Ungefähr eine halbe Stunde später saß ich auf meinem Bett, mein Handy in der Hand. Clarys Nummer hatte ich schon eingegeben, ich müsste nur auf den grünen Knopf drücken und trotzdem zögerte ich. Was sollte ich sagen, wenn sie mich nach meinem Verhalten vom Vortag fragt?
Auf einmal klingelte mein Handy und bevor ich es wirklich durchdacht hatte, ging ich dran.
"Florence. Endlich erreiche ich dich", sagte Clary und klang erleichtert. "Ich war beschäftigt", log ich nicht besonders gut und konnte nur hoffen, dass sie mein Zögern nicht bemerkt hatte. "Ist schon okay. Ich wollte dich nur fragen, wann wir uns das nächste Mal sehen und ich möchte keine Ausreden hören", sagte sie und fing leise an zu kichern, was mein Herz ein bisschen schneller schlagen ließ. Wenn sie nur wüsste... "Hast du Übermorgen schon was vor?", fragte ich, was mich einige Überwindung kostete. "Ich glaube nicht. Wollen wir uns vielleicht im Park treffen? So um 14Uhr?", antwortete sie spontan und ich nickte langsam, bis mir einfiel, dass sie mich nicht sehen konnte. "Klar, warum nicht", sagte ich, behauptete dann, mein Dad hätte mich gerufen und legte auf. War das wirklich so eine gute Idee???Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass wir inzwischen fast 14Uhr hatten. Ich würde Clary also in 48 Stunden sehen... Mein Gefühl sagte mir, dass ich mit jemandem reden sollte, aber ich wusste einfach nicht mit wem. Mit wem redet man denn, wenn man hoffnungslos verliebt ist?
Keine halbe Stunde später hatte ich DIE Idee. Ich zog mich um, besorgte mir eine kleine Schaufel und einen Müllsack aus dem Garten und verließ das Haus. Unterwegs besorgte ich noch Blumen, die eingepflanzt den Sommer gut überstehen würden und dann lief ich auf direkten Weg zum Friedhof. Ich war lange nicht mehr so oft dort wie früher. Nachdem der erste große Schmerz des Verlustes abgeklungen war, hatte ich meine Besuche am Grab meiner Mutter reduziert. Nach ihrem Tod war ich fast jeden zweiten Tag dort gewesen, dann nur noch einmal die Woche und irgendwann nur noch alle zwei Wochen. Inzwischen ging ich ungefähr einmal im Monat hin, auch wenn manchmal sogar noch mehr Zeit zwischen meinen Besuchen verging. Grayson war schon immer nicht besonders gerne zu Mums Grab gegangen und ich vermutete, dass auch Dad inzwischen deutlich seltener dort hin ging. Keiner von uns würde sie je vergessen können, aber wir wussten auch, dass wir nicht in der Vergangenheit leben sollten, das hätte sie nicht gewollt.Als ich ankam, wurde mir sofort bewusst, dass seid mehreren Wochen keine mehr hier gewesen sein kann, denn das Unkraut hatte die Überhand gewonnene. Dad hatte nie einen Gärtner für dieses Grab gewollt, weil er sich selber drum kümmern wollte, aber vielleicht sollte er sich das doch noch einmal überlegen... Ich fing an das Unkraut raus zu reißen und die Erde ein bisschen aufzulockern, damit ich die neuen Blumen einpflanzen kann. Währenddessen fing ich an mit meiner Mum zu reden (auch wenn man das als Flüstern bezeichnen musste, denn ich wollte nicht von anderen gehört werden). "Hey Mum. Ich weiß, ich war lange nicht mehr hier, aber ich hatte viel zu tun. Du wärst furchtbar stolz auf Grayson und mich. Wir haben unseren Abschluss gemacht und werden beide anfangen zu studieren. Grayson wird Medizin in Oxford studieren und ich Jura, hier in London. [...]"
Nach fast einer Stunde war ich fertig. Das Grab sah aus wie neu und mir ging es deutlich besser. Ich hatte zwar kein Wort über Clary verloren, aber dadurch, dass ich Mum von allem möglichen erzählt hatte, fühlte ich mich auf irgendeine Art und Weise geborgen.
Ich ging auf die Bank zu, welche schräg gegenüber von Mums Grab stand und setzte mich hin. Nach Hause gehen wollte ich noch nicht, denn entweder würde ich dann eventuell auf Grayson stoßen, welchem ich noch eine Erklärung schuldig war oder aber ich würde wieder anfangen über Clary nachzudenken. In dem Moment wollte ich mich selber Ohrfeigen... ich sage mir selbst, dass ich nicht an Clary denken will und allein ihr Name in meinem Kopf reicht aus, um mich schon wieder verrückt zu machen.
Nach einer halben Stunde, in welche ich nur aufs Grab oder in den Himmel geguckt hatte, berührte mich jemand an der Schulter und ich zuckte fürchterlich zusammen. "Ich wollte dich nicht erschrecken", sagte Grayson und setzte sich neben mich. "Woher wusstest du, dass ich hier bin?", fragte ich. "Als du nicht zu Hause warst, wusste ich, dass du nur hier sein kannst. So aufgewühlt wie du warst, war das logisch", antwortete er mir. Ich nickte stumm. "Du hast ganze Arbeit geleistet", sagte er und deutete mit dem Kinn auf das Grab unserer Mutter. "Danke", flüsterte ich. Ich wusste genau, dass Grayson nicht hier war, um mit mir über Mums Grab zu reden. "Jetzt frag doch bitte das, was du wissen willst", sagte ich leicht zickig und wusste sofort, dass es nicht fair war. Er machte sich immerhin nur Sorgen um mich. "Florence", fing er an und drehte mich so, dass ich ihm zwingend in die Augen gucken musste. "Ich mache mir Sorgen. Was war auf dem Abschlussball los? So etwas habe ich bei dir noch nie gesehen", sagte er und guckte mich mit Sorge in den Augen an. Ich überlegte, was ich ihm sagen konnte. Eine Lüge würde er sofort bemerken und dann wäre er gekränkt, aber die Wahrheit wollte ich ihm auch nicht sagen. "Es gibt da jemanden, den ich sehr mag", fing ich an und atmete einmal tief durch "eine Beziehung grenzt aber ans Unmögliche und als ich diesen jemand gesehen habe, bin ich halt ein bisschen...", beendete ich meinen Satz und guckte ihn an. Es war die Wahrheit. Ich hatte ihm nur nicht gesagt, um wen es geht. "Kann ich dir irgendwie helfen?", fragte er. "Nein. Das muss ich alleine hinbekommen", antwortete ich und kurz drauf machten wir uns zusammen auf den Heimweg. Es tat gut zu wissen, dass Grayson auf mich aufpasste, auch wenn ich noch nicht dazu bereit war, ihm die Wahrheit zu erzählen.Die restliche Zeit bis zu meinem Treffen mit Clary verging wie im Flug. Ich versuchte mich so gut wie möglich abzulenken und nicht an meine eigene Nervosität zu denken. Das funktionierte zwar mehr schlecht als recht, aber ich schaffte es ohne einen weiteren Nervenzusammenbruch oder Tränenausbruch. Am Tag selber wurde ich dann aber doch so nervös, dass ich kurz überlegte das Treffen doch noch abzusagen. Aber am Ende meiner Überlegungen kam ich dann doch zu dem Entschluss, dass es nichts bringen würde. Clary würde keine Ausrede gelten lassen und ich würde es wahrscheinlich auch bereuen.
Als ich um 13 Uhr in die Küche ging, stieg meine Nervosität noch weiter an... Ich lief in der Küche auf und ab und guckte alle paar Sekunden auf die Uhr. "Ist alles okay?", fragte Ann, als sie in die Küche kam. Ich nickte nur abwesend und guckte wieder auf die Uhr. 13:10 Uhr. Auf einmal legte mir jemand, Ann, die Hand auf die Schulter. "Liebes, was ist los?", fragte sie und versuchte mir in die Augen zu gucken, aber ich wich ihrem Blick aus. "Es ist schon alles okay. Ich muss gleich aber auch los", antwortete ich ausweichend. "Okay", sagte Ann, holte sich eine Limo aus dem Kühlschrank und ging wieder. Sie war ein bisschen enttäuscht, das konnte ich ihr ansehen. Ich wollte sie zwar nicht kränken, aber obwohl sie inzwischen meine Stiefmutter war, war es immer noch komisch.
Um zwanzig nach ging ich aus dem Haus, obwohl ich eigentlich noch Zeit hatte. In der Küche hielt ich es einfach nicht mehr aus... Dadurch war ich allerdings auch schon um kurz nach halb im Park. Ich setzte mich auf die Bank, an welcher wir uns treffen wollten und guckte auf mein Handy. Ich war viel zu früh... War es wirklich besser hier warten zu müssen als zu Hause? "Hey, du bist ja auch schon da", hörte ich Clary neben mir sagen. Ich zuckte kurz zusammen, drehte mich dann aber lächelnd zu ihr um. "Hi", begrüßte ich sie.
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Silber - Can love survive everything? ~Unterbrochen~
FanfictionFlorence merkt kurz vor ihrem Abschluss, dass sie sich verliebt hat. Durch Ängste und Unsichheiten verschreckt, versucht sie ihre Gefühle zu verdrängen. Aber das kann nicht ewig funktionieren... Begleitet Florence in ihrer ganz eigenen Geschichte mi...