6. Das Backen

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Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert (Catwoman)

Sie schlug die Augen auf und wurde von Dunkelheit erwartet. Verwirrt blinzelnd versuchte sie ihre Umgebung wahrzunehmen und tastete ungeschickt nach dem Lichtschalter für ihre Nachttischlampe.

Mit einem Klick schaltete sich das kleine Licht an und erhellte ihr Zimmer mit einem schwachen Schein. Schon wieder war es mitten in der Nacht, sie hatte den halben Tag verschlafen. Aber warum war es in dieser Nacht dunkler als in der Nacht zuvor? Schwerfällig stand sie auf und suchte nach der Veränderung, dem Grund für diese totale Finsternis.

Entsetzt fand sie ihn in den Möbelstücken und Stoffen ihres Zimmers. Jegliche Farbe war aus ihnen gewichen, alles war zu einem tiefen Schwarz geworden. Sie absorbierte das wenige Licht des fahlen Mondes wie ein schwarzes Loch.

Mit offenem Mund besah sie sich das Chaos, das ihre Gefühle angerichtete hatten und verfluchte sie im selben Moment. Wie einfach wäre das Leben wenn sie ihre Gefühle einfach abschalten könnte.

Sie atmete tief durch und versuchte die Realität erneut zu biegen, sie in ihren ursprünglichen Zustand zurück zu versetzen, doch nichts geschah. Alles blieb wie es diese verdammte Gabe verbrochen hatte.

Ärgerlich ballte sie die Hände zu Fäusten, sie musste etwas tun...nur was? Niemand durfte ihr Zimmer so sehen! Im Wirrwarr ihrer Gedanken, konnte sie sich keinen Plan ausdenken. Stattdessen tat sie was sie immer tat, wenn nichts mehr Sinn ergab. Ungestüm hechtete sie in die Küche. Innerhalb weniger Minuten war sie auf dem besten Weg Vanillemuffins zu backen.

Die Musik ließ sie dieses Mal weg, sie wollte nicht wieder jemanden stören oder besser niemand sollte sie dieses Mal stören. Ava wollte alleine sein, alleine mit den Küchenmaschinen, den Zutaten und dem beruhigenden Geruch der frischen Backwaren.

Es gab nicht vieles in ihrem Leben, dass sie lieben konnte, aber diesen Geruch schon. Besänftigend brachte er sie zu ihre Kindheit zurück, ließ sie das Gesicht einer ganz bestimmten Person sehen. Ihr Name war Sylvia gewesen und als Ava acht Jahre alt war, hatte sie ihr die Grundkenntnisse des Backens beigebracht.

Geduldig hatten Sylvias sanfte Hände und freundliches Lächeln auf jede Frage reagiert und sie ermutigt nicht aufzugeben. Nie zuvor hatte eine Betreuerin sich derartig mit Ava beschäftigt. Ganze Nachmittage verbrachte sie mit Sylvia in der Küche und verlor sich in Geborgenheit.

Ava konnte sich noch genau an ihren ersten Kuchen erinnern, Sylvia war so stolz auf sie gewesen. Niemals würde sie diesen Augenblick oder diese Frau vergessen. Leider war sie wenig später von der Regierung ersetzt worden. Die Begründung war eine Meinungsverschiedenheit zwischen Sylvia und der Regierung.

Trivial, Unwichtig.

Aber für Ava war es ein Weltuntergang. Innerhalb weniger Monate gewann und verlor sie ihre einzige Bezugsperson. Kurz nach Sylvias Abreise bog sie das erste Mal die Realität. Aus einem verbrannten Kuchen wurde wieder ein roher Teig. Aus Angst vor den Konsequenzen vergrub sie ihre Wut und Trauer über Sylvias Verlust tief in ihrem Herzen und schwor sie zu vergessen.

Nur das Backen konnte sie nicht lassen. Es war das einzige Ventil, dass je sinnvoll funktioniert hatte. Und ihre einzige Möglichkeit gegen diese furchtbaren Krämpfe, die sie seit knapp einem Jahr plagten. Sie waren plötzlich aufgetreten und schienen von Mal zu Mal schlimmer zu werden. Zwei Stunden vergingen. Nach Vanille- Schokolade- und Erdbeermuffins waren nun Kekse an der Reihe. Orangenkekse mit Schokostückchen.

Ava stapelte ihre Produkte in der Küche bis ihr der Platz ausging und sie schließlich sowohl Tresen als auch Caochtisch bedeckt hatte. Immer noch hatte sie nicht genug. Die übliche Entspannung kam einfach nicht, in ihrem Kopf herrschte nach wie vor ein heilloses Durcheinander.

Erbsünde  #Wattys2021Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt