Kapitel 6

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Liv und Henry guckten mich leicht geschockt an, während Liv langsam auf mich zu kam. "Liv, kann ich mit dir reden?", fragte ich ganz leise und zog dabei die Nase hoch. Normalerweise machte ich das nicht, ich weinte auch nicht vor anderen, aber ich war einfach fix und fertig. Liv nickte und gleichzeitig klingelte es an der Haustür. Henry flüsterte ihr etwas ins Ohr und ging dann aus dem Wohnzimmer, sodass ich mit Liv alleine war. Liv zog mich langsam Richtung Sofa und setzte sich direkt neben mich. "Was ist los?", fragte sie, wobei sie meine Hand allerdings nicht losließ. Wahrscheinlich hatte sie Angst, ich würde wieder aufspringen und wegrennen oder so. Allerdings war ich dafür eindeutig nicht in der richtigen Verfassung.

Wie sollte ich nur anfangen ihr meine Situation zu erklären? "Wann hast du gemerkt, dass Henry in dich verliebt ist?", fragte ich sie. Vielleicht konnte ich ja irgendwelche Vergleiche ziehen, die mir helfen würden. Liv sah zwar verwirrt aus, antwortete aber "Ich glaube das war an meinem Geburtstag." Das half mir jetzt auch nicht weiter... "Und wann wusstest du, dass du ihn liebst?", fragte ich jetzt. Ich hoffte sie würde keine Fragen stellen, aber Liv war nicht dumm und ich wusste, dass sie diese Situation nicht auf sich beruhen lassen würde. "Als er mich das erste mal geküsst hat. Florence, was wird das und warum weinst du?", sagte Liv und drückte meine Hand. Ich musste ihr etwas sagen. Ich rang mit mir und wusste immer noch nicht so recht, wie ich anfangen sollte. Erstmal musste sie mir etwas versprechen. "Du musst mir aber versprechen es niemandem zu sagen. Auch nicht Grayson und auch bitte nicht Henry." Ich wartete auf ihre Reaktion. Sie musterte mich und nickte, aber ich musst es einmal von ihr gehört haben. Erst als sie "Ich sag es wirklich keinem", gesagt hatte, fing ich an zu reden. Sehr schnell an zu reden.

"Also ich dachte, ich habe mich verliebt. Das Gefühl hatte ich lange nicht mehr und es war schön. Aber ich dachte, dass meine Gefühle nicht erwidert werden, deshalb habe ich versucht meine Gefühle zu verdrängen. Das hat aber nicht wirklich funktioniert und dann...", ich musste einmal tief durchatmen, bevor ich neu ansetzen konnte. "dann hat mich genau diese Person geküsst. Ich wurde von der Person geküsst, wo ich gedacht habe, keine Chance zu haben und jetzt habe ich Angst, dass der Kuss für uns nicht die selbe Bedeutung hat." "Was hat er denn nach dem Kuss gesagt?", fragte Liv und guckte mich an. Ich merkte, dass ich rot wurde. Ich musste ihr sagen, dass es kein Junge war. Ich war zu ihr gegangen und jetzt musste ich auch ehrlich mit ihr sein. "Sie hat gesagt, dass sie das schon immer mal machen wollte, aber Angst vor meiner Reaktion hatte", sagte ich und guckte Liv genau an. Ich wollte ihre Reaktion nicht verpassen. Es dauerte ein paar Sekunden und dann konnte ich die Erkenntnis in ihren Augen sehen. Sie lächelte. "Also ich würde sagen, dass sie auch in dich verliebt ist und nur Angst davor hatte, es dir zu sagen oder irgendwie zu zeigen", sagte sie. Ich atmete nochmal tief durch. Wie oft hatte ich heute bitte schön schon tief durchatmen müssen?! "Kenne ich sie?", fragte Liv neugierig und ich musste ein bisschen lächeln, auch wenn ich immer noch durch den Wind war. "Ich glaube nicht. Sie ist mit mir in die selbe Klasse gegangen. Ihr Name ist Clary", antwortete ich Liv bereitwillig. Es hatte keinen Zweck es ihr zu verschweigen. "Was denkst du, würden Dad, Grayson und die anderen sagen, wenn sie es wüssten?", fragte ich Liv  und hatte spontan wieder Tränen in den Augen. Ich konnte nicht abstreiten, dass ich mich in Clary verliebt hatte, aber warum auch immer hatte ich ein bisschen Angst es meiner ganzen Familie zu erzählen. Musste ich das jetzt überhaupt schon? Oder konnte ich mir einfach noch ein bisschen Zeit lassen?

Liv lächelte mich liebevoll an und sagte dann "Sie werden sich für dich freuen. Sie lieben dich und es ist ihnen ganz bestimmt total egal, ob du Männer oder Frauen liebst. Aber ich hab eine kleine Frage an dich. Bin ich die erste, der du sagst, dass lesbisch bist?" Meine Tränen verschwanden wieder, auch wenn der zweite Teil mich stocken ließ. Lesbisch. Mit dem Wort konnte ich mich irgendwie nicht identifizieren, aber das war mir egal. Ich wusste nur eins und zwar, dass ich etwas für Clary empfand und nicht mehr davor weg laufen wollte. Ich nickte also einfach stumm. "Ich finde es schön, dass du mir als erste davon erzählt hast", sagte Liv ernst und zog mich in eine kurze Umarmung. Und in diesem Moment hatte ich sie einfach sehr gern und sie fühlte sich noch mehr als sowieso schon an wie eine Schwester.

"Was soll ich jetzt am besten machen?", fragte ich Liv, da ich es nicht schaffte meine Gedanken zu sortieren. "Um ganz ehrlich zu sein, kann ich dir das nicht so genau sagen. Aber du musst auf jeden Fall mit ihr reden", antwortete Liv in einem aufmunternden Tonfall. "Und was ist wenn sie nicht mit mir reden will? Immerhin bin ich vor ihr weggerannt", erwiderte ich verunsichert. "Florence, du darfst dich nicht davor fürchten mit Clary zu reden. Ich hatte dieses Gefühl auch schon mal bei Henry und es hat mich fast die Beziehung gekostet", sagte Liv darauf voller Ernst. "Ich rufe sie jetzt an", sagte ich und zog mein Handy aus meiner Tasche, auch wenn ich noch nicht ganz überzeugt war von meiner eigenen Idee. Bevor ich nochmal das Gespräch mit Liv suchen konnte, klingelte es an der Tür und Liv sagte "Es wird schon alles klappen. Ich gehe zur Tür und du telefonierst in der Zeit." Sie verließ das Wohnzimmer und ich atmete (schon wieder) tief durch.

Ich starrte auf mein Handy und musste nur noch den grünen Knopf drücken, konnte mich aber nicht überwinden. Die Wohnzimmertür wurde geöffnet und Liv steckte den Kopf herein. "An der Tür war jemand für dich. Hast du schon telefoniert?", fragte sie mich und ich schüttelte den Kopf und stand auf. Als ich allerdings sah, wer neben Liv in der Küche stand, blieb ich wie angewurzelt stehen. "Was machst du hier?", flüsterte ich. Ich stand unter Schock. Ich hatte zwar mit ihr reden wollen, aber, dass sie jetzt einfach wieder vor mir stand, machte mich nervös. "Wir müssen reden", sagte Clary ruhig und guckte mir direkt in die Augen. "Ich wollte dich grade anrufen", sagte ich, konnte mich aber immer noch nicht bewegen. "Wollt ihr vielleicht ins Wohnzimmer gehen?", fragte Liv uns, worauf ich nur nicken konnte. Langsam drehte ich mich und nahm hinter mir wahr, dass auch Clary sich in Bewegung setzte. "Florence, könntest du mir dein Handy leihen. Ich möchte Henry anrufen?", fragte Liv mich, grade als ich durch die Tür gehen wollte. Immer noch stumm gab ich ihr mein entsperrtes Handy und ging dann hinter Clary her ins Wohnzimmer und machte hinter mir die Türe zu.

Clary hatte sich auf einen der Sessel gesetzt, weshalb ich mich einfach wieder auf das Sofa setzte. Es breitete sich ein Schweigen über uns aus, was keiner von uns so wirklich brechen wollte. Ich wusste nicht, wie ich ein Gespräch anfangen sollte. Erst vor ein paar Minuten hatte ich es das erste Mal laut ausgesprochen und hatte gedacht bereit zu sein für dieses Gespräch doch jetzt... was sollte ich nur sagen? "Florence?", räusperte Clary sich und guckte auf.

Silber - Can love survive everything? ~Unterbrochen~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt