Part 8

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Don't be afraid
To leave it all behind ...
There is new light, and new life,
There are new worlds waiting

-butterflies rising

Meine Freude war auf einen Schlag verflogen, und ich musste mich erst einmal richtig zusammenreißen und konzentrieren, um tatsächlich zu verstehen, was sie sagte. Ich würde richtig Geld machen. Ich. Die menschgewordene Unsicherheit, Schüchternheit und Awkwardness überhaupt. Ich würde gutes Geld machen.
Ich glaube, mein Hirn ratterte gerade auf Tempo 300, und mir wurde schwindelig. Wie aus einem Nebel hörte ich ein schallendes lachen. Die rothaarige junge Frau schaute mich verschmitzt an. Ich weiß nicht, woran das lag, aber irgendwie fühlte ich mich dadurch schmutzig. „Ich bin lizzie. Die beste aus aberdeen", meinte sie, während sie stolz ihren eleganten Hals in die Höhe reckte, und ihre Augen schloss. „Valentina.", sagte ich nur, immer noch ziemlich verwirrt. Ich sollte nicht verwirrt sein, aber ich wunderte mich wirklich, wie ich in diese Situation reingerasselt bin. Nicht in die gesamte, komische, 1888-Situation, eher die „eine prostituierte möchte mich abwerben"-Situation. Mit der ersten hatte ich mich mittlerweile abgefunden, und akzeptiert, dass ich anscheinend auf Drogen bin. „Valentina.", erwiderte sie wohlwollend, „du wirst richtig Geld machen. Ernsthaft." Sie nickte mir zweimal zu, um ihre thesis noch zu untermauern. „Ich .. ich bin mir nicht sicher.", meinte ich, natürlich stotternd. Falls ich irgendwann aus dieser ‚situation' fliehen könnte, müsste ich unbedingt mal zum Psychologen und zum Logopäden, um über mein stottern zu sprechen. Das ist ja grauenhaft. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass ich, falls ich es hier raus schaffen sollte, so oder so einen Psychologen brauche. „Du kannst sicher bei Thea arbeiten. Jones freut sich über jede neue, die bringen immer am meisten Geld. Sag einfach, dass du Jungfrau bist, dann gibts beim ersten Besuch noch mehr." Ich merkte erst, dass ich mich komplett verkrampft hatte, als Thea beruhigend eine Hand auf meine Schulter legte. „Valentina ist vielleicht nicht richtig dafür." „nicht richtig? Du bist wunderschön, jung, das ist die einfachste Art, Geld zu verdienen.", grinste mich lizzie an, als sie ihre roten Haare ausschüttelte und sich mit ihren Armen auf dem beckenrand abstützte. Und ich musste sofort an fantine denken. Fantine, die, um ihr Kind zu ernähren, in die prostitution gegangen ist. „I dreamed a dream" begann langsam in meinem Kopf zu spielen. Und, wie als wäre ich tatsächlich auf Speed, Teilen oder Ecstasy, begann sich ihr ganzes Schicksal vor meinem inneren Auge abzuspielen. Ihre Liebe zu einem Mann, der nie der ihre war. Abgehakt. Die Hoffnung auf ein Leben mit ihrem kleinen, wunderschönen Mädchen und dem Vater, der sein Leben nie mit ihr teilen wollte und das Ende, was aus der ganzen Situation resultierte. Nein, danke, wenn ich mich entscheiden könnte würde ich ungern an einer Grippe sterben. Lizzie merkte anscheinend meine Unsicherheit und lächelte mich warm an, während sie den Arm vom beckenrand nahm, um mir mit der Hand über das Haar zu streichen. Eine komische Geste, und gerade von der mit Unbekannten Frau ausgehend wirkte sie eher verwirrend, aber ich konnte die Ernsthaftigkeit in ihrem Blick erkennen. „Schau es dir erst mal an. Immerhin hast du ein Dach über dem Kopf, und mit der Scham lässt es sich irgendwann leben." Ihr Blick verfinsterte sich kaum merklich, und ich wusste, ohne das sie darüber sprach, dass auch sie sich tief in ihrem inneren ein anderes Leben gewünscht hatte.
„Ich hab mir ein anderes Leben für mich gewünscht", platzte es aus mir heraus, während ich die Hände in das warme Wasser geräuschvoll fallen ließ. Ich merkte, wie Tränen schon wieder versuchten, sich den Weg an die Oberfläche zu bahnen, und schluckte schwer, um ihnen diesen zu erschweren. „Das haben wir alle.", meinte lizzie, die auf einmal nichts mehr mit der offenen, lebenslustigen Frau gemein hatte, die sie am Anfang des Gespräches war. Ich konnte in ihren Augen nur eine ganze Menge Trauer erkennen. Und gleichzeitig erkannte ich meine Dummheit. Diese jungen Frauen wollten das alles nicht. Sie wollten sich ihren Lebensunterhalt, einen waschechten hungerslohn, nicht dadurch verdienen, mit schmierigen, schmutzigen und wildfremden Männern zu schlafen, sobald es diesen danach ist. Sie lernen einfach, die Abscheu, Ekel, scham und schuld in die letzte Ecke ihrer Wahrnehmung zu verbannen, und geben für alle anderen die selbstbewusste Persönlichkeit. Anders kann man das Leben vermutlich nicht überleben, und ich erkannte in diesem Moment, wie stark lizzie, aber auch alle anderen prostituierten waren.
Die Halle füllte sich mehr und mehr, und die Gespräche wurden belangloser. Thea und lizzie unterhielten sich über eine Teegesellschaft, von irgendeiner betuchten Dame, auf der die beiden waren, und über die Kleider, die die Damen an jenem Abend trugen. Ich fühlte mich wie Rose, die an dem Tisch am Abendessen sitzt, und wie sie würde ich wahrscheinlich von der Titanic runter in die Ruhe und Gelassenheit des Ozeans springen, wenn ich nicht gerade in einem Badehaus sitzen würde. An meinen Fingern bildeten sich schon Fältchen, und mein Körper roch wieder frisch, so frisch er halt ohne deo, Duschgel oder Seifenlauge riechen konnte, als Thea und ich gemeinsam in ihr etablissement einkehrten. Ich konnte deutliche, ziemlich eindeutige Geräusche aus einigen Zimmern hören, und ein paar Männer lungerten in dem langen Flur vor geschlossenen Türen herum. Thea zog mich in ihr Zimmer, und drückte mich auf ihr Bett, was überraschenderweise ziemlich bequem war. Eine dicke, cremefarbene, kuschelige Decke lag auf der weichen Matratze. Sie drehte sich zu einer kleinen Kommode, und fischte ein neues Kleid heraus, was sie mir schnell zuwarf. Es war dunkelgrün, und ziemlich simpel. Der schwere leinenstoff ging bis zum Boden und man konnte, was ich erst bemerkte, als ich das alte ab- und das grüne überstreifte, sehr viel Ausschnitt sehen. Für meine Verhältnisse viel zu viel Ausschnitt. Von meiner mum hatte ich viel mehr bekommen als Tessie, das musste ich mir immer und immer wieder anhören. Anders als Theresa hatte ich tatsächlich mums üppige Oberweite geerbt, die nun, eh schon durch das Korsett akzentuiert, beinahe aus dem Kleid hinaus zu fallen schien. Normalerweise versteckte ich sie immer, da mir die Aufmerksamkeit ziemlich unangenehm war. Ich kann wirklich nicht mehr zählen, wie oft schon hinter meinem Rücken über meine Brüste gelästert wurde, oder Jungs aus der Schule darüber irgendwelche Sprüche abließen. Veronica nahm mich eines Tage, das muss so in der neunten Klasse gewesen sein, beiseite. „Ich muss dir das sagen. Fletcher hat vor allen gemeint, du hättest solche Monstertitten." ich war unheimlich verwirrt, gedemütigt, verletzt, und fühlte mich einfach nur ekelig, und um dieses Problem zu umschiffen, versteckte ich sie daraufhin mehr. Erst vor kurzem wurde ich zwar immer selbstbewusster, aber dennoch konnten mich solche Sprüche in Sekunden um Jahre zurück werfen. Nachdem sich Thea ebenfalls ein neues Kleid angezogen hatte setzte sie sich neben mich auf das weiche Bett. Sie nahm meine Hand in ihre, und irgendwie war die Geste kein bisschen komisch. Obwohl ich diese Person erst seit wenigen Stunden kannte, konnte ich ihre Nähe unheimlich gut ertragen, beinahe genießen.
„Du kannst es dir ja überlegen. Vielleicht kommst du heute einfach mal mit, und probierst es aus." sie nickte mich freundlich an, jedoch sah ich in ihren Augen keinerlei Zwang oder Druck. Sie wirkte fast verunsichert. „Ich weiß wirklich nicht, ob das was für mich ist.", meinte ich, als ich meine Haare mit dem Kamm, den sie mir in die Hände drückte, entwirrte. „Ich möchte dich nicht drängen, aber du kannst es probieren, und danach immer noch aufhören." „Ich habe Angst, dass mit mir irgendwas geschieht, ich möchte nicht schwanger werden, oder vergewaltigt, oder ermordet", erwiderte ich, als langsam die Panik in mir aufkeimte. Thea hatte anscheinend irgendwelche magische Fähigkeiten, realisierte das sofort und setzte sich wieder zu mir. Sie nahm meinen Kopf in ihre Hände, sodass ich gezwungen war, sie anzusehen. Ihr Blick war unheimlich traurig, und nachdem ich merkte, wie sich zum zweiten Mal an dem Tag die Tränen anbahnten, drückte sie meinen Kopf an ihre Schulter, woraufhin wir sicherlich eine halbe Stunde so dalagen, und ich einfach nur weinte. In der Zeit, die oberflächlich gesehen so mittelmäßig genutzt wurde, hatte ich aber die Möglichkeit, mal gehörig über meine Gesamtsituation nachzudenken. Wenn ich einen Kunden hätte, einen einzigen nur, hätte ich vielleicht soviel Geld, um mir eine kutschfahrt oder wie auch immer eine Überfahrt zurück nach London leisten zu können. Wenn ich zurück nach London fahren könnte, wäre ich näher bei mir zuhause, und vielleicht würde ich es so irgendwie schaffen, zurück nachhause zu kommen. Zurück in meine Zeit, zu meinen Freunden, und zu ihm.
Als meine Augen anscheinend keinen Milliliter Flüssigkeit mehr in sich hatten, setzte ich mich wieder auf. Thea schaute mich erwartungsvoll an. „Ich mache es. Nur einmal."
Nun grinste sie breit, und zog mich auf den kleinen Stuhl vor dem Spiegel und der Kommode, auf denen unzählige tiegelchen, pfännchen und Büchsen standen. Nach näherem betrachten befand sich darin Puder, Rouge, Pomaden, und und und. Sie tupfte und strich mit den verschiedensten Produkten mein Gesicht zu, aber abgerundet wurde der Look durch einen Lippenstift, den ich mir selber auf die Lippen tupfte. Er war dunkelrot, sehr dunkel, und ging ins rostrote. Fast wie marrakesh, mein absoluter Liebling von mac. Nachdem sie meine Haare noch irgendwie gebändigt und sogar ein waschechtes, helles Band in die Frisur involviert hatte, und sie sich im Handumdrehen selber fertig machte, führte sie mich zu einer großen Bar, die wohl im Erdgeschoss des Hauses war. „Hier kommen die Männer hin. Du kannst dir einen aussuchen, etwas mit ihm trinken und ihn dann aufs Zimmer nehmen", meinte sie, während sie schon einen älteren Mann, so Mitte-Ende 50 angrinste, und dieser hocherfreut zurück grinste. Sie ließ mich tatsächlich alleine, nachdem sie mich noch einmal warm anlächelte, und entschuldigend die Schultern zuckte, und sich auf den Weg zu dem Kerl machte. Ich stand wie ein waschechter vergessener Regenschirm mitten in der Bar, ohne irgendwas zu tun. Wahrscheinlich sah ich genauso dämlich aus, wie ich mich fühlte. Ich wollte schon gerade wieder nach oben in mein Zimmer gehen, und mich unter meiner Decke verkriechen, als ich Augen auf mir spürte. Die Augen waren unheimlich stark, leidenschaftlich und kraftvoll, aber es fühlte sich keineswegs schlimm an. Mein ganzer Körper stand in Flammen. Ich kannte das Gefühl. Es war das gleiche, wie wenn mich Carlo ansah. Ich schaute mich verzweifelt um, in der Hoffnung, seine Augen zu sehen, und fand sie. Am anderen Ende des Raumes, in der eingangstür stand er, und ich war wieder gefangen. Lediglich seine Augen konnte ich sehen, bevor ein anderes paar Augen meinen Blick auf ihn versperrte. Ein junger Mann stand vor mir. Wahrscheinlich so Mitte 20, blonde, fast goldene Locken und strahlend blaue Augen, die verschmitzt, wenn auch etwas benebelt drein schauten. Er sah wirklich gut aus, wie eine attraktivere, lebendige Form von Ken.
„Du bist wirklich schön", meinte er nur, als er mich noch verschmitzter angrinste, und ich seine blauen Augen kaum noch sehen konnte. „Kann ich dir ein Getränk anbieten?", fragte er, als er mich bereits an der Hüfte gepackt hatte, und mich zu der Bar zog. Der Barkeeper stellte uns beiden einen Shot hin, den ich in einem Zug leerte. Er grinste mich stolz an, und ich wusste, worauf das hier hinaus laufen würde. Ich verwandelte mich in eine andere Valentina. Die Valentina, die feiern geht, und mit ihrer knallengen, weißen Jeans und den geglätteten Haaren jemanden aufreißen möchte. Nun grinste ich verschmitzt, und zog ihn an der Krawatte näher zu mir. „Komm doch mit", meinte ich nur, als wir uns den Weg in mein Zimmer bahnten.

Ich wachte auf, als das Licht durch das Fenster strömte, und den gesamten Raum in ein dunkles, braunes Licht tauchte. Neben mir im Bett, beziehungsweise unter mir lag ein blond-gelockter Engel. Mein Kopf ruhte auf seiner muskulösen Brust. Ich wollte nicht aufstehen. Vermutlich war das wenig schlampen-like von mir, aber ich wollte den Moment, die Nähe und Zweisamkeit noch ein wenig auskosten. Ich hatte in letzter Zeit viel zu wenig davon. Der Kerl unter mir schlief sicher noch eine Stunde, bis auch er aufwachte, und mich auf einmal gar nicht mehr verschmitzt angrinste, sondern beinahe schüchtern schaute. Als ich ihn jedoch anlächelte, hörte ich beinahe einen Stein von seinem Herzen fallen, und er lächelte beseelt zurück. „Ich bin Harry." meinte er nur, und seine Stimme war überraschend schön. „Valentina." als hätte er Angst, mich zu zerbrechen, strich er ganz langsam und vorsichtig über meine Haare. Ich musste lächeln, weil diese Handlung so im Gegensatz zu der von letzter Nacht stand. Nun kam der wahre Mensch in ihm zum Vorschein, ein lieber, schüchterner Kerl, der wie ich gerade einfach Nähe suchte. „Valentina, danke." „gerne, aber wofür?", erwiderte ich, als ich meinen Kopf hob, um ihn besser sehen zu können. „Du warst meine erste."

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