Kapitel 13 - Beim Schulleiter

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Der rote Lichtstrahl traf Severus Snape mitten in die Brust und ließ ihn reglos zusammensacken. Helins Herz raste, pumpte noch immer Adrenalin durch ihre Adern, welches sie in dem kurzen aber heftigen Kampf bitter benötigt hatte.
Sie starrte auf den am Boden liegenden Mann hinunter und wusste nicht, was sie denken sollte. Ihr Kopf war leer, der Verstand für einige lange Momente von einem unkoordinierten Wechsel auflodernder Emotionen überschattet.
Am Ende fand Helin sich selbst in dem übel mitgespielten Zaubertrankklassenzimmer wieder- mehr als alles andere fassungslos darüber, was soeben geschehen war.
Ihr Gehirn begann wieder zu arbeiten, als sie das Blut bemerkte.
Rasch eilte sie die letzten Schritte zu Snape hinüber und kniete sich nieder, um ihn zu untersuchen. Den Sturz schien er ohne weiteres überstanden zu haben, aber der Riss am Unterarm blutete heftig.
Zwar empfand Helin kein Mitleid für den Verletzten, aber einen Gegner nach dem Kampf zu versorgen, war ihr in Fleisch und Blut übergegangen. Also richtete sie den Zauberstab auf die blutende Wunde, konzentrierte sich und murmelte „Episkey."
Sie war nie herausragend in Heilzaubern gewesen, aber es reichte zumindest für eine solide Erstversorgung. Bei Einsätzen griff Helin für gewöhnlich lieber auf Tränke und Tinkturen zurück und sicher gab es hier irgendwo Diptam, oder nicht? Immerhin war das ein Zaubertrankklassenzimmer und für einige Tränke der höheren Klassenstufen...
Die Aurorin ließ den Blick über die Regale schweifen und musste feststellen, dass es einige Lücken in diesen gab, die vorher sicher nicht da gewesen waren. Allerdings würde es ewig dauern, hier nach etwas Bestimmtem zu suchen, solange sie keine Ahnung hatte, wo es stand. Accio Diptamessenz!" probierte sie es einfach auf gut Glück...doch nichts geschah.
‚Wie nachlässig, so etwas nicht in diesem Klassenzimmer aufzubewahren...' dachte Helin und schnaubte ungläubig.
Also schön. Dann würde Snape wohl damit leben müssen, sollte er eine Narbe zurückbehalten- immerhin war es sein eigener Zauber gewesen, der ihm das angetan hatte. Und Helin dachte lieber nicht darüber nach, was geschehen wäre, wenn er sein eigentliches Ziel getroffen hätte.

Die Stille im Klassenzimmer schien sich gemeinsam mit dem Staub wie ein drückendes Kissen herabzusenken, während Helins Augen nun das erste Mal aufmerksam über Snape wanderten. Strähnen schwarzen Haars klebten ihm feucht im aschfahlen Gesicht. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen und die Oberlider schienen gerötet und geschwollen zu sein. Vielleicht hatte er zu viel von irgendwelchen Dämpfen aus einem seiner Kessel abbekommen.
Die Aurorin in Helin juckte es in den Fingern, das angrenzende Büro unter die Lupe zu nehmen, es nach verdächtigen Gegenständen zu durchsuchen... Doch sie riss sich zusammen. Nicht ohne Durchsuchungsbefehl! Noch gleich dreimal gar nicht in einem fremden Land!
Aber eines gab es, was sie tun konnte...und würde.
Sie stieg über Snape hinweg und ging auf seiner linken Seite erneut in die Hocke. Dann begann Helin, den eng geschnittenen Ärmel an seinem linken Handgelenk aufzuknöpfen.
Anhänger Grindelwalds zu erkennen, wenn diese es nicht darauf ankommen lassen wollten, war nahezu unmöglich. Doch die Diener des schwarzen Magiers, der sein Unwesen vor allem in England getrieben hatte, waren gezeichnet.
Eigentlich hatte Helin den Ärmel im Zuge des Kampfes mit einem unauffällig eingewobenen Abtrennzauber zerfetzen wollen, doch dies hier war natürlich weitaus sicherer.
Sie schob den schwarzen Stoff und das weiße Hemd darunter über den sehnigen Unterarm zurück, drehte die Handfläche nach oben...und sah, was sie vermutet- und doch zugleich gefürchtet hatte:
Nicht mehr pechschwarz zwar, blass, aber noch immer deutlich zu erkennen, zeichnete sich ein Totenschädel auf der bleichen Haut ab, aus dessen weit geöffnetem Mund eine Schlange quoll. Das Dunkle Mal...


Helin stand auf dem oberen Absatz der Wendeltreppe und klopfte laut an die schwere Tür zu Dumbledores Büro, ehe sie ungeduldig einen Schritt zurück trat. Es dauerte nur ein paar Sekunden, bis eine Antwort ertönte, doch sie kamen Helin wie eine Ewigkeit vor.
„Herein..." ihre Hand stieß die Tür bereits auf, noch ehe das Wort ganz verklungen war.
„Professor Dumbledore...!" begann die Aurorin sogleich – ihr Temperament noch immer nur mühsam zügelnd. Hinter ihr fiel die Tür ins Schloss.
Helin hatte erst zwei schnelle, ausladende Schritte getan, als sie sich mit einem Mal des gewaltigen Raumes bewusst wurde und der schiere Anblick sie urplötzlich innehalten ließ. Entgeistert sah sie sich um.
„Ah...guten Abend, Helin..."
Die Aurorin musste sich einmal um die eigene Achse drehen, ehe sie Dumbledore erblickte- nicht etwa vorn an dem gewaltigen Schreibtisch, welcher der Tür gegenüber stand, sondern schräg hinter ihr vor einem hohen, schmalen Schrank aus dem ein blasses Schimmern drang und dessen Türen er gerade in aller Ruhe schloss. Der Schulleiter lächelte sie an und hob fragend die Brauen. „Was führt Sie um diese Zeit noch zu mir? Und noch dazu in solch aufgebrachter Stimmung?"
Helin brauchte einen Moment um sich zu sammeln und sich daran zu erinnern, dass Dumbledore Menschen zu lesen schien, wie die zahlreichen Bücher, die die Wände seiner Räumlichkeiten zierten.
„Ich..." eine Bewegung, am Rande ihres Sichtfeldes lenkte Helin ab. Sie wandte den Kopf und ertappte gerade noch einen schmalgesichtigen Zauberer auf einem Gemälde neben dem Schreibtisch dabei, wie er missbilligend die Lippen schürzte, ehe er sich rasch wieder schlafend stellte. Sie wusste, dass ihr Eintreten nicht sonderlich höflich gewesen war.
Der Schulleiter jedoch schien sich nichts daraus zu machen und ging nun an ihr vorbei zu seinem Schreibtisch, wobei er sie mit einer einladenden Geste aufforderte, ihm zu folgen.
„Setzen Sie sich doch. Möchten Sie einen Tee? Stärkere Getränke meiden Sie meines Wissens nach..."
Helin, noch immer irritiert vom schieren Anblick des Büros mit seinen vielen runden Tischchen und den zahllosen filigranen Gerätschaften darauf, hatte Mühe, ihre Aufmerksamkeit wieder auf Dumbledore zu richten. Sie blieb stehen.
„Ich, äh...nein. Nein, danke." mit einem Ruck riss sie ihre Augen von dem Regalbord los, auf dem sie gerade einen sehr vertrauten, geflickten, alten Zaubererhut entdeckt hatte, und suchte statt dessen Dumbledores Blick. „Professor, es gibt ein gewaltiges Problem..."
„Du liebe Güte..." unterbrach Dumbledore sie schmunzelnd und schüttelte seine weiten Ärmel zurück, um eine handvoll beschriebener Papiere zur Seite zu räumen. „...und das schon so kurz nach Ihrer Ankunft?"
Helin hatte noch nicht viel Erfahrung mit seiner etwas speziellen Art, doch nun da sie sich wieder auf den eigentlichen Grund ihres Hierseins besann, kehrte auch das Gefühl mühsam beherrschter Wut zurück.

Sie stützte die Hände auf die polierte Tischplatte und lehnte sich nach vorn.
„Ja, so kurz nach meiner Ankunft." ihre Stimme klang zorniger als sie beabsichtigt hatte, doch sie konnte sich nicht helfen. „Sind Sie sich im Klaren darüber, dass Sie einen Todesser an der Schule haben?!"
Stille. Selbst das Schnarchen der Portraits an den Wänden verstummte. Jegliches Lächeln war mit einem mal von Dumbledores Gesicht verschwunden. Seine Züge wurden todernst und die blauen Augen richteten sich durchdringend auf die junge Aurorin.
„Und was...veranlasst Sie zu dieser Vermutung?" wollte der Schulleiter wissen.
„Zur Verkündung einer Tatsache..." korrigierte Helin ihn und bemühte sich, ihre Stimme gedämpft zu halten. Dumbledore runzelte leicht die Stirn, bedeutete ihr durch ein angedeutetes Nicken jedoch weiterzusprechen.
„...dass Ihr Zaubertranklehrer mindestens einen unverzeihlichen Fluch problemlos auszuführen in der Lage ist, vor etwa zwanzig Minuten nicht davor zurückschreckte, eine Schülerin zu verletzen und das Dunkle Mal auf seinem Arm eingebrannt ist!" nun war ihre Stimme doch lauter geworden und einige der Portraits hatten sogar die Augen geöffnet, um das Geschehen besser verfolgen zu können.
Dumbledores Blick verschärfte sich- seine volle Aufmerksamkeit lag auf Helin. Doch der Schock, den sie in seinen Zügen zu sehen erwartet hatte, blieb aus.
„Ist die Schülerin versorgt?" war Dumbledores erste, beinahe barsche Frage. Helin nickte. Angespannt lehnte der Schulleiter sich in seinem Stuhl zurück.
„Was ist geschehen?" wollte Dumbledore wissen- und obwohl er ganz ruhig sprach, war die Forderung nach einer sofortigen Erklärung überdeutlich zu hören.
Helin- froh darüber, dass er verstand, begann zu erzählen, konnte sich aber nicht stillhalten. Aufgebracht schritt sie vor seinem Tisch auf und ab, während die klaren blauen Augen ihr folgten wie die eines Falken.

Sie erklärte, wie sie hinunter in die Kerker gekommen- und aus der Ferne Zeugin des Zusammenstoßes der Slytherin-Schülerin mit Snape geworden war. Wie sie das Mädchen im Gang gefunden- und sich von ihr umgehend hatte berichten lassen, was vorgefallen war.
Nur kurz wies Helin darauf hin, dass Pomona das Mädchen anschließend in den Krankenflügel begleitet hatte, während sie selbst sich der Problematik des Zaubertranklehrers annahm.
Der Schulleiter hörte schweigend zu, nickte nur hin und wieder kaum merklich, um ihr zu bedeuten, dass er ihren Ausführungen folgen konnte.
Helin hatte Mühe, ihren Zorn auf Snape, die Entrüstung darüber, was er getan hatte- dass er sich überhaupt an dieser Schule befand- beim Sprechen zurückzuhalten.
Beinahe konnte sie Hauks mahnenden Blick im Nacken spüren, wie bei all den Berichterstattungen vor ihrem Einsatzleiter, sobald man ihr das Wort erteilte.
Ruckartig richtete Dumbledore sich in seinem Stuhl ein wenig auf, als Helin erzählte, wie Snape den ersten Fluch gegen sie gerichtet hatte. Die Aurorin hielt in ihrem unruhigen Auf und Ab inne und sah ihn an. Es war die erste Reaktion des Schulleiters, die sie erlebte, die man als beinahe ...unbeherrscht hätte bezeichnen können.
„Weiter. Was geschah dann?"
„Ich habe mich verteidigt." antwortete Helin geradeheraus. „Es kam zum Kampf. Er..." sie brachte es in diesem Moment nicht über sich, seinen Namen auszusprechen „...wurde von einem seiner eigenen Zauber getroffen, der zurückprallte und ihn entwaffnete."
Ihr Unterkiefer mahlte, während die Aurorin sich alle Mühe gab, so ruhig und gelassen wie möglich zu wirken. Wieder nickte Dumbledore.
„Und wo ist Severus jetzt?"
Helin runzelte die Stirn. Das klang nicht so, wie ein Schulleiter klingen sollte, der eben erfahren hatte, dass einer seiner angestellten Professoren ein Todesser war. Es klang vielmehr fast schon besorgt.
„In seinem Klassenzimmer. Ich habe ihn geschockt, die Verletzung versorgt und die Tür versiegelt, ehe ich herkam. Dumbledore, wir müssen umgehend Ihr Ministerium informieren!"
„Haben Sie seinen Zauberstab an sich genommen?"
„Selbstverständlich." Helin klang beinahe empört, holte ihn jedoch hervor, damit Dumbledore ihn sehen konnte. Er streckte die Hand aus.
„Bitte geben Sie ihn mir."
Sie zögerte...etwas in der Art, wie ruhig Dumbledore blieb, gefiel ihr nicht. Helin blieb wo sie war, den fremden Zauberstab in der Hand.
„Sie werden ihn den Auroren übergeben, nicht wahr...?" fragte sie und behielt Dumbledore scharf im Auge. Dieser erwiderte ihren Blick ohne zu blinzeln.
„Nein."
„WIE BITTE?!" Helin war sicher, sie müsse sich verhört haben. „Was soll das heißen: ‚Nein.'?!"
„Das heißt..." erklärte Dumbledore vollkommen ruhig, aber mit fester Stimme „...dass ich weder den Zauberstab, noch Severus den Auroren des Ministeriums überantworten werde."
Helins Gesicht erstarrte. Ihre Augen weiteten sich und aus Fassungslosigkeit wurde blankes Entsetzen. Langsam wich sie zurück, während ihre recht Hand zur linken Hüfte wanderte.
Sie war bereit, sich jeden Moment gegen einen weiteren, mächtigen Schwarzmagier zu verteidigen, plante bereits, was sie in die Luft jagen könnte, um sich ausreichend Zeit zu verschaffen, aus dem Büro zu fliehen. Doch Dumbledore seinerseits machte keine Anstalten, nach seinem eigenen Zauberstab zu greifen.
„Ich versichere Ihnen, dass keinerlei Notwendigkeit für Sie besteht, hier und jetzt in meiner Anwesenheit einen Zauber zu wirken. Welcher Art auch immer er sein möge." sagte Dumbledore noch immer mit seiner ruhigen Stimme und stand ohne jede Hast auf.
Helin ließ sich von diesen Worten jedoch nicht davon abhalten, ihren dunklen Zedernholzstab zu ziehen und noch einen Schritt in Richtung Tür zurückzuweichen. Warum war dieses Büro so verflucht groß?
Keines der Portraits an den Wänden gab inzwischen mehr vor, zu schlafen. Viele verfolgten die Szenerie mit großen Augen, einige zischten Helin missbilligend an und eine kleine Hexe mit Ringellöckchen rief: „Seien Sie jetzt ja vernünftig, Mädchen!"
Die Aurorin beachtete sie nicht. Schon dachte sie darüber nach, ob sie sich verwandeln sollte, um mit dem Vorteil des Überraschungsmoments aus dem Raum zu entkommen, als Dumbledore erneut zu sprechen anhob:
„Ich weiß, dass diese Situation für Sie verwirrend sein muss, Helin. Beängstigend vielleicht sogar. Denn natürlich können Sie nur Schlüsse ziehen, aus dem, was Sie wissen- oder zu wissen glauben..." anstatt um seinen Tisch herum zu kommen und ihr zu folgen, hatte Dumbledore Helin den Rücken zugewandt und stand nun vor einer leeren Vogelstange, über die er mit einer Hand strich, als wolle er den Staub abwischen. Sie konnte es nicht fassen.
Entweder war der Mann vollkommen wahnsinnig-, oder sich seiner Sache so sicher, dass er sich nichts dabei dachte, einer bewaffneten, voll ausgebildeten Aurorin den Rücken zu kehren, nachdem er dieser gerade eröffnet hatte, er würde einen eindeutig identifizierten Todesser nicht der Gerichtsbarkeit übergeben. Beide Möglichkeiten beunruhigten Helin zutiefst.
„Ich fürchte, ich werde Ihnen nicht erlauben können, dieses Büro zu verlassen, ehe ich Ihnen ein paar Dinge erklärt habe." Dumbledore drehte den Kopf und warf einen Blick über die Schulter zu Helin, die sich noch immer langsam aber stetig rückwärts auf die Tür zubewegte.
„Sie können mich hier nicht festhalten!" knurrte sie ihn an und tat noch einen Schritt.
„Ich kann." erwiderte Dumbledore schlicht. „Aber es wäre mir lieber, wenn Sie mich nicht dazu zwingen würden, es mit Gewalt zu tun." nun wandte er sich vollends um. „Ich denke, von hässlichen Szenen, die daraus entstehen könnten, gab es heute bereits mehr als genug für einen Abend."

Gletschereis und FrühlingssonneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt