Hogsmeade (Teil II)

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Entsprechend mühselig schleppte sich der Freitag dahin und schon am Morgen hätte Helin beinahe ihr Versprechen vergessen, sich wieder beim Frühstück in der Großen Halle blicken zu lassen.
Sie kam ein wenig zu spät und fast alle Plätze am Lehrertisch waren bereits besetzt. Doch Septima hatte Wort gehalten und ihr einen Platz mit gutem Abstand zu Snape gesichert.
So hielten sie es von nun an auch bei allen anderen Mahlzeiten. Die Aurorin wusste nicht, ob Snape ihr Wiedererscheinen wahrgenommen hatte oder was er davon hielt. Denn sie vermied es konsequent, in seine Richtung zu blicken und schließlich schaffte sie es am Samstagmorgen sogar beinahe, seine Anwesenheit zu vergessen.
Nicht ganz unschuldig daran waren die anderen Professoren, die bereits voller Elan Pläne schmiedeten, auf welche Art man Helin an diesem Tag einen guten ersten Eindruck von Hogsmeade würde verschaffen können.
Die geringe Motivation, mit der sie zwei Abende zuvor noch auf Septimas „Angebot" eingegangen war, hatte sich inzwischen zu einer angenehmen Vorfreude gewandelt und tatsächlich entfaltete der geplante Ausflug bereits die vorgesehene Wirkung: Helins düstere Gedanken lösten sich in dunstige Schleier auf. Gemeinsam mit dem herbstlichen Morgennebel wurden diese davon getragen, während ein verheißungsvoller, blauer Himmel die Herbstsonne auf die Schlossgründe scheinen ließ.


Zehn vor elf stand die junge Aurorin am großen Portal, wo sie mit Septima verabredet war. Durch die geöffnete Tür blickte sie hinaus auf die sanft abfallenden Hänge, wo die letzten Tautropfen im Gras funkelten. Es war ein kühler, klarer Tag und Helin freute sich darauf, ihn zum größten Teil draußen zu verbringen.
Die Probleme, welche sie kurz zuvor noch für allumfassend gehalten hatte, büßten im hellen Sonnenlicht deutlich an Bedrohlichkeit ein und die Düsternis, in die ihre Gedanken sich kurzzeitig verirrt hatten, war bereits wieder verflogen.
Als hinter ihr in der Eingangshalle Schritte ertönten, wandte Helin sich um. Ihre Augen brauchten einen kurzen Moment, um sich an das veränderte Licht zu gewöhnen und so entdeckte sie ihn erst auf den zweiten Blick:
Snape war soeben aus dem Gang in Richtung der Lehrerzimmer gekommen und hob gerade den Kopf. Als er sie sah, blieb er wie angewurzelt stehen. Ihre Blicke begegneten sich auf halber Strecke quer durch die Eingangshalle. Helin sah, dass er zögerte. Fast schien es, als wolle er zu ihr herüber kommen. Ja, er machte sogar einen widerwilligen Schritt in ihre Richtung... doch da hasteten schon eilig trippelnde Füße die große Marmortreppe hinunter. Der Zaubertranklehrer verharrte, warf Helin noch einmal einen undeutbaren Blick zu...und machte dann kehrt, um in Richtung der Großen Halle zu verschwinden.
Kaum war er außer Sicht, tauchte auch schon Septima mit fliegendem Umhang auf und sprang die letzten Stufen hinab in die Eingangshalle. Sie wirkte ein wenig außer Atem.
„Entschuldige, ich wollte eigentlich pünktlicher sein! Hast du schon lange gewartet?" fragte sie, nachdem sie zu Helin aufgeschlossen hatte. Diese beschwor in Windeseile ein Lächeln auf ihr Lippen und winkte ab. „Erst seit ein paar Minuten, keine Sorge!"
Nicht willens, sich von der kurzen Beinahe-Begegnung und Snapes merkwürdigem Verhalten die gute Laune für diesen Tag verderben zu lassen, riss Helin sich vom Anblick der Tür zur Großen Halle los und sah ihre Kollegin an. Sie schmunzelte.
„Was soll das denn werden?" fragte sie, während sie zusah, wie Septima sich über ihrem Halstuch einen zweiten Schal um die Schultern schlang.
„Es ist kalt!" gab diese beinahe vorwurfsvoll zurück und musterte Helin von Kopf bis Fuß. „Du solltest dir vielleicht auch noch etwas Wärmeres mitnehmen. Nicht dass du dich verkühlst..."
Helin, die nur ihren üblichen Reisemantel trug, lachte hell auf. „Der Boden taut doch über Tag noch auf! Keine Angst, wenn es wirklich kalt wird, passe ich schon auf mich auf."
Ihre Kollegin zögerte und warf Helin einen dieser typischen Blicke aus leicht verengten Augen zu, bei denen sich ihre Lippen immer ein wenig zuspitzten. Helin wäre jede Wette eingegangen, dass Septima sich diesen Gesichtsausdruck von McGonagall abgeschaut hatte. Bei den Schülern zeigte er mit Sicherheit Wirkung!
Belustigt nickte die Aurorin in Richtung der offenen Tür. „Wollen wir dann? Also...sofern du dich unter all den Sachen noch bewegen kannst...?"
Septima nahm die kleine Spitze würdevoll hin und reckte das elegante Kinn über ihre beiden Schals hinaus, ehe sie sich in Bewegung setzte.

Ohne Hast schlenderten sie nebeneinander über die Schlossgründe. Aus der Ferne konnte Helin das Quidditchfeld erkennen, sowie einige scharlachrote Gestalten, die zwischen den Torpfosten auf und ab brausten.
„Nächsten Samstag ist das erste Spiel der Saison." sagte Septima, die Helins Blick bemerkt hatte.
„Immer noch...Gryffindor gegen Slytherin?" fragte die Aurorin, die sich zwar nicht mehr an viel aus ihrer Zeit hier erinnerte, jedoch schon früh eine Begeisterung für den Zauberersport entwickelt hatte. Septima nickte.
„Und wie stehen die Chancen?" wollte Helin wissen, doch die Arithmantiklehrerin hob nur die Schultern unter ihrem dicken Umhang. „Das fragst du wohl besser Minerva. Ich kann nicht viel mit Quidditch anfangen. Aber Gryffindor hat den Pokal zuletzt vor drei oder vier Jahren geholt, wenn ich mich recht entsinne." Helin verzog unwillig das Gesicht.
„In meinem zweiten Jahr hier hat Gryffindor gewonnen. War ein grandioses Finale gegen Ravenclaw. Ich dachte damals, das Team könnte gar nicht verlieren." gab sie zurück. Aber Septima schien tatsächlich nur wenig Begeisterung für das Thema aufbringen zu können. Sie warf ebenfalls einen kurzen Blick hinüber zum Stadion und schüttelte leicht den Kopf.
„Ich habe nie verstanden, was alle so an Quidditch finden. Jedes Jahr vor den Auswahlspielen sind meine Klassen wie ausgewechselt. Keiner scheint auch nur halbwegs in der Lage zu sein, sich auf irgendetwas anderes zu konzentrieren als auf die Konstellationen der neuen Mannschaften." sie seufzte und brachte Helin damit erneut zum Schmunzeln.
„Aber...du kommst doch zum Spiel, oder?" wollte sie wissen, woraufhin Septima die Augen verdrehte.
„Pf...denkst du etwa ich hätte eine andere Wahl? Wenn ich weiterhin mit Minerva an einem Tisch sitzen will, sollte ich mich hüten, eines der Hausspiele zu verpassen. Ich nehme mein Strickzeug mit." Helin gluckste.

Im Dorf erwartete die beiden Hexen ein reges Treiben und als Helin sich umblickte, wurde ihr auch klar, weshalb sie im Schloss vor ihrem Aufbruch kaum mehr einen Schüler gesehen hatte. Ein Großteil von ihnen musste sich hier herumtreiben und den leuchtenden Gesichtern nach zu urteilen, waren einige der jüngeren Schüler genau wie Helin zum ersten Mal im Dorf.
Mit gehobener Braue und ein Schmunzeln unterdrückend wandte sie sich an Septima. „War das...geplant? Wenn du mich aus dem Schloss heraus holst, dann holst du das Schloss eben im gleichen Zuge auch hierher?"
Die Professorin zuckte die Achseln. „Nicht direkt. Aber das erste Hogsmeade-Wochenende für die Schüler ist immer zu Halloween- oder direkt danach. Und Minerva und Filius macht es nichts aus." plötzlich sah sie sie stirnrunzelnd an „...Dir etwa?"
„Nein, nein, ganz und gar nicht! Ich war nur überrascht. Also...wo gehen wir als erstes hin?"
Scheinbar erfreut, dass ihre Kollegin sich dem Ausflug nun mit solchem Elan widmete, lächelte Septima ihr feines Lächeln und deutete mit dem Kinn die Hauptstraße entlang.
„Wir sind zum Mittagessen mit den anderen in den Drei Besen verabredet. Und die meisten Läden sind jetzt ohnehin so voll, dass wir gar nicht hinein kämen."
Wie um ihre Worte zu bestätigen, näherten sie sich einer gewaltigen Schülertraube, die sich dicht vor dem Schaufenster eines Ladens mit auffällig gestrichenem Aushängeschild drängten. „Honigtopf" hieß es dort in goldenen Lettern auf einem rosa- und karamellfarbenen Untergrund. Ein zuckrig-süßer Duft wehte hinaus in die kalte Luft und als sie auf gleicher Höhe waren, konnte Helin von drinnen eine Stimme über das Geschnatter rufen hören: „Die Tür zu! Wer keinen Platz hat, wartet draußen! Es ist genug für alle da!" zwar folgte darauf erneut ein heftiges Schieben und ziehen in dem Schülerknäuel, welches die offene Tür blockierte, doch es geschah nichts weiter, als dass sich ein paar Viertklässler unter sichtlicher Anstrengung und eine Tüte mit ihren Erungenschaften fest an die Brust gepresst, aus dem Pulk lösten und ins Freie stolperten. Durch das Schaufenster erhaschte Helin über die Köpfe einiger Schüler hinweg einen Blick auf das Ladeninnere, wo ein schlacksiger blonder Mann Ende Zwanzig sichtlich entnervt versuchte, sich seinen Weg zurück zur Theke zu bahnen.
„Da geht es ja hoch her!" kommentierte sie, als sie sich beeilten, an dem Süßigkeitenladen vorbei zu kommen.
„Der Honigtopf ist immer völlig überlaufen!" erklärte Septima „Vormittags liefert er sich die größte Konkurrenz mit Zonko's Scherzartikelladen und wenn dann alle genug Süßkram und Unfug für die nächsten Wochen eingekauft haben, schwärmen sie in die Drei Besen."
„Eure Zeiteinteilung für die Verabredung hat also Taktik."
„Durchaus! Ohne eine solche würden die Wochenenden, an denen die Schüler ins Dorf dürfen, für und Lehrer nicht in Frage kommen." Septima zwinkerte Helin zu und nickte ein Stück voraus zur Gegenüberliegenden Straßenseite. „Da sind wir schon. Ich hoffe, du hast beim Frühstück nicht zu sehr zugeschlagen."
Hinter ihrer Kollegin betrat Helin die verräucherte Schankstube. Nach der Kühle draußen Schlug ihr die Hitze gleich mehrerer Kaminfeuer entgegen, als liefe sie gegen eine Wand und sie konnte einen Nieser nicht unterdrücken, als der Qualm von Tabak und Holzfeuer ihr unverhofft in der Nase stach.
„Gesundheit!" tönte es freundlich von der Seite, wo ein Kerl mit kurz geschorenen dunklen Locken gerade dabei war, einen der Tische abzuwischen.
„Danke." gab Helin mit einem Lachen zurück und machte sich eilig daran, die Schließen ihres Reisemantels zu öffnen.
„Da, schau! Minerva und Filius sind schon da." sagte Septima und deutete auf einen Tisch weiter hinten im Raum. Die Aurorin folgte ihrem Blick und entdeckte die Professoren für Verwandlung und Zauberkunst, von denen der kleine, weißhaarige Flitwick freudig zu ihnen herüber winkte. Sie heftete sich an Septimas Versen und ließ die Augen unauffällig über die anderen Gäste huschen, während sie durch den Schankraum schritten. Schüler waren tatsächlich beinahe noch gar keine da. Nur ein paar älterer Mädchen- vermutlich Siebtklässlerinnen- saßen in einer Ecke mit zwei Krügen und einigen aufgeschlagenen Büchern vor sich und blickten immer wieder flüchtig hinüber zu dem jungen Mann, den Helin beim Eintreten gesehen hatte und der nun mit einem Tablett voll schmutziger Gläser zurück zum Tresen ging. Ansonsten saßen an den Tischen verteilt einige Hexen und Zauberer verschiedenen Alters- meist zu zweit oder in kleinen Gruppen. Insgesamt jedoch war es recht ruhig und nicht annähernd so voll, wie die Schenke es aufgrund der vielen vorhandenen Tische und Stühle gewöhnt zu sein schien.
„Das ändert sich in den nächsten paar Stunden noch." bemerkte Septima von der Seite, als hätte sie Helins Gedanken gelesen. Inzwischen waren sie bei den beiden anderen angekommen. „Hallo." begrüßte Helin ihre Kollegen und hängte den Mantel über einen freien Stuhl. „Wie schön, dass Sie sich entschieden haben, mit zu uns zu stoßen! Wir hatten schon in Erwägung gezogen, Wetten abzuschließen." quiekte Filius vergnügt, während Helin sich setzte. Überrascht hob sie die Brauen und sah zu Minerva, die kaum merklich die Augen verdrehte. „Ich habe mich selbstverständlich zu keiner Zeit bereit erklärt, in ein solches Wettunterfangen einzusteigen." beteuerte sie. „Was Filius sagen will ist, dass wir bis zuletzt nicht ganz sicher waren, ob Sie auftauchen würden. Damit ist die Überraschung umso angenehmer." sie lächelte und zu Helins großer Erleichterung wirkte es nicht allzu schmal. Einen Moment lang hatte sie befürchtet, die Professoren könnten ihr ihr kurzfristiges Verschwinden der letzten Woche noch immer nachtragen. Aber keiner machte Anstalten, die Sache noch einmal aufzuwärmen. Und so beließ sie es ebenfalls dabei.
Nach ein paar Minuten der zu Beginn noch ein wenig steifen Unterhaltung näherte sich ihnen eine dralle Frau mit hübschem Gesicht und ansehnlichen Kurven- einen kleinen Block und eine Feder in der Hand. „Rosmerta!" begrüßte Minerva sie freundlich und die Blondine lächelte. „Schön, sie zu sehen, Professor! Ist eine Weile her. Und sie...müssen der neue Zuwachs im Kollegium sein, nicht wahr?"
Helin nickte und spürte, wie sich ein warmes Lächeln auf ihrem Gesicht ausbreitete. Rosmertas heitere Art erzeugte sofort Resonanz bei ihr. „Helin Evenson." stellte sie sich vor. „Ich unterrichte Verteidigung gegen die Dunkeln Künste."
Aus irgend einem Grund schien Rosmerta das nicht besonders zu überraschen. Und Helin meinte sogar, ihr Lächeln für einen kurzen Moment flackern zu sehen, als sie ihren Namen nannte. Der Eindruck verschwand allerdings genau so schnell wieder, wie er gekommen war und Rosmerta nickte ihr zu. „Dann wünsche ich Ihnen schon einmal alles Gute für Ihr erstes Jahr, Professor. Wenn Sie eine Auszeit brauchen- die Drei Besen stehen der Lehrerschaft immer offen." Ein wenig unsicher, was das zu bedeuten hatte, nickte Helin um sich zu bedanken, doch Rosmerta hatte sich schon wieder allen am Tisch zugewandt. „Also, was darf ich bringen? Das Übliche?" fragte sie und zu Helins Erstaunen bestätigten ihre drei Kollegen die Frage lächelnd.
„Moment mal, ihr habt alle einen Stammkundenstatus?" fragte sie in die Runde. „Ich dachte, ich bekomme von euch eine Idee, was ich bestellen kann!"
„Das Goldlackwasser ist ganz ausgezeichnet." gab McGonagall zurück.
„Oder der Met." meldete Septima sich zu Wort „Im Eichenfass gereift- heiß und mit einer Prise Zimt." sie schloss genießerisch die Augen. Doch Helin verzog das Gesicht.
„Hmm...ich...mag eigentlich keinen Alkohol..." gestand sie, woraufhin Filius einwarf: „Aber meine Liebe! In die Drei Besen kommt man nicht, um Tee zu trinken!"
Rosmerta jedoch zuckte die Schultern. „Wie wäre es dann mit einem Butterbier? Noch haben wir welches da- letzte Chance, bevor die Schüler einfallen."
„Butter-WAS?!" fragte Helin entgeistert und blickte von einem zum anderen. „Das klingt...speziell..." sie kratzte gerade noch die Kurve, um nicht zu sagen, was ihr wirklich durch den Kopf ging, doch scheinbar sorgte auch diese Wortwahl schon für allgemeines Befremden. Rosmerta blickte drein, als sei sie nicht ganz sicher, ob Helin sie auf den Arm nehmen wolle. Minerva rettete die Situation: „Sie war nicht lange in England, Rosmerta. Scheinbar gibt es kein Butterbier in Skandinavien." und an Helin gewandt fügte sie hinzu: „Keine Sorge, Sie werden es mögen! Alle Hogwartsschüler sind ganz wild nach diesem Zeug und die meisten Lehrer sagen auch nicht nein zu einem gelegentlichen Schluck."
„Na, wenn Sie es sagen..." stimmte Helin vorsichtig zu und Rosmerta steckte ihren Block unbeschrieben mit einem Grinsen wieder ein. „Hervorragend. Dann bringe ich gleich die Getränke und die Mittagskarte." und schon klackerte sie mit elegant wiegendem Hinterteil auf ihren halbhohen Absätzen wieder davon in Richtung der Theke.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Nov 15, 2021 ⏰

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