2 Jahre Später
Liebes Tagebuch, ich muss meine Sorgen jemandem erzählen, und dachte du wärst perfekt dafür, da du immer bei mir bist. Ich weiß, du lebst nicht einmal, aber trotzdem.
Ich hätte nie gedacht, wie sich alles in bloß zwei Jahren verändern könnte. Niemals. Ich vermisse meine Mutter und heule immer noch jeden Tag. Sie war zu jung um zu sterben. Warum sie. Warum musste sie einen Herzinfarkt kriegen. Schon jetzt beim Schreiben bekomme ich Tränen.
Ich kündigte meine kleine Wohnung und zog endgültig bei Henry ein.
Und dann war da noch die Sache mit seinem Unternehmen. Ich verstehe immer noch nicht wie er in Schulden geraten konnte und all sein Geld verloren hat, um diese Schulden zu bezahlen. Es wurde aber danach wieder besser. Mit dem Unternehmen meine ich. Was schlimmer wurde, war das Verhältnis zwischen uns beiden. Wir stritten uns. Sehr viel. Ich liebte ihn dennoch nach wie vor.
Dann, letzte Woche, war er einfach verschwunden. Ohne irgendeine Nachricht zu hinterlassen. Ich dachte, er war bloß spazieren oder so und dachte, er würde am Abend wieder kommen.
Das tat er nicht.
Ich rief ihn hundertmal an, schickte ihm hunderte von Nachrichten und dutzende E-Mails, aber es kam nie eine Antwort.
Ich weinte, bis ich keine Tränen mehr hatte. Ich rief meine Schwiegereltern an und fragte, ob sie irgendetwas von ihm wüssten. Das taten sie nicht. Sie sagten, ich sollte warten, bis er zurückkommt...Ich habe auch gewartet, vier Tage lang. Das waren schon zu viel, also rief ich die Polizei an. Sie suchen noch immer nach ihm. Ich kann nicht mehr warten.
Ich habe seit Tagen nichts gegessen.
Der Stift gleitet aus meiner Hand und fällt auf den Boden. Ich lasse ihn dort liegen. Diese Stille im Haus, die Leere in mir, sie machen mich verrückt. Mir ist kalt und ich fühle nichts anderes als Sehnsucht. Ich habe schon jemand wichtiges verloren. Ich kann ihn nicht auch noch verlieren. Morgen gehe ich selber nach ihm suchen.
Er ist nicht gestorben, das ist unmöglich. Sich umbringen würde er auch nicht, warum sollte er?
Ich gehe ins Bad, lasse Wasser ein und setze mich in die Wanne. Wenigstens ist da jetzt das rauschende Wasser, das die Stille bricht.
Ich nehme die Jack Daniel's Flasche, dass ich im Schrank gefunden habe, und trinke. Die Wanne ist voll genug, also drehe ich den Wasserhahn zu.
Nun liege ich da, im heißen Wasser und trinke.
Warum ist er gegangen? Hat er vielleicht jemand anderes kennengelernt?
Ich würde so gern heulen, aber es sind keine Tränen mehr übrig.
Ach Mom, wenn du jetzt bloß hier wärst.
Ich trinke, bis kein Tropfen mehr übrig ist.
Ich gehe besser aus der Wanne, bevor ich hier einschlafe und morgen wie Gollum aussehe, verschrumpelt und alt.
Ich trockne mich ab und steige gleich ins Bett. Warum etwas anziehen, wenn sowieso keiner da ist? Alleine in diesem riesigen Haus... ich fühle mich wie Belle aus die Schöne und das Biest, ohne das Biest.
Am nächsten Tag mache ich mich gleich auf den Weg. Ich weiß nicht, wohin ich gehen soll, aber mir fällt schon was ein. Ich steige ins Auto und fahre los. Ich gucke erst mal bei der Arbeit nach, vielleicht ist er ja dort. Ich bezweifle es.
Als ich die Tür zu seinem Büro aufmache entdecke ich kein Henry dahinter. Ich suche dennoch nach irgendwelchen Notizen oder ähnlichem, auch in meinem Büro.
Nichts.
Ich frage auch ein paar Angestellte, ob sie ihn hier gesehen haben. Einer sagt, dass er hier kurz aufgetaucht ist und gleich wieder gegangen ist.
Wo könnte er denn bloß sein? Ich werde noch verrückt.
Ich versuche mein Glück und rufe ihn im Auto wieder an. Es klingelt ein paar Mal, aber keiner hebt ab. Mir kommen die Tränen hoch. Ich rufe ihn noch weitere zehnmal an, schließlich hinterlasse ich ihm eine Nachricht an die Mailbox.
"Verdammt wo bist du? Hebe doch endlich mal ab! Warum verschwindest du einfach so, ohne etwas zu sagen. Was habe ich getan? Weißt du, wie sehr du mich verletzt? ANTWORTE ENDLICH MAL!" Die letzten Worte schreie ich ins Telefon. Ich verschicke die Nachricht und schmeiße das Handy auf den Beifahrersitz.
Ich warte, bis ich mich ausgeweint habe und fahre zurück nach Hause. Ich habe keine Lust mehr. Wenn er nicht gefunden werden will, dann sollte ihn auch niemand suchen, wie sehr man auch leidet.
Zurück daheim nehme ich mir wieder eine Flasche Alkohol und trinke im Schlafzimmer. Was soll ich sonst tun? In diesem Zustand traue ich mich nicht arbeiten zu gehen, ich könnte mich sowieso nicht konzentrieren.
Zu Freunden gehen? Mici ist in London und Ben mit seiner Freundin in Atlanta. Trevor muss arbeiten und meine Schwiegereltern möchte ich nicht belästigen. Sonst habe ich niemanden.
Plötzlich klingelt das Handy und ich setze mich ein wenig zu schnell auf, sodass es mir schwindelig wird, und schaue nach, wer anruft. Es ist eine unbekannte Nummer, ich hebe trotzdem ab.
"Hallo?"
Eine Frau flüstert;" Hallo, Chloe. Ich bin Erin."
Erin. Warum ruft mich Erin an? Ist etwa Henry bei ihrer alten besten Freundin?
"Ich höre", antworte ich schroff.
"Ich muss schnell machen. Ich schicke dir eine Adresse. Treffen wir uns da."
"Warte, was.." Aufgelegt. Was zum... Was will sie von mir? Das Handy piepst Die Nachricht mit der Adresse. Wir sollen uns um 20:00 Uhr dort treffen.
Na toll. Der Alkohol und ich muss fahren. Egal, wird schon schief gehen.
Wie gesagt komme ich um 20 : 00 heil und stabil am Treffpunkt an. Es ist ein kleines Restaurant am Stadtrand.
Ich gehe rein und sehe Erin hinten an einem kleinen eckigen Tisch sitzen. Sie lächelt mich schwach an und winkt mir zu. Ich setze mich ihr gegenüber.
"Hallo. Danke, dass du gekommen bist", begrüßt sie mich.
"Was gibt's?", sage ich kühl.
Sie holt tief Luft. Der Kellner kommt und unterbricht unser Gespräch. Wir beide bestellen Kaffee und sie fängt an zu reden.
"Henry ist vorgestern zu mir gekommen. Er sah ziemlich fertig aus."
Ich wusste es. Henry war bei ihr. Aber erst seit zwei Tagen, wo war er vorher? Warum ist er zu Erin gegangen?
Sie schaut mich an, als ob sie auf eine Antwort wartet. Ich habe ihr nicht zugehört.
"Was?", frage ich. Der Kellner bringt uns den Kaffee und verschwindet wieder.
Sie holt erneut tief Luft. "Er wollte nicht, dass ich dir irgendetwas davon sage."
"Warum nicht?", unterbreche ich sie.
"Weil er sich erst erholen wollte, bevor er wieder zurück zu dir kommt."
"Von was erholen? Was redest du da, Erin?"
"Von den Drogen, die er genommen hat."
"Was?!", rufe ich zu laut. Das kann nicht sein. Er würde so etwas nie tun. Niemals.
"Lass mich dir alles erklären. Er hat gesagt, dass er schon viel vorher angefangen hat, Drogen zu nehmen. Er ist dann abgehauen, um eine Therapie zu machen, damit er die Sucht los wird. Er bereute es zu sehr, tut es immer noch und weiß nicht, wie er es dir sagen soll. Deswegen bleibt er bei mir, damit er sich erholen kann. Es tut ihm so Leid, Chloe. Er ist fix und fertig."
Ich starre sie einfach mit offenem Mund an. Das kann nicht sein. Ich schlafe bestimmt und träume das alles. Aber ich weiß, dass es nicht so ist.
"Warum hat er die Drogen genommen?", frage ich leise.
"Weil ihm alles zu viel wurde. Die Arbeit, eure Streitereien und das alles."
"Ich glaub das nicht." Ich vergrabe mein Gesicht in meinen Händen.
"Bitte, sag ihm nichts von unserem Treffen."
"Ich muss ihn sehen." Ich hole Geld aus meiner Tasche für den Kaffee und lege es auf den Tisch.
"Warte, nein."
"Wo ist er?"
"Chloe, bitte."
"Wo ist er Erin?", rufe ich. Die Gäste im Kaffee drehen sich zu uns um, es ist mir aber egal.
"Ich bringe dich hin."
Wir steigen in ihr Auto und sie fährt los.
"Er wird mich hassen."
"Das wird er nicht."
"Doch, das wird er."
"Und? Ist doch egal! Ihr habt euch zwei Jahre lang nicht getroffen, ist doch egal, wenn ihr keine Freunde mehr seid", sage ich. Das war viel zu gemein, aber ich kann nichts dafür. Ich habe viel gelitten, und der Alkohol...
Sie fährt still weiter. Sie schaut traurig aus.
Wir halten nach zehn Minuten vor einem Stripclub an.
"Was machen wir hier?", frage ich als wir aussteigen.
"Hier wohne ich."
"In einem Stripclub?" Der Gedanke, dass er hier ist, mit den ganzen halbnackten Frauen.
"Eine Etage höher, ehrlichgesagt. Henry geht nie in den Club, keine Sorge."
Das beruhigt mich ein wenig.
Wir gehen durch den Stripclub in den Backstagebereich, weiter durch eine Tür und eine Etage höher. Hier befindet sich ein Gang mit vielen Türen.
Erin führt mich nach ganz hinten im Gang und macht die Tür auf der rechten Seite auf.
Bevor sie mich hinein lässt, dreht sie sich zu mir um.
"Sei bitte nicht so hart zu ihm,"
"Jaja, mach schon."
Ihre Wohnung ist klein, aber groß genug für eine Person. Sie führt mich durch das Wohnzimmer in den Flur zur Schlafzimmer. Ich halte sie am Arm fest und ziehe sie nah an mich heran. Erstaunlich, wie stark jemanden Alkohol machen kann. Stark und dumm.
"Habt ihr beide etwa im gleichen Bett geschlafen?", flüstere ich streng.
"Nein, ich hab im Wohnzimmer geschlafen", gibt sie ehrlich zurück.
"Habt ihr gefickt?"
"Nein!", flüstert sie schnell zurück. Ein wenig zu schnell.
"Los, geh." Ich schupfe sie von mir weg. Sie macht die Tür auf.
Ich schiebe sie auf die Seite und gehe in den Raum. Der Raum ist dunkel, beleuchtet von einer Lavalampe. Auf ihrem kleinen alten Bett liegt jemand. Liegt er.
"Kannst du uns allein lassen?"
Erin nickt und geht raus. Ich verschließe die Tür hinter ihr und gehe langsam zu dem Bett. Sein Gesicht liegt halb unter der Decke. Ich schiebe sie vorsichtig zurück. Er blinzelt und öffnet seine Augen. Ich streichle seine Wange und er blickt hoch in meine Augen. Und weicht zurück.
Er scheint erschrocken zu sein. Dass er zurückgewichen ist, verletzt mich.
"Hey", sage ich und zwinge mich zu lächeln.
"Was machst du denn hier?" Seine Stimme ist tiefer als je zuvor und heiser, seine Augen dunkel umrandet, seine Haare länger und zerzaust Er schaut aus wie ein Rocker.
"Wo warst du Henry?"
Er streicht mit der Hand durch die Haare und leckt seine Lippen.
"Erin hat es dir gesagt. Eri-"
"Wo warst du?!", schreie ich. Ich halte meine Tränen nicht mehr zurück. Er guckt mich verwirrt an. Aber er guckt mich diesmal richtig an. Seine Augen weiten sich.
"Was ist mit dir passiert? Du schaust so abgemagert aus", stellt er fest und kommt wieder näher zu mir. Diesmal weiche ich zurück.
"Wie konntest du einfach so gehen. Warum hast du mir nichts davon gesagt?! Wir hätten das Problem gemeinsam lösen können! Stattdessen verkriechst du dich, wie ein verängstigter Hund!", rufe ich.
Er schweigt.
"Weißt du wie viel Sorgen ich mir gemacht habe? Ich dachte für den Anfang, du wärst tot! Aber die Nachrichten würden das sofort melden. Die Polizei hat nach dir gesucht! Ich habe nach dir gesucht! Denkst du, abzuhauen war das beste?"
"Chloe.."
"Ich hatte niemanden, mit dem ich reden könnte verdammt! Deshalb habe ich versucht, meine Sorgen mit Alkohol zu verdrängen!"
"Es tut mir leid!", ruft er wütend.
"Es tut mir leid", sagt er erneut, sanfter. "Ich wollte nicht, dass du mich in diesem Zustand siehst. Es war mir peinlich. Bitte, vergib mir."
"Warum Erin?"
"Was?"
"Warum bist du zu Erin gegangen? War ein Hotel zu teuer für dich?"
"Wir haben nichts gemacht, Chloe."
"Sicher. Lass uns gehen. Steh auf."
"Chloe..."
"Willst du etwa hier bleiben? Na schön, dann bleib hier!"
Ich gehe zur Tür, bevor ich die Türklinke berühren kann, werde ich zurückgezogen und hart an die Wand geschubst.
Er hält mich fest. Sein Griff ist zu stark und er tut mir weh.
"Wir haben nichts getan, Chloe."
"Du tust mir weh."
Ich schaue ihn nicht an und versuche zu entkommen.
"Sie hat im Wohnzimmer geschlafen und ich hier. Sie hat sich um mich gekümmert."
"Lass mich los."
"Hörst du mir zu?", schreit er mir ins Gesicht.
"Ja! Ja, Henry das tue ich! Wenn du mich loslassen würdest, dann könnte ich mich besser auf deine Worte konzentrieren, als auf den Schmerz in meine Arme!"
Er lockert seinen Griff und presst seine Lippen auf meine. Das kommt unerwartet, aber ich erwidere seinen Kuss. Das hat mir gefehlt. Es füllt meinen Körper wieder ein wenig mit Wärme.
"Lass uns gehen", sagt er atemlos und holt seine Sachen.
Erin sitzt im Wohnzimmer und liest eine Zeitschrift.
"Danke Erin, für deine Hilfe", sagt Henry und wir verlassen gleich den Club, ohne auf ihre Antwort zu warten.
Er fährt uns zurück nach Hause. Endlich hab ich ihn wieder.
DU LIEST GERADE
Secret Desire - Das Einzige was zählt
Ficción GeneralDie Fortsetzung von "Secret Desire"