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Vier weitere Tage sind vergangen, vier Tage, an denen ich nicht gewagt habe dieses Heftchen zu öffnen, oder gar hineinzuschreiben. Vier Tage an denen ich dich weiter beobachtet habe. Noch bist du ahnungslos, noch hast du dieses Buch nicht bekommen. Du weißt noch nicht, welches Monster dir Tag für Tag zusieht... Ich will nicht mehr über mich reden, ich halte das nicht mehr aus. Ich hoffe du verstehst es, dass ich eine Seite, nur eine Seite über etwas anderes schreibe als meine Sünden, nämlich über dich.

Vergiss, was ich am Anfang geschrieben habe. Ich hasse dich nicht, ich bin nicht neidisch auf dich und ich verachte dich auch nicht, im Gegenteil, ich sehe dir gerne zu. Es kehrt eine Ruhe in mir ein, wenn du lachst, wenn du summst, wenn du liest, wenn du schläfst. Weißt du was du gerade machst, in diesem Moment? Du hörst Musik und jetzt gerade, in diesem Augenblick schleicht sich ein kleines Lächeln auf deine Lippen. Diese Art von Lächeln, die mich fühlen lässt, als wäre ich etwas Besonderes, als würde es nur für mich bestimmt sein. Aber es ist nicht für mich bestimmt. Du kennst mich nicht einmal. Immer wenn ich mir diesen Gedanken zurück ins Gedächtnis rufe, verschwindet diese Ruhe aus mir und eine Wut nimmt ihren Platz ein. Eine Wut, dass du mich nicht kennst, dass du mich nie so anlächeln würdest, wenn du mich kennen würdest, aber vor allem eine Wut auf mich selbst, für das was ich getan habe.

So gern würde ich wissen welches Lied du gerade hörst. Du hast Kopfhörer in deinen Ohren, also kann ich die Musik nicht hören. Die Musik, die jemand hört, sagt viel über deren Charakter aus, wusstest du das? Ich kenne dich zwar sehr gut, doch deine Gedanken, das Einzige, was ich noch nicht von dir weiß, kann ich nicht hören. Im einen Moment fühlt es sich so an, als würde ich dich so gut kennen, als wären wir zusammen aufgewachsen, im nächsten frage ich mich wer du bist, was du liebst, ob du mich verstehst. Hörst du ruhige Musik, Pop, Rap, Klassik, Metall, ...? Das nächste Mal, wenn du alleine bist und deine Musik aufdrehst, die Musik, die du nur aufdrehst, wenn du alleine bist, könntest du ohne Kopfhörer hören. Du bist zwar alleine in dem Raum, aber ich bin trotzdem da und kann mit dir hören. Du musst nicht alleine sein, wenn du nicht willst. Ich bin immer da, damit du jemanden zum Reden hast, oder auch nur zum zusammen Musik hören.

Was rede ich da? Du würdest sicher bestimmt nicht wollen, mit mir zu reden, mit mir Musik zu hören, nachdem du weißt, was ich getan habe. Es ist so schwer für mich zu verstehen, dass du nicht dasselbe für mich empfindest, wie ich für dich. Ich weiß, anfangs hasste ich dich auch, aber weißt du, was ich mittlerweile denke? Ich denke ich habe dich nie wirklich gehasst. Ich brauchte bloß eine Person, an der ich meine Wut auslassen konnte, damit ich nicht zugeben musste, dass ich an allem schuld war, noch immer schuld bin.

Weißt du, du bist mir schon einmal begegnet, bevor ich hierherkam. Ich bin mir sicher, ob du dich überhaupt an mich erinnern kannst. Es waren nur ein paar wenige Augenblicke. Ich möchte dir trotzdem mein Aussehen beschreiben, damit du dir mich nicht falsch vorstellst, oder mich nur als Schatten siehst. Ich bin 1,89 Meter groß, zumindest war ich das, als ich mich das letzte Mal gemessen habe. Ich habe kurze braune lockige Haare und grüne Augen. Mir wurde oft gesagt, dass sie so herausstrahlen, das es das erste ist, was man an mir sieht. Ich beschreibe sie eher als das, was meine Opfer sehen mussten, was sie sehen musste. Die meisten sagten mir immer nach, dass ich sehr attraktiv bin, das meine Gesichtszüge sehr markant sind. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Ich habe mein Gesicht seit über drei Jahren nicht mehr gesehen, ich kann mich nur noch an das Wichtigste erinnern. Ich weiß, das war etwas wenig über mich, aber ich dachte einfach, dass du dir mich vorstellen können musst, damit du vielleicht ein bisschen weniger Angst vor mir hast,

damit sich die Dunkelheit um mich etwas legt.

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