Kapitel 12

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Clary guckte mich überrascht an. "Ich hatte dir doch geschrieben, dass ich früher komme, als du gesagt hast, dass ich auch früher kommen könnte", sagte ich und war ein bisschen verwirrt. Clary stand vom Boden auf (sie hatte vor ihrem offenen Kleiderschrank gesessen, was mich beruhigte, denn das hieß, dass ich nicht die einzige war, die vor einem Treffen über Klamotten nachdachte), aber um ehrlich zu sein, sah Clary auch so gut aus, auch wenn sie sich eindeutig noch nicht umgezogen hatte. Sie trug eine weite Jeans und ein verwaschenes, eng sitzendes T-shirt. Nach einem Blick auf ihr Handy, sagte sie mit einem Lächeln auf den Lippen "Nein, hast du nicht." "Doch. Ich bin mir sicher, warte kurz", sagte ich jetzt und holte mein Handy aus der Tasche. Der Chat von Clary und mir war noch offen und ich wurde sofort ein bisschen rot. "Ich hab die Nachricht nicht abgeschickt", nuschelte ich und hielt ihr mein Handy hin. Daraufhin fing sie an zu lachen und ich merkte, wie mir noch mehr Röte ins Gesicht schoss.

"Das muss dir nicht peinlich sein", sagte sie und ihr Lachen wurde zu einem Kichern ab. Ich biss mir kurz auf die Unterlippe und versuchte dann in einem möglichst normalen Tonfall etwas von mir zu geben. "Es ist mir nicht peinlich. Ich hoffe, ich habe nicht gestört." Sie wand sich kurz ab und schloss den Schrank und kam dann zu mir zurück. "Du störst nie", sagte sie mit fester Stimme und nahm meine Hände in ihre. Meine Röte, die ich versucht hatte unter Kontrolle zu bekommen, kehrte schlagartig in mein Gesicht zurück. Ich war unfähig was zu sagen und das obwohl Clary mich leicht auffordernd anguckte und auf eine Aussage meinerseits wartete. Also drückte ich ihr einen kurzen Kuss auf die Lippen und lächelte sie an. "Ich hoffe doch wohl, dass es keine Momente gibt, in denen ich vollkommen ungelegen komme", sagte ich dann mit einem Unterton, den ich selber nicht zu deuten wusste. Es breitete sich eine Stille zwischen uns aus, in der man nur das Ticken von der Uhr an der Wand hören konnte und ich hatte das Gefühl, das Knistern zwischen uns förmlich zu sehen oder wenigstens zu hören.

Nach einer knappen Minute räusperte Clary sich und flüsterte "Ich finde es gut, dass du hier bist und im Moment gibt es vermutlich tatsächlich keinen Moment, in dem du mich stören würdest. Dafür bin ich ... Dafür bist du mir momentan viel zu wichtig." Mir stockte der Atem, weil ich sofort anfing darüber nachzudenken, was sie als erstes hat sagen wollen. Lange konnte ich aber nicht nachdenken, denn Clary beugte sich vor und fing an mich zu küssen. Ich erwiderte den Kuss ziemlich sofort und meine Gedanken waren sofort wie ausgelöscht.

Irgendwann lösten wir uns voneinander und schnappten beide nach Luft. "Ich... Du...", fing ich an vor mich hin zu stottern, bekam aber keinen zusammenhängenden Satz raus. Clary guckte mich verträumt an, woraufhin mein Herz zum wiederholten Male einen kleinen Satz machte. Ihre Haare sahen deutlich unordentlicher aus, als noch vor ein paar Minuten und auch ihr T-shirt schien nicht mehr so ganz richtig zu sitzen und irgendwie hatte ich die "Befürchtung", dass ich ähnlich aussah. Auf jeden Fall fielen mir einzelne Strähnen aus meinem Zopf ins Gesicht.

Ich strich Clary eine Strähne hinters Ohr und brach dann die Stille. "Hast du eine Idee, was wir heute machen wollen?", fragte ich, auch wenn ich mir bei der Frage ein bisschen dämlich vorkam. Bis vor knapp einer Minute standen wir knutschend in ihrem Zimmer und jetzt fragte ich sie, ob sie etwas mit mir machen will. "Hatten wir nicht grade schon eine Beschäftigung gefunden?", fragte sie mit rauer Stimme und guckte mir dabei nicht in die Augen, sondern starrte auf meine Lippen. Und auch wenn ich mir vorkam wie in einem dieser kitschigen Liebesromane und ich nie gedacht hätte, dass ich so auf eine solche Aussage in so einer Situation reagieren würde, beugte ich mich vor und fing erneut an sie zu küssen. Wenn mich je jemand gefragt hätte, was ich tun würde, wenn das mal jemand zu mir sagt, hätte ich wahrscheinlich behauptet, dass ich dann ein 'Nicht dein Ernst' oder so etwas in der Art raus hauen würde, aber ... Jetzt und hier, mit Clary wäre mir so eine Antwort nicht im Traum eingefallen.

Wir taumelten, wie auch schon vor wenigen Minuten, weiter durch den Raum und auf einmal stieß ich mit meinen Beinen gegen etwas und fiel nach hinten. Clary hinter mir her, weil keiner von uns auf die Idee kam, den anderen los zu lassen. Kurz hatte ich einen Anflug von Panik, aber bevor ich reagieren konnte, landeten wir auf Clarys Bett und wir lösten uns lachend voneinander.

Als wir uns irgendwann beide beruhigt hatten, lagen wir im Arm des jeweils anderen und lächelten vor uns hin. Die Stille, die sich über uns gelegt hatte, war kein bisschen unangenehm und ich musste zugeben, dass es sogar sehr schön war. Einfach bei ihr zu sein und nichts zu tun. Nach fast fünfzehn Minuten setzte ich mich auf und guckte sie an. "Was hälst du von einem Spaziergang oder so?", fragte ich und bemerkte sofort, dass meine Stimme eindeutig noch nicht wieder normal klang. "Wenn du das wirklich willst, gerne. Aber ich glaube, ich sollte mir dann doch noch was anderes anziehen und wir sollten uns beide einmal die Haare bürsten", sagte sie und zum Schluss schwang ein bisschen Sarkasmus mit. Als ich ein paar Minuten später im Badezimmer stand, während Clary sich in ihrem Zimmer umzog, wusste ich allerdings auch, was sie gemeint hatte. Nicht nur meine Bluse war völlig verrutscht und teilweise zerknittert, sondern auch meine Haare sahen aus, als wäre ich grade erst aufgestanden oder so. Von meinem Zopf war jedenfalls nicht mehr so viel übrig und von meinem Lippenstift noch viel weniger. Und trotzdem grinste ich in den Spiegel.

Als ich fünf Minuten später, mit gerichteter Bluse, gebürsteten Haaren und gewaschenem Gesicht, an Clarys Tür klopfen wollte, ging diese auf und Clary stand vor mir. Ebenfalls mit gebürsteten Haaren und anderen Klamotten. "Können wir dann los?", fragte ich und als Clary nickte, griff ich nach ihrer Hand und zog sie in Richtung Haustür. Als ich grade die Klinke runter drücken wollte, blieb Clary stehen und guckte mich ernst an. "So schön ich das hier grade auch alles finde, muss ich dich etwas fragen und ich möchte, dass du mich ehrlich antwortest", sagte sie mit dem selben Ernst, den ich auch in ihrem Blick schon gesehen hatte. "Was ist denn?", fragte ich und versuchte nicht verschreckt bzw. gekränkt zu klingen, denn diesen Anflug versuchte ich zu unterdrücken. "Vor keinen drei Tagen hast du mir gesagt, dass du noch nicht so weit wärst zu dem was zwischen uns ist offen zu stehen, aber diesen Eindruck vermittelst du heute einfach überhaupt nicht", sagte sie und warum auch immer biss sie sich nervös auf die Unterlippe. "Ich weiß, was ich gesagt habe, aber nach dem, was gestern mit Liv passiert ist, habe ich für mich beschlossen, nichts krampfhaft zu verheimlichen. Ich würde jetzt also gerne mit dir spazieren gehen. Immerhin ist unser Date gestern alles andere als optimal verlaufen", sagte ich und wurde immer leiser. Clary guckte mich mit großen Augen an. "Das höre ich gerne", brachte sie stotternd hervor, drückte sie mir einen Kuss auf die Wange und öffnete dann die Tür.

Ich hoffe es ist euch nicht zu kitschig, aber irgendwie fand ich, es passt. Noch ein schönes Wochenende und allen, die jetzt Ferien haben, schöne Ferien😊

Silber - Can love survive everything? ~Unterbrochen~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt