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Mir ist etwas klar geworden. Heute Nacht, als du träumtest. Du hast gelächelt. Weißt du, welches Gefühl ich da hatte? Ich fühlte Neid, Neid auf das, oder den, oder die, die du im Schlaf anlächelst. Ich will derjenige sein, den du anlächelst, ich will die Person sein, um die sich all deine Gedanken drehen, aber auf eine positive Weise, nicht weil du mich hasst, sondern weil du mich magst. Als ich dir zusah, wünschte ich mir, dass wir uns unter anderen Umständen kennengelernt hätten.

Vielleicht etwa so: Stell dir vor, eines Tages, als du von der Schule nach Hause gingst, und dich beeilen musstest, dass du deinen Bus erwischt, da ranntest du auf einmal in jemanden hinein. In einen braunhaarigen, großen Jungen. Er half dir auf, doch du bemerktest nicht, dass du dein Notizheft verloren hattest. Du entschuldigtest dich hastig und ranntest zum Bus. Der Junge jedoch fand dein Notizheft und machte es sich zur Mission dir zurückzubringen. Er informierte sich in deiner Schule über dich und am nächsten Tag sahst du ihn vor der Schule stehen. Er sah dir entgegen, als du auf ihn zugingst. Ein Lächeln umspielte seine Lippen, als er dir dein Notizbuch zurückgab. Du bedanktest dich und entschuldigtest dich erneut dafür, dass du ihn umgerannt hast. Als ihr ins Gespräch kamt, musstet ihr sogar über diesen Vorfall lachen. Ihr tauschtet Telefonnummern aus und spracht fast jeden Abend. Bald holte er dich jeden Tag von der Schule ab und brachte dich nach Hause, oder ihr machtet einen schönen Spaziergang. Und an einem wunderschönen Frühlingstag fragte er dich endlich, ob du seine Freundin sein wolltest und du? Du brachst vor Freude in Tränen aus und umarmtest ihn.

Das hätte unsere Geschichte sein können, hätten wir uns bloß anders kennengelernt, aber es musste natürlich anders kommen. Glück ist nur wenigen Menschen vergönnt, aber wir gehören nicht dazu, oder besser gesagt, ich gehöre nicht dazu, denn du hast Glück, mich nie so getroffen zu haben. Du hast Glück, dass du nie meine Freundin geworden bist, aber gleichzeitig hast du auch Pech, das ausgerechnet ich dich ständig beobachte. Vielleicht habe ich aber auch Glück, dass jemand mich aus meinem Leben herausgezerrt hat und mich daran gehindert hat weitere dumme, schreckliche Dinge zu machen. Ich habe mich entschlossen, dass ich mich hier nicht mehr eingesperrt fühle, ich fühle mich gerettet, von dir. Du hast mich davor bewahrt diese Welt komplett zu zerstören, ich weiß nicht, was sonst noch passiert wäre, ob ich überhaupt noch einen Funken Leben in mir gehabt hätte.

Aber es gibt etwas, das ich dir auf jeden Fall noch sagen muss, bevor unsere Seiten zu Ende sind. Wie viele Seiten habe ich schon beschrieben? Wie viele bleiben noch? Ich habe gerade nachgezählt. Das ist bereits die zehnte Seite. Uns bleiben nur noch vier Seiten. Vier Seiten, in denen ich dir noch so viel zu sagen habe, in denen ich dich noch überzeugen muss, dass du hinter meine Fassade sehen musst, hinter das Monster, von dem ich dir beschreibe. Ich weiß, ich flehe dich die ganze Zeit an mich zu verstehen, mich nicht zu hassen, gleichzeitig erzähle ich dir aber auch über jeden Schatten, der in mir haust, weil ich dich nicht anlügen will. Du hast es nicht verdient angelogen zu werden, trotzdem lüge ich dich noch immer über etwas an, oder besser gesagt, ich verschweige dir etwas. Wahrscheinlich bist du gerade sehr genervt, dass ich dir nicht gleich von Anfang an die Wahrheit gesagt habe, aber wenn ich dir dieses kleine letzte Detail verrate, bin ich mir sicher, dass du nicht anders kannst, als mich zu hassen. Im einen Moment will ich dir alles erzählen, damit ich dir später zusehen kann, wie du darauf reagierst, im selben Moment habe ich vor dieser Reaktion unbändige Angst. Würdest du weinen, schreien, zusammenbrechen? Ich will dich nicht brechen, ich will nicht, dass ich auch noch dein Leben zerstöre, aber ich denke, das habe ich zu einem Teil bereits.

Bitte habe Geduld mit mir. Ich werde dir noch das Ende meiner Geschichte erzählen, denn es muss aufgeschrieben werden, aber lass mich noch eine Weile im Glauben, dass ich nicht der Bösewicht in dieser Geschichte bin, in deiner Geschichte, denn das, was mir klar geworden ist, ist dass

Ich dich liebe.

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