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Und weil ich dich liebe, werde ich dir jetzt den Rest meiner Geschichte erzählen, weil du es verdient hast alles zu wissen.

Vielleicht hilft es dir vorzustellen, du würdest kein Buch lesen, das nur für dich bestimmt ist, sondern ein Buch, dass du eines Tages in der Buchhandlung gefunden hast. Es erzählt die Geschichte von Fremden. Vielleicht hilft es dir, dir vorzustellen, dass alles hier nur erfunden wurde von einem Autor, der es lustig findet seine Charaktere zu quälen, nur damit die Leser eine spannende Story bekommen. Stell dir das vor, während du hier weiterliest, denn das was jetzt kommt wird sehr schwer, nicht nur für dich, auch für mich. Ich werde zusehen müssen, wenn dir der Schock ins Gesicht geschrieben stehen wird und du vielleicht sogar in Tränen ausbrichst, weil alles was ich dir ab jetzt erzähle werde, die Wahrheit ist, die reine Wahrheit und nichts davon ist ausgedacht. Dieses Heftchen ist zu dir gelangt, weil es musste, weil es für dich bestimmt war, aber für die nächsten Zeilen kannst du so tun, als würdest nicht nur du diese Geschichte lesen, als würden tausende Menschen dieses Buch in den Händen halten und es zur Unterhaltung lesen. Bevor ich nun beginne zu erzählen, möchte ich mich noch einmal bei dir entschuldigen und du sollst wissen, dass diese Entschuldigung von ganzem Herzen kommt. Egal wie du reagierst, du sollst wissen, dass ich dich immer lieben werde. Es wird mir zwar das Herz brechen, dich gleich so sehen zu müssen, aber denke daran, ich tue es für dich. Es tut mir leid.

An jenem Abend, als ich betrunken war, war ich sauer, sehr sauer. Während ich das Auto lenkte, staute sich die Wut immer mehr in mir auf und ich wollte sie einfach herauslassen. Ohne nachzudenken stieg ich immer fester auf das Gaspedal, in der Hoffnung, dass diese Wut aus mir herausströmt und mich einfach in Ruhe lässt. Ich wollte bloß meine Ruhe haben, ich wollte von niemandem gestört werden, wollte einfach nur alleine sein in dieser wunderschönen Sternennacht. Kaum zu fassen, dass in so einer Nacht so etwas Schreckliches passieren kann. Ich bemerkte nicht mehr wie schnell die Umgebung an mir vorbeizog, ich war wie in einem Tunnel, jedoch sah ich das Licht am Ende nicht. Mein Ziel war diesen Tunnel zu verlassen, doch egal wie schnell ich fuhr, das Licht wollte einfach nicht auftauchen, also gab ich einfach nur mehr Gas, immer mehr, immer mehr, bis ich keine Kontrolle mehr über das Auto hatte. Und da kam sie, da kam diese Kreuzung, jene verhängnisvolle Kreuzung, die mein Leben für immer veränderte, die die Schatten in mir zu einem Monster machten, die mich zu einem Mörder machte. Ich sah das rote Licht der Ampel. Ich war erleichtert. Endlich sah ich das Licht am Ende des Tunnels, aber es war nicht das Ende. Dieses Licht war nur ein kleines Loch im Tunnel. Der Tunnel hatte gerade erst begonnen, es war gerade erst der Anfang. Er wollte mich nicht so schnell wieder freilassen und schon gar nicht, ohne dass ich etwas getan hatte, was ich wirklich bereuen werden würde. Das Mädchen in dem dunklen Gewand war gerade dabei den Zebrastreifen zu überqueren. Sie starrte auf den Boden, bemerkte mich nicht. Ich ließ diesen Moment so oft in meinem Kopf neu abspielen, bis ich ihre Haltung, ihre Mimik, einfach alles deuten konnte. Sie war niedergeschlagen. Ich weiß nicht, was ihr an diesem Tag passiert war, ob ihr Tag auch so schlecht verlaufen war wie meiner, aber sie war traurig. Ich kannte den Grund nicht. Ich will ihn wissen, will sie trösten. Als sie den Motor meines Autos hörte, die Scheinwerfer auf ihrem Körper spürte, war es bereits zu spät. Alles lief auf einmal in Zeitlupe ab. Ich konnte mich nicht bewegen, konnte meinen Fuß nicht auf das Bremspedal setzen. Einen Moment lang, der sich im Nachhinein anfühlte wie eine Ewigkeit, sahen wir uns an. Ihre weit aufgerissenen Augen waren so schön. Sie war schön, sie war so unfassbar schön und noch so jung.

Ihre Augen waren das letzte was ich sah. Weißt du wie ihre Augen aussahen? Sie sahen aus wie deine, denn die Person, die ich in jener sternenüberfluteten Nacht überfuhr, war keine andere als

du.

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