20. Etwas Grundlegendes zerstören

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The red moon hangs low and beasts rule the streets. Are we left no other choice, than to burn it all to cinders? (Bloodborn)

Ava saß am Badezimmerboden und versuchte im hellen Licht der Glühbirne zur Ruhe zu finden. Nicht einfach nach diesem Horrortag. Er glich einer Katastrophe und genauso fühlte sie sich. Ausgelaugt wollte ihr Körper nur schlafen und die emotionalen Schmerzen vergessen, doch Milos Stimme ließ sie nicht los. Sie hatte ihn bereits letzte Nacht versetzt und am Vormittag ignoriert.

Die Schuldgefühle schufen ein unangenehmes Kribbeln in ihrem Bauch. Hinter der verschlossenen Badezimmertür hörte sie schritte und fragte sich, ob William nun endlich wieder Zuhause war. Den Nachmittag über hatte sie allein oder in der zweifelhaften Gesellschaft Dominiks verbringen müssen und sie sehnte sich danach Williams ruhige Augen zu sehen. Vielleicht würde er ihre zitternden Hände beruhigen können. Angespannt horchte sie auf weitere Bewegungen und wurde von andauernder Stille überrascht.

Nun gab es keine Ausrede mehr. Ava atmete tief ein und schloss die Augen, schickte ihre telepathischen Sinne auf die Reise zu ihrem Bruder. Ihn zu finden war nicht schwer, im Gegenteil sein unruhiger Geist zog sie wie ein Magnet über die Dächer der Stadt.

Sorge breitete sich wie eine giftige Pflanze in ihrem Verstand aus. Was würde Milo sagen? Wäre er wütend? Ihre Angst wuchs mit jedem Meter. Als sie schließlich nah genug war, um eine Verbindung herzustellen, begann sie langsam und bedächtig eine Brücke zu bauen.

Milos Verstand nahm die Einladung sofort an und schlüpfte über die kaum vollendete Bindung in Avas Kopfkino. Zum ersten Mal hatte sie die Möglichkeit das Kopfkino mitzugestalten und ersetzte die Blumen im Garten mit Kornblumen und... Sonnenblumen. Es war ihr Unterbewusstsein, die dieses spezielle Gewächs neben ihre Lieblingsblume pflanzte.

Verwundert dachte sie an ein Gespräch mit William. Er hatte ihr von seiner Liebe zu Sonnenblumen erzählt, eines seiner kleinen Geheimnisse. Die Blumen in dem strahlenden Sonnenschein der imaginären Sonne zu sehen, fühlte sich gut an, richtig. William hatte sich einen Platz in ihrem Kopfkino, in ihrem Verstand verdient. Er war ihr Freund.

Ava spürte, wie sie beim Anblick der im Wind wiegenden Gräser ruhiger wurde. Ihre Kleidung hatte sie ebenfalls verändert, sie trug ein weißes Sommerkleid mit kurzen Ärmeln und kurzem Saum. Es zeigte ihre Geburtsmale deutlich, doch dies war nicht die Realität, warum also nicht zeigen wer man war?

"Ava!", hörte sie jemanden hinter sich schreien und über die Wiese in den Garten hetzen. Milo...sah älter aus. Er war kein junger Mann mehr. Falten hatten Einzug in sein Gesicht gehalten und sein Körper hatte sich dem Zahn der Zeit gebeugt. So musste er nun mit 34 Jahren aussehen. Immer noch hager, immer noch blass dampfte er auf sie zu.

"Wie konntest du?", schrie er sie an, zwischen ihnen war nur ein Meter. Seine zornige Stimme fuhr durch sie wie ein Messer. Der Schmerz, die Wut waren beißend.

"Ich.." "Du hast mich versetzt! Du hast gesagt, dass du da sein würdest und dann warst du nicht da!", unterbrach er sie. Drohend kam er näher, die dünnen Hände zu Fäusten geballt, die hohlen Wangen gerötet.

"Du hast mich angelogen! Dein Versprechen gebrochen. Ich dachte, du willst meine Schwester sein.", seine Stimme brach. Zögerlich hob Ava die Hände. "Das wollte ich...das will ich...es tut mir so leid, Milo. Ich habe die Zeit vergessen und dann war es so spät. Es tut mir unendlich leid.", Ava berührte ihn sanft an der schmalen Schulter. Sie schämte sich ihm solche Schmerzen bereitet zu haben. Milo schlug ihre Hand weg.

"Und was hat dich so sehr abgelenkt, dass du mich vergessen konntest?" Ava zuckte zusammen und umarmte sich selbst. "Will..William und ich waren spazieren und dann haben wir noch lange geredet...ich hab die Zeit vergessen.."

Erbsünde  #Wattys2021Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt