist definitiv wunderbare Gesellschaft", sage ich abschätziger, als es mir zustünde. „Ich kann dich gut verstehen, er ist ein arsch." erwidert Nate grinsend, und auch ich muss grinsen, bis ich anfangen muss, zu lachen. Die ganze Situation übermannt mich manchmal immer noch, dies ist wieder so einer von diesen Momenten. Ein Mann, in 1888 sagt „arsch". Nimm das, Mrs. Gaddis, die Menschen damals sprachen absolut nicht wie William Shakespeare, ganz davon abgesehen, dass eben jener vor circa 200 Jahren lebte. Mrs. Gaddis ging mir fünf Jahre lang drei mal in der Woche damit auf die Nerven, dass wir alle eine solch schreckliche Ausdrucksweise hätten, und unsere Vorfahren sich im Grab umdrehen würden, würden sie hören, wie wir sprächen. Jedoch habe ich jetzt den lebenden Gegenbeweis für ihre These, und dieser sitzt gleich neben mir. Oder um es mit Wörtern zu sagen, die ihr anscheinend ein wenig bekannter sind und um Shakespeare und Alexander Hamilton zu zitieren: „out of my sight! Thou dost infect my eyes!" Oder „there Are approximately 1,010,300 words in the English language, but I could never string enough words together to properly express how much I want to hit you with a chair."
„Er hat eine junge Frau, wohl so 15 Jahre alt, die ein Kind erwartet, und geht so oft es geht in die Bordelle" schießt er. „Woher weißt du, wie häufig Mr. Reed in den örtlichen Bordellen verkehrt?", frage ich ihn herausfordernd, aber die Atmosphäre unter uns ist kein wenig angespannt, eher belustigt. Wie Katzen, die sich gut verstehen, aber sich dennoch manchmal ankeifen. „Ich verweile dort jeden Tag, ein Mann wie ich es bin, sagen wir es so, hat Bedürfnisse." Nate hat seine Nase nach oben gestreckt, einen arroganten Zug um seinen Mund aufgelegt und die nasalste Stimme der Welt. „Im old blackfriars bin ich häufig mit meinen Freunden. Gegenüber ist ein Bordell, und beinahe jedes Mal, wenn ich Karten spiele, geht er zu Beginn des Abends in das Etablissement, nur um nachts dieses wieder zu verlassen." „Ich könnte das nicht. Ich könnte keinen Mann lieben, und bei ihm bleiben, wenn ich wüsste, dass er mich jeden Abend betrügt." ich schüttel Kopf, meine Haare scheinen sich ein wenig aus der Frisur gelöst zu haben, eine Strähne meiner verhassten Babyhaare hängt mir in die Stirn. „Ich glaube, beinahe alle von diesen jungen Damen ereilt dieses Schicksal" „und es ist absolut schrecklich, dass sie nichts dagegen unternehmen können. Wenn der Mann, der reiche, wohlhabende, einflussreiche Mann dich als Ehefrau nimmt, dann bist du ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, das ist doch absolut schrecklich", rede ich mich in Rage. „Natürlich ist das schrecklich, aber so ist es", nickt er, einen traurigen Schimmer in seinen Augen. „Genauso wie der Punkt, dass ich, nur weil ich kein wohlhabender Knabe bin, nie studieren kann, kein Bankier werden kann und nie frei und selbstständig leben werde. Wahrscheinlich werden selbst meine Urenkel noch von der Familie Phàidein abhängig sein." „das muss sich doch ändern lassen", flehe ich beinahe. Ich weiß, dass er recht hat, und jede Mühe vergebens wäre. Allein schon seines Standes wegen wird er nie mehr sein, und das macht mich wütend, verständnislos, und unheimlich traurig. „Naja, wie auch immer. Ich bin der Familie Phàidein natürlich trotzdem sehr dankbar, da besteht gar keine Frage." Er steht schnell auf und reicht mir seine Hand, die ich mittlerweile wie selbstverständlich nehme. Wir beide gehen einen Weg, der mir nun schon sehr bekannt ist, und an dem Stalltor mündet. Nate und ich verbringen den ganzen Tag damit, Vinnie zu verarzten, zu füttern, und zu streicheln.
Die nächsten Tage mache ich die ganze Zeit genau das. Es ist körperlich sehr anspruchsvolle Arbeit, aber trotzdem wie Futter für die Seele. Vinnie geht es zusehends besser, auch die Medizin scheint anzuschlagen. Zeit zusammen mit Nate zu verbringen ist Urlaub für das Gehirn. Ich brauch mich nicht aktiv zu verstellen - natürlich verstelle ich mich gewissermaßen jeden Tag, den ich in 1888 verbringe, aber bei ihm bin ich genau wie zuhause. Einmal ist mir tatsächlich ein „fuck" rausgerutscht, und ich hab inständig gehofft, er hätte es nicht gehört, aber er hat mich interessiert gemustert und belustigt mit dem Kopf geschüttelt. Ich weiß gar nicht genau warum, aber irgendwie vertraue ich ihm. „Vinnie hat heute schon beinahe zwei Kübel gefressen", meint Nate, als er einen halbvollen Eimer mit Hafer ohne jegliches Zeichen von Anstrengung auf dem Boden abstellt. „Pass auf,  der Arzt meinte doch, sie solle nicht so viel essen". Ich nehme die Bürste und fahre der schönen Stute über ihr dichtes Fell. „Ich bin stolz auf dich, du kennst dich wirklich aus", meint er mit einem grinsen in der Stimme. „Es wird dich wundern, aber manche Frauen können tatsächlich sowas wie denken." meine ich gespielt genervt. „Frauen können nicht denken. Sie können lediglich jeden Gedanken von Männern aufnehmen und nachplappern, ohne den geringsten Grad an Intelligenz.", meint er, natürlich sarkastisch, aber ein Hauch Trauer schwingt in seiner Erzählung mit, er wendet sich von mir ab und füllt den Eimer mit Wasser und greift sich einen großen Holzlöffel von einem Regal über ihm. „Das hört sich an, als wäre der Gedanke gar nicht so fremd für dich", erwidere ich, als ich die Bürste sinken lasse. „Ich wünschte, ich könnte mit mehr Abstand über diese Übertreibung lachen", sagt er, und ich merke bis hier, wie unangenehm es ihm ist. Ich gehe beinahe aus Reflex zu ihm, so dass er mich anschauen muss. In ihm scheint ein tornado zu toben, seine Gedanken schwirren gerade überall. Manchmal braucht man einfach jemanden, der einen zwingt, Hilfe anzunehmen. „Ich hab Ohren und einen mund, den ich wunderbar geschlossen halten kann", meine ich zaghaft lächelnd. „Du willst die Geschichte nicht hören. Ich würde deine Reaktion kennen, und im Endeffekt ändert es eh nichts an der Tatsache, das Geschehens geschehen ist, und man nichts daran ändern kann." als ich ihn nur anschaue, ohne zu lächeln, traurig zu schauen oder ihn irgendwie zu drängen, nimmt er meine Hand, geht mit mir auf die Koppel, auf der einige Pferde grasen, und setzt sich hin. „Bei dem Satz, wen hast du dir da vorgestellt?" „ich weiß nicht, wahrscheinlich einen alten, weißen Mann mit dichtem Bart und einer Taschenuhr." „ich hatte ein genaues Bild vor Augen." ich setze mich neben ihm in das Gras. „Mein Vater war nie ein liebevoller Mann. Dafür war meine Mutter immer zuständig. Warum sie ihn damals heiratete weiß ich bis heute nicht. Sie ist ein Engel." sein Blick wurde viel weicher als noch Sekunden zuvor. „Er liebte seinen Beruf, und verbrachte die meiste Zeit des Tages damit, in der Bank zu verweilen, oder zu trinken." er rupfte einen Grashalm aus der Erde. „Wir waren unheimlich wohlhabend, lebten in einem ausladenden Haus in Belgravia, und hatten selbst Pferde. Nur hat sich irgendwann das Glück abgewendet, und Vater kam ohne einen penny nachhause." sein Blick wurde härter. „Er schickte mich zu Mr. Phàidein, als Stalljunge, sonst wäre ich vielleicht auf der Straße gelandet." „ich bin froh, dass du hier bist.", sage ich, und lehne vorsichtig meinen Kopf an seine Schulter. Ich habe angst, dass die Intimität ihm zu viel werden könnte, und möchte den Moment nicht zerstören. „Du erinnerst mich an sie." „an deine Mutter?" lache ich verwirrt. „Ja, aber das ist absolut positiv gemeint", lacht auch er nun. Als wir uns wieder beruhigt haben senkt er seinen Blick zu mir. „Manchmal denke ich, du wärst sie. Sie hätte dich zu mir geschickt. Ihr würdet euch sicher gut verstehen." „ich würde sie liebend gern kennenlernen", lächel ich. Und genau in dem Moment neigt er seinen Kopf, und küsst mich.
In mir spielen tausend Emotionen. Ich hab keine Ahnung, wie ich reagieren soll. Natürlich hab ich schon Erfahrungswerte, die ich heranziehen könnte, um meine möglichen Reaktionen nach dem grad des Erfolges zu evaluieren, aber irgendwie versagen jegliche Synapsen, und ich schaue vermutlich aus, wie der behindertste Käfer der Welt. Der behindertste Käfer der Welt, der dazu noch einen fremden Mund auf seinem hat. Ich kann gar nicht richtig reagieren und den Kuss erwidern. Nate's Hände haben ihren Weg zu meinem Hinterkopf gefunden und streicheln sanft über meine Haare, und irgendwie ist diese Handlung genau das, worauf ich mein gesamtes Bewusstsein fixiere. Mein mund schaltet auf Autopilot und irgendwie fühlt sich der Kuss technisch an. Es ist schön - auch wenn meine gesamten Gedanken dagegen sprechen - weil Nate einfach so ein unheimlich herzlicher Mensch ist, den ich in meines schon längst geschlossen habe. Nur irgendwie bleibt das Feuerwerk aus. Richtiges Feuerwerk hatte ich jedoch noch nie. Die ganzen Pyrogames plus jegliche Rakete, die zu Silvester hochgeschossen wird, sowas hatte ich noch nie. Manchmal kam es schon zu chinaböllern oder diesen fliegenden Hummeln, die man anzündet und die dann unkontrollierbar durch den Himmel zischen, aber ein riesiges, wunderschönes Feuerwerk war noch nie drin. Als sich Nate löst, wirkt er komplett zufrieden mit sich selbst, und lächelt mich breit an. Ich würde denken, rumgeknutsche in der Öffentlichkeit, auch wenn wir uns auf einem Privatgrundstück und an einem ruhigen Ort befinden, wäre in 1888 ein no-no, aber erkenne immer mehr, dass die Menschen eigentlich nur sind, wie wir alle. Sie wollen leben, lachen und lieben.
In der Ermangelung an einer intelligenten und konstruktiven Antwort erwidere ich einfach sein Lächeln und bleibe sitzen. Jetzt aufzustehen würde einem „oh Gott, das war der schlechteste Kuss der gesamten weiten Welt, auf gleichem Level der Verstörtheit wie alle Küsse von allen Bachelors und der berühmte Madonna/Britney Vorfall zusammen" gleichkommen. Auch er hing seinen Gedanken nach, das gab mir die Möglichkeit dieses auch zu tun. Der Kuss war nicht schlimm - auf gar keinen Fall - es war nicht widerwärtig, ekelhaft, unangemessen oder übergriffig, und an sich hinterließ er auch ein schönes Gefühl in mir, aber richtig gut - richtig gut - war er jetzt nicht. Vielleicht waren das nur die Startschwierigkeiten bei jeder neuen Beziehung oder was auch immer Nate und ich hatten, und man müsse sich erstmal richtig aufeinander einspielen, bis es richtig gut werden würde. An diese Hoffnung klammerte ich mich verzweifelt. Den ganzen Tag dümpelte ich irgendwie nur rum. Ich saß mit Mr. Phàidein in einem schönen Gartenpavillion, in welchem ein großer Tisch mit Stühlen, ein großer, weicher Ledersessel, auf dem Mr. Phàidein saß, und ein gemütlicher Schaukelstuhl, auf welchem ich Platz nahm, standen. Wir tranken den Nachmittag Tee zusammen und aßen Stones und Sandwiches, und Mr. Phàidein las Zeitung. Ich konnte nicht anders, als über alles nachzudenken. Irgendwie kreisten meine Gedanken immer in dem gleichen kreis, und nie konnte ich mir eine zufriedenstellend Antwort überlegen, die diese gesamte Situation plausibel erklärte. Mr. Phàidein jedoch gab mir meinen Freiraum. Ich konnte theoretisch jeden Tag tun und lassen, was immer ich wollte, und allein das ließ mich fühlen, als wäre ich in einem ferienresort mit 1880er Themenbereich.
„Valentina, ich hoffe, dir sagt das Frühstück zu?", hörte ich Mr. Phàidein noch ein wenig verschlafen, aber dennoch sehr erhaben und ehrwürdig fragen. Nicht besonders ladylike verschluckte ich mich beinahe an meinem Rührei, und musste mich erstmal beruhigen, bevor ich ihm antworten konnte. „Vielen Dank, ja, mir schmeckt es sehr gut.", lächelte ich ihn an, und hoffte inständig, dass er das beinaheverschlucken gerade nicht mitbekommen hatte. Wenn dem so war, überspielte er es gekonnt. „sie müssen sich heute wohl stärken, ich möchte sie zu einem besonderen Ort mitnehmen.", meinte er ziemlich geheimnisvoll. „Mr. Phàidein, ich bitte sie, sie können mir doch nicht erzählen, dass sie mir einen wunderschönen Ort zeigen werden, ohne mir zu sagen, was genau es ist. Mein Herz macht das nicht mit.", grinste ich, und auch der ältere Herr lächelte wohlwollend. „Suchen sie für heute ein leichtes Ensemble heraus, in hellen Farben. Und vergessen sie ihren Hut nicht." ich schaute an meinem dunkelblauen Kleid herunter. Es war definitiv leicht und verspielt, jedoch sah es nicht besonders sommerlich aus. Die Temperaturen waren heute kaum auszuhalten, in meiner Zeit hätte ich mir einen Bikini angezogen und würde den gesamten Tag am Pool verbringen. Ich aß schnell auf, ich freute mich unheimlich auf die Überraschung, und flitzte schnell nach oben in mein Zimmer, wo schon ein elegantes, hellrosa Kleid aus leichtem Stoff auf meinem gemachten Bett lag, ein passender Hut, aus hellem Stoff mit kleinen Blüten als Zierde lag daneben. Ich zog mir den feinen Stoff vorsichtig über den Kopf, der danach allerdings aussah, als wäre er versehentlich in einer Waschmaschine vergessen worden, und man hätte den Kochgang angemacht. Die Frisur, die ich mir morgens eigentlich immer machte, sah ganz schrecklich aus. Strähnen und babyhaare schauten aus jeder Ecke hervor, und ich versuchte es gar nicht erst, sondern öffnete die Haarklemmen und schüttelte meine Haare aus. Unsere Haushälterin kam nach einem Klopfen in das Zimmer getapst und rümpfte das Kinn nach einem missbilligenden Blick auf meinen obersten Part. Sie drückte mich auf den Stuhl vor der frisirkommode, und zauberte mir eine schöne Frisur, keine Ahnung, wie. Als krönenden Abschluss setzte sie mir den Hut vorsichtig auf meinen Kopf, nahm mich bei der Hand und führte mich in den Salon, in dem Mr. Phàidein schon saß, eine Zeitung las und wartete. Er nickte wohlwollend, faltete die Zeitung in der Mitte, strich sich die beige Anzugshose glatt und stand auf. Ohne das er auch nur ein Wort hätte sagen müssen, folgte ich ihm, in seinen Augen lag ein friedliches Lächeln. Ich wurde auf der anderen Seite von jeder Sekunde aufgeregter. Die Tatsache, dass wir nun auf der Auffahrt vor einer schicken, eleganten, doch recht simplen Kutsche, gezogen von zwei braunen Pferden, die ich noch nie gesehen hatte, standen, machte es nicht gerade besser. Nate mühte sich gerade ab und hievte eine große Reisetasche nach der anderen auf das Dach sowie in die dafür vorgegebene Kiste, die sich an der Kutsche befand. Ich hatte es nicht mitbekommen, aber anscheinend hatte unsere Haushälterin meine Sachen gepackt, denn so viele Habseligkeiten konnte kein einziger Mensch mitnehmen, noch nicht mal Veronica. „Ist alles verladen, junge?", fragte Mr. Phàidein Nate freundlich, jedoch konnte ich dennoch die Verachtung heraushören, obwohl er seine Bediensteten stets zuvorkommend behandelte war es allen bewusst, dass sie nie gleich sein würden, und auch Mr. Phàidein wusste tief in seinem Innern, dass er etwas besseres war. „Ja, sir.", meinte Nate nur, und wagte einen vorsichtigen Blick nach oben. „Shelly und Duke wurden beide getränkt und haben fleißig gefressen, die Wetterverhältnisse sind äußerst positiv, sie sollten die Kutschfahrt ohne weitere Vorkommnisse überstehen." Als er über seine so geliebten Tiere sprach, wurden seine Augen groß, die Stimme höher, der sprachduktus schneller und sein Ausdruck glücklicher. „Sehr gut, junge, gut gemacht." Nate sank den Blick gen Boden. Dass er ihn ständig „junge" nannte, behagte mir nicht. Er ist ein erwachsener Mann, genau wie Mr. Phàidein, und er hätte es verdient, auch so behandelt zu werden. Ich wollte etwas sagen, für ein bisschen mehr Nächstenliebe und Gerechtigkeit sorgen, aber innerlich wusste ich, dass es vergebens wäre. Nate machte die Tür der Kutsche auf und geleitete mich mit seiner Hand in eben diese. Solche Gesten sind so unheimlich romantisch und leider beinahe alle ausgestorben. Kein junger Mann zeigt seine Zuneigung heutzutage, nicht in 1888, vielmehr in 2019. Und gerade weil ich es nicht gewohnt war, das mir jemand solch eine simple aber dennoch romantische Geste der Zuneigung entgegen bringt - die er mir vermutlich einfach wegen seiner Stellung entgegen bringen muss - merkte ich, wie meine Wangen rot wurden. Verlegen blickte ich auf den Boden. Ich konnte noch nie gut mit Komplimenten oder anderen Avancen umgehen. Als Kind und jugendliche war nie ich diejenige, die mit Komplimenten bombardiert wurde, sondern Veronica, und so konnte ich nie lernen, diese einfach anzunehmen. Ich hinterfragte stets jede Freundlichkeit und suchte nach Hinterlistigkeit, wenn ich dies nicht tat, wurde mir meine Naivität schmerzlich bewusst, oft steckte hinter einem lieben Wort ein unangenehmer Hintergedanke. Nate blickte mich nicht an, er lächelte auch nicht. Er zeigte in seinem Gesicht keinerlei Emotionen, was mich unheimlich traurig machte. Ich dachte nicht daran, dass es an Mr. Phàidein lag, der nur einige Meter von uns entfernt in der Kutsche saß, den Blick auf die Situation geheftet. Natürlich hätte Nate mir keine Zuneigung entgegen bringen können, das wäre von Mr. Phàidein als unpassend und frech angesehen wurden. Die Tür wurde geschlossen, die Pferde machten sich los und ich war mir nur noch unsicherer. Aufgeregt, sehr aufgeregt und glücklich über die Reise, ich wollte unbedingt wissen, wo es hingeht, aber auch nervös. Ich hoffte inständig, dass meine Reisekrankheit, die mich sonst planmäßig bei jeder längeren Autofahrt überkommt, dieses Mal nicht durchschlagen würde. Ich kann es echt nicht gebrauchen, dass ich mich vor Mr. Phàidein übergebe. Die Fahrt verlief eigentlich ganz ereignislos. Mr. Phàidein nahm nach circa 20 Minuten - es hätten auch drei Stunden oder sieben Sekunden sein können, ich bin unheimlich schlecht im schätzen - eine Tageszeitung aus seiner dunkelbraunen ledertasche, die akkurat neben ihm auf dem Sitz lag, und las vertieft. Ich jedoch hatte mir nicht die Mühe gemacht, oder hatte einfach logistisch nicht die Möglichkeit, und brachte mir kein Buch oder andere Lektüre mit, was mich kreativ werden ließ. Immer wenn ich mich langweilte, dachte ich mir die wildesten und unrealistischsten Szenarien aus und führte in meinen Gedanken ellenlange Gespräche. Zuerst war ich ein Mädchen, welches gerade erfährt, dass sie eine uneheliche Tochter von Prince Charles ist, somit ein Teil der Königsfamilie und folglich Prinzessin, danach malte ich mir das wunderschöne Bild, mit Luke hemmings aus 5 seconds of summer über Umwege verwandt und danach zusammen zu sein: der Vater meines traum-ich's heiratete liz, die Mutter von Luke, und irgendwie entwickelten wir beide Gefühle füreinander. Also nicht liz und ich, was aber ähnlich komisch klingt. Nach großen, epischen Ereignissen wird mein Traum-Ich von Luke schwanger, und ich wünschte mir nur ein kleines bisschen, dieser Traum wäre Realität. Als ich gerade bei meinem Tagtraum über jungkook und jimin angekommen war, verschlechterte sich das Wetter zusehends und dunkle Wolken versteckten die warme frühsommer-Sonne.
„Wie es ausschaut werden wir schon früher als gedacht rasten." Mr. Phàidein nahm die Brille von der Nase und faltete die Zeitung mit schnellen, geübten Handgriffen zusammen. „Mir war nicht bewusst, dass wir rasten müssten", meinte ich, unsicher. Ich mag es gar nicht, wenn man mir nicht erzählt, was los ist. Ich fühle mich dann immer unwichtig und übergangen, als wäre ich es nicht wert, dass ich meine Meinung äußere. Einige denken vermutlich tatsächlich so, da bin ich mir fast sicher, und das macht mich unheimlich traurig. „Eine Kutschfahrt nach London ist selten in nur einem Tag geschafft." nach London. London. Vielleicht würden wir an rye vorbei kommen, und ich könnte irgendwie nachhause. Allein schon zu sehen, wie rye 140 Jahre vor meiner Zeit ausgesehen hat, wäre es mir definitiv wert. „Wissen sie, wo wir gerade sind?" fragte ich den älteren Herren, der gerade seine Zeitung in seiner Tasche vorsichtig verstaute. „Wir müssten in der Nähe von Alnwick in northumberland sein.", meinte er, während er seine Brille absetzte, sie in eine kleine schatulle legte und diese mit einem klacken schloss. „In alnwick", überlegte ich, und in dem Moment gingen dreihundert rote Lampen in den hinterletzten Ecken meines erinnerungsvermögens an. „In alnwick gibt es ein Schloss, soweit ich mich erinnere!", sprudelte ich, viel zu aufgeregt, und hatte jetzt schon Hogwarts vor Augen. „Ja, aber ich bezweifle, dass wir uns das anschauen können, wir haben leider wenig Zeit zum verweilen.", tätschelte er entschuldigend mein Knie. Bei jedem anderen Mann wäre ich jetzt durch meine etwas belastete Vorgeschichte zusammengezuckt, aber bei Mr. Phàidein wirkte die Geste väterlich. Er schien ernsthaft enttäuscht und traurig ob der verpassten Möglichkeit zu sein. Meine Träume, wie Hermine in dem Schloss zu stehen und dann vielleicht wie lizzie aus stolz und Vorurteil unangemeldet in einer Residenz anzukommen und dort meinen Traummann wiederzusehen, zerplatzen leider wie die Seifenblasen, die ich immer mit meinen krippis pustete.
Wir fuhren noch ein wenig weiter, ab und an hörte man ein schnauben der Pferde oder einen Singvogel, aber ansonsten herrschte eine stilvolle, einvernehmliche Stille in der Kutsche. Ich trauerte der bis jetzt besten Chance nach, tatsächlich einen Drehort von Harry Potter zu besuchen - wie cool und gleichzeitig unheimlich illegal wäre es gewesen, sich dort irgendwie irgendwo permanent zu verewigen und zu wissen, dass Daniel Radcliffe, Rupert grint und Emma Watson das dann sehen ?- und hing weiterhin meinen Gedanken nach, das konnte ich richtig gut. Eine normale Unterhaltung konnte sich gefühlt nie richtig aufbauen zwischen Mr. Phàidein und mir. Er war natürlich immer höflich und freundlich, jedoch auch sehr distanziert und sachlich, was wahrscheinlich davon kommt, dass wir uns erst so kurz kennen, und er auch einer komplett anderen, strengeren Zeit kommt. Die Kutsche kam zum stehen und Nate öffnete die Tür nach einigen wenigen Sekunden. Wir standen vor einem riesigen Gasthaus, einer Mischung aus dem Gasthaus aus „der herr der Ringe" und dem „zum quitscheentchen" aus Rapunzel - neu verföhnt. Die schwere, dunkle Tür schwang mit einem quietschen auf, irgendjemand müsste unbedingt mal mit etwas Öl nachhelfen, und eine sympathische mittelalte Frau mit einer Haube über den braunen Haaren kam mit einem Tablett in der Hand vor diese. Sie erinnerte mich sofort an Molly weasley. „Mr. Phàidein, sir, ich freue mich, sie wieder zu sehen.", sagte sie herzlich, stellte das Tablett auf die nasse Bank, die vor dem Gasthaus stand, ab, und breitete einladend ihre Arme aus. Wäre sie tatsächlich Molly, ich hätte sie gedrückt und nie wieder los gelassen. Mr. Phàidein lächelte warmherzig und trat einen Schritt auf sie zu. „Mrs. Lowell, ich freue mich. Nur leider haben wir aus dem hohen Norden kein gutes Wetter mitgebracht", betrieb er leichte Konversation. Ich konnte smalltalk auf den Tod nicht leiden. Menschen, die sich nicht kennen, möglicherweise nicht mal mögen, und dann über belanglose Themen reden, nur um nicht zu schweigen. Falls einer der beiden meiner Meinung war, ließ er sich nichts anmerken. „Das Wetter in letzter Zeit war tatsächlich wenig berauschend, ich glaube, sie haben damit glücklicherweise nichts zu tun." „da bin ich sehr froh drüber." „kommen sie, ich zeig ihnen ihre Zimmer. Ms. Phàidein, nehme ich an?", fragte sie, und zog ein wenig musternd eine Augenbraue einem Millimeter hoch, aber es war wahrzunehmen. Ich lächelte lediglich, weil ich weiß Gott nicht wusste, was ich darauf hätte antworten sollen. „Ja, meine Tochter, Viviana. Auch eine Ms. Phàidein, aber anders als sie vielleicht dachten." „ich wollte sie auf keinen Fall verägern", ruderte die Frau sofort zurück, im Bewusstsein, dass sie zu viel gewagt hatte. Ich war komplett verwirrt. Viviana hatte ich noch nie gehört. Vielleicht war ihm mein Name entfallen, oder er hatte ihn unabsichtlich vertauscht? Das ich seine Tochter geben würde, war klar, einfach um unangenehmen Fragen auszuweichen, aber dennoch war seine Reaktion irgendwie komisch. Er legte wie selbstverständlich seine Hand auf meine Schulter, und lächelte mich wohlwollend an, jedoch spürte ich Zurückhaltung in seinem Blick. „Das letzte mal, dass sie Viviana sahen, da lebte meine liebe Frau noch, Gott hab sie selig, und Viviana war ein Neugeborenes. Dass sie sie nicht erkannten, nimmt ihnen keiner übel. Aber Gerüchte streuen vermeide ich tunlichst." ich bin unheimlich schlecht darin, sofort mit irgendwelchen plausiblen Storys anzukommen, und gar nicht spontan. Wir hatten als Wahlfach mal Theater, und nahmen impro durch, ich war unheimlich schlecht und fühlte mich jedesmal danach, als hätte ich drei doppelstunden Mathe am Stück gehabt. Schnell ein passendes Szenario zu entwickeln strengt mich unfassbar an, und deswegen lächle ich einfach schüchtern und suche mir auf dem Boden den interessantesten Stein aus, den ich dann ausgiebig betrachte. Ich glaube, dass ist tatsächlich sogar relativ gut improversiert, nach den limitierten Erfahrungen aus 1888, die ich bis jetzt machen konnte, waren die Frauen am allermeisten die schönen Accessoires und Begleitungen der Männer, sprachen nicht mehr als zwei Sätze den Abend über und verhielten sich vorzugsweise höflich, schüchtern und sehr, sehr unauffällig. Wenn etwas mehr zu mir passt, dann ist es mir noch nicht begegnet.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Dec 09, 2021 ⏰

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