14. Die Vergangenheit

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This World values children- not childhood ( Bioshock, burial at sea) 

Es war mitten in der Nacht als Ava im Mondschein ihre Tasche durchwühlte. Dominik und Williams Türen waren geschlossen, was ihr ein wenig Sicherheit gab, doch der stetige Luftzug durch die nicht vorhandene Tür trieb sie langsam in den Wahnsinn. Ihr entblößtes Zimmer glich einer offenen Wunde und sie blutete niedergeschlagene Tränen. Jahrelanges Betteln um Privatsphäre umsonst.

Sie fühlte sich verwundbar und angespannt. Jeden Moment konnten sich neugierige Augen auf sie richten und jedes ihrer nun wehrlosen Geheimnisse offenbaren. An Schlaf war daher nicht zu denken. So leise wie möglich suchte sie nach dem Zettel mit Milos Adresse.

Den ganzen Abend und die halbe Nacht über hatte sie geduldig gewartet bis sowohl Dominik als auch William zu Bett gegangen waren. Avas Gedanken wanderten zu dem vergangenen Abend und seufzend blickte sie zu Williams Tür. Dieser hatte irgendwie gewusst, dass sie nicht schlafen würde und war mit ihr wach geblieben. In seiner ruhigen, abwartenden Art war er ihr tatsächlich willkommen gewesen und hatte ihr trotz der Anhörung einen Hauch Frieden geben können.

In jeder Sekunde hatte sie gewusst, dass es ihr freistand zu gehen. William wäre nicht sauer oder gekränkt gewesen, der einzige Grund weshalb er bei ihr blieb, war weil sie es zuließ. Er gab ihr damit ein wenig Kontrolle zurück und dankbar nahm sie seine Geste an. Kurz vor Mitternacht waren ihr dann die Augen zugefallen und mit einem Lächeln hatte er sie zu ihrem Zimmer begleitet.

Da sie ihr Zimmer hatte nicht verschließen können, tat er es und verschwand hinter der hölzernen Barriere, die seine eigene Zimmertür darstellte, gestattete ihr dadurch zumindest die Illusion von Privatsphäre. Dominik war eine Stunde später gekommen. Ava glaubte kaum, dass der junge Mann sie bemerkt hatte, seinem unebenen Gang und dem lallenden Singen nach war dieser wieder betrunken.

Endlich berührten ihre Finger den Zettel und zogen ihn triumphierend aus der Tasche. Mit zittrigen Händen drückte sie ihn an ihre Brust und stand auf. Sie wollte nicht in ihrem Zimmer sein, wenn sie ihre Fähigkeiten nutzte. Die Gefahr das jemand sie störte oder gar herausfand was sie wirklich tat war zu groß.

Lautlos verzog sie sich daher ins Badezimmer und sperrte die Tür ab. Die kalten Fliesen bildeten einen starken Kontrast zu ihrem erhitzten Körper. Ein Blick in den Spiegel zeigte blasse Haus und rote Wangen. Ihre Geburtsmale schienen in ihrem rot zu leuchten. Am Rande ihres Sichtfeldes flimmerte es, warnte sie vor ihren Gaben und der schwindenden Kontrolle. Ava holte tief Luft und drängte jedes Bild, jede Erinnerung an die Anhörung aus ihrem Geist.

Sie wollte einfach nicht mehr daran denken. Mit neuer Entschlossenheit setzte sie sich an den kleinen Teppich vor dem Waschbecken und legte den Zettel vor sich auf den Boden. Nun wusste sie, wo sie telepathisch suchen musste, und bewaffnet mit Milos Bild im Kopf begann sie ihre Suche. Wie beim letzten Mal spürte sie als erstes die schlafenden Geister ihrer Bewacher.

Überrascht bemerkte sie Williams Unruhe und schlich näher an seinen Geist. Er hatte einen Albtraum. Sorge und Angst jagten durch seinen erregten Verstand und wühlten sein Herz auf. Wovon er wohl träumte? fragte sich Ava, doch beschloss ihm seine Träume zu lassen. Sie hatte kein Recht in seinen Geist einzudringen, bloß weil sie neugierig war. Mit diesem Gedanken verließ sie ihre Wohnung und suchte nach Milo. Nie zuvor war sie soweit mit ihrem Geist gereist oder hatte ihre Fähigkeiten in diesem Ausmaß angewandt. Beunruhigung breitet sich in ihr aus.

War sie denn wirklich stark genug? Meter wurden zu Kilometern und mit jedem Schritt näher zu Milo bemerkte sie wie stark sie war. Die Distanz war kein Problem. Mit einem Grinsen auf den Lippen flog sie weiter und begann diese Art der Freiheit zu genießen.

Erbsünde  #Wattys2021Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt