3

3K 109 2
                                    

Ich komme langsam wieder zu mir und öffne meine Augen. Im Zimmer ist es dunkel und ich weiß nicht, wo ich bin. Ich schaue mich um. Ein Krankenhaus.

Jetzt fällt mir alles wieder ein. Henry. Mein Herz pocht wie wild. Ich stehe schnell auf und werde zurück gezogen. Eine Nadel steckt in meinem Arm. Ich ziehe es raus und renne auf die Korridore. Ärzte stehen in jeder Ecke. Ich renne los, weiß nicht wo ich mit der Suche anfangen soll. Ein Arzt sieht mich und hält mich auf.

"Mrs Blackthorn, Sie sollten eigentlich im Bett liegen."

"Wo-" Mehr bringe ich nicht raus. Mein Hals ist trocken.

Ich versuche es wieder. "Wo. Ist. Henry?", huste ich.

"Kommen Sie, Sie müssen sich hinlegen."

"Wo ist mein Mann?!", schreie ich.

Er nickt und deutet mir mit dem Kopf ihm zu folgen.

Wir fahren mit dem Aufzug ein paar Stockwerke höher.

Er führt mich weiter durch die Korridore bis wir vor einer Tür stehen bleiben.
"Mrs Blackthorn, sie sollten sich vielleicht hinsetzen."
"Was? Warum?"
Er schweigt und scheint zu überlegen.
"Was ist los, Herr Doktor?", hacke ich nach.
"Mr Blackthorn, er hat Lungenkrebs."
Mein Herz macht einen Satz. Ich höre nicht, was er sagt. Ich ringe nach Atem und tränen fließen über mein Gesicht. Meine Welt bricht zusammen. Ich kann ohne ihn nicht leben.
Der Arzt führt mich zu einem Stuhl am Gang und ich falle auf den Sitz.
Er kniet sich vor mir nieder und tätschelt meinen Arm.
"Chloe..."
"In welchem Stadium ist er?", schluchze ich.
Er schaut zu Boden und drückt meinen Arm fester.
Bevor er mir antwortet, holt er tief Luft. "Im dritten Stadium."
"Das kann nicht sein. Das kann einfach nicht sein." Mein Herz droht stehen zu bleiben. "Er hatte früher keine Symptome oder Anzeichen. Er hat ein paar Mal gehustet, aber jeder normaler Mensch tut das, oder nicht? Das muss ein Fehler sein. Ich glaube Ihnen nicht."
Ich kann es einfach nicht glauben. Er schien immer gesund zu sein und hatte nie irgendwelche Beschwerden.
"Einige Symptome treten manchmal eine lange Zeit lang nicht auf. Wir werden alles tun, um ihn wieder zu heilen."
"Kann ich ihn sehen?"
Er nickt und befiehlt mir, ihm zu folgen. Ich kann das alles immer noch nicht glauben. Das kann nicht wahr sein. Er hat das nicht verdient.
Ich folge dem Doktor durch die Tür in das Zimmer. Er liegt da, ein paar Schläuche stecken in seinem Arm. Er schläft noch.
"Er kann heute Abend nach Hause. Ich gebe ihm ein paar Medikamente mit. Nächste Woche muss er aber wieder kommen", flüstert er. Ich nicke und gehe zu Henry.
Er schläft ruhig und fest, als ob nichts passiert wäre. Ich ziehe den Stuhl, neben seinem Bett näher ran, nehme seine Hand und halte sie fest.
"Du wirst wieder gesund, das verspreche ich dir", flüstere ich und küsse seine Hand. Er seufzt und schläft ruhig weiter.
Ich lege mein Kopf auf das Bett und schlafe ein.

Als ich aufwache ist es dunkel. Ich halte immer noch seine Hand.
"Hey", sagt eine heisere Stimme.
Ich sehe ihn an. Er lächelt schwach und drückt meine Hand.
"Du bist wach! Wie geht es dir?", sage ich zittrig.
"Gar nicht mal so schlecht. Ich habe nur Durst", gibt er zu.
"Warte." Ich stehe auf und gehe zu dem Tisch, auf welchem ein Krug voll mit Wasser und zwei Gläser stehen. Ich fülle eines und reiche es ihm. Danach rufe ich den Doktor.

Daheim nimmt Henry die Medikamente, welche Doktor Wright uns mitgegeben hat. Er muss außerdem nächste Woche nochmal ins Krankenhaus. Ich hoffe er wird so schnell wie möglich wieder gesund. Ich hoffe, er wird wieder gesund...
Das Abendessen verläuft ruhig. Keiner von uns redet. Die Stille ist aber nicht unangenehm, es hat etwas Warmes an sich.
Nach dem Abendessen liegen wir auf der Couch und schauen uns einen Film an, als mein Handy klingelt.
Es ist Ben.
"Hallo, Ben! Wie geht es dir?", frage ich. Ich habe schon lange nichts mehr von ihm gehört.
"Hallo. Hast du Zeit?" Seine Stimme klingt traurig. Oh je.. Ich schaue Henry an und er nickt.
"Ja, warum?"
"Könnten wir uns treffen?"
"Du bist wieder da?"
"Ja."
Ich überlege kurz. Ich will mich mit ihm treffen, aber ich will Henry auch nicht alleine lassen.
"Wie wäre es, wenn du zu mir kommst? Du kannst auch hier bleiben, wenn du willst."
"Ja, klar. Ich bin in 20 Minuten da."
Er legt auf.
"Ich frage mich, was passiert ist", sage ich und lehne mich zurück.
"Es ist bestimmt nichts Schlimmes", meint Henry.
"Ich weiß nicht. Er klang ziemlich traurig. Dich stört es nicht, dass er hier bleibt?"
Er schüttelt den Kopf und nimmt meine Hand.
"Ich gehe schlafen", gähnt er und küsst meine Stirn, bevor er geht.
"Gute Nacht!", rufe ich ihm nach. Ich schalte den Fernseher aus und begebe mich in die Küche, um mir eine Tasse Kaffee zu kochen.
Hoffentlich ist Ben nichts Schlimmes passiert.
Nach einer halben Stunde klingelt es an der Tür.
Ben schaut fertig aus. Seine Augen sind rot, seine Klamotten schmutzig und er hat einen längeren Bart. Ich umarme ihn zur Begrüßung.
"Ben! Komm herein."
"Danke, Chloe."
"Für was?"
"Dass ich hierbleiben kann."
"Natürlich kannst du das. Wir sind doch Freunde."
Wir gehen ins Wohnzimmer und setzen uns auf die Couch.
"Wo ist Henry?"
"Er ist schon schlafen gegangen."
"Wie geht es ihm?"
Sollte ich es ihm sagen? Vielleicht schon, vielleicht will es Henry aber gar nicht.
"Er fühlt sich nicht so gut", sage ich schließlich.
"Ist alles in Ordnung?", fragt er besorgt. Ich gebe es auf. Ich sag es ihm.
"Er hat Lungenkrebs."
"Was? Chloe, das tut mir leid, ich wusste nicht-"
"Ist schon in Ordnung." Ich zwinge mich zu lächeln.
"Gibt es irgendetwas, das ich tun kann?"
"Nein, aber danke. Das ist nett von dir. Willst du einen Kaffee?", sage ich um das Thema zu wechseln. Sonst fange ich wieder an zu heulen.
"Nein, danke."
"Sicher?"
"Ja."
Er schaut auf seine Hände.
"Ist alles in Ordnung, Ben?"
"Ich hab sie mit jemand anderem erwischt."
Seine Freundin…
"Was?", rufe ich. Er schaut ziemlich traurig aus. Wie ich so etwas hasse.
"Ja. Daraufhin hat sie Schluss gemacht."
"Hast du gefragt warum?" Ich tätschle tröstend seine Schulter. Das ist echt hart. Ich dachte, die beiden wären für einander bestimmt.
"Ich konnte nicht. Sie schmiss all meine Sachen vor die Tür und schubste mich raus. Sie sah nicht einmal traurig aus." Er vergräbt das Gesicht in seine Hände.
"Entschuldige, aber sie ist eine Schlampe. Du hast sie nicht verdient."
"Ich liebe sie, Chloe." Er sieht mich hilflos an. Oh Gott, er tut mir so Leid.
"Entweder wird sie es bereuen und zu dir zurückkommen, oder du wirst jemand anderes finden."
Er seufzt. War vielleicht nicht der beste Vorschlag, aber er scheint nachzudenken.
"Ja, mal sehen. Ich kann sie aber nicht so leicht wieder vergessen."
Er umarmt mich.
"Bist du müde?", frage ich und werfe einen Blick auf die Uhr. Es ist schon elf.
"Nein, ich will nicht schlafen."
"Willst du einen Film schauen?"
"Was für einen Film?"
Ich lächle.
"Was du möchtest."
"Na gut."
Ich gehe zum Schrank und suche einen passenden Film aus, damit er abgelenkt wird. Zu mindestens für 2 Stunden.
Ich finde etwas mit Blut und schiebe die DVD in den Player.
"Möchtest du irgendetwas essen?", frage ich.
"Nein, danke."
Ich setze mich wieder neben ihm und wir gucken uns gemeinsam den Film an. Nach einer Zeit fallen mir die Augen zu.
"Ben, ich gehe jetzt schlafen", flüstere ich.
"Okay."
"Du kannst entweder hier schlafen oder im Gästezimmer. Such dir eines aus."
"Danke."
"Gute Nacht."
"Nacht, Chloe."
Armer Ben. Ich hoffe er wird sich bald wieder gut fühlen. Jemanden zu verlieren, den man geliebt hat, ist schmerzhafter als alles andere.

Secret Desire - Das Einzige was zähltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt