Kapitel 8 - (K)ein normales Gespräch

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Severus war nicht zufrieden mit sich und schon allein dieser Umstand verstärkte seine Unzufriedenheit noch mehr.
Es war ihm gelungen, nicht mit der neuen Lehrerin sprechen zu müssen, die nur ein paar Jahre jünger sein konnte, als er selbst. Es war ihm gelungen, ihr seit dem Frühstück aus dem Weg zu gehen und er war bei der sehr spontanen Änderung des Stundenplans, in dem er seine Zeiten für die Zaubertrankklassen neu hatte einteilen müssen, so geschickt gewesen, dass zufällige Begegnungen auf den Gängen oder im Lehrerzimmer nahezu unmöglich wurden.
Ja, er hatte es sogar geschafft, sie nicht anzusehen und auch nicht mit den Schülern über die neue Professorin zu sprechen. Aber das genügte nicht. Denn was Severus nicht geschafft hatte, war; die Gedanken zu vermeiden. Er war ein verdammt guter Okklumentiker. Er hatte seit zehn Jahren Übung darin, gewisse stetig wiederkehrende Erinnerungen aus seinem Bewusstsein fern zu halten. Aber das alles hatte funktioniert, solange es tote Erinnerungen gewesen waren- ohne jede Lebendigkeit und Nähe zu dem Leben, das er jetzt lebte. Seit die neue Lehrerin allerdings gestern Abend das erste Mal auftauchte, war es damit vorbei, denn wieder einmal schien das Schicksal Freude daran zu haben, sein grausames Spiel mit ihm zu spielen.
Sie sah ihr nicht wirklich ähnlich...aber doch ein wenig. Das Haar war braun, aber wenn das Licht in der richtigen Weise darauf schien, schimmerte es rötlich. Die Länge war etwa die gleiche. Ihre Stimme...Severus war sich nicht ganz sicher. Er konnte sich nicht mehr genau an Lilys Stimme erinnern, aber vermutlich wäre es ihm aufgefallen, wenn sie der ihren geglichen hätte. Also nein- ihre Stimme war nicht das Problem. Die Art wie sie sich bewegte auch nicht... Lily war nicht gelaufen, sie hatte vielmehr bei jedem Schritt getanzt- grazil und federleicht hatte es ausgesehen. Diese Frau setzte ihre Füße fest auf den Boden, war jedoch auffallend leise dabei. Und auch wenn sie sich fließend bewegte, so erinnerte es eher an den angespannten Gang einer Raubkatze- was angesichts ihres eigentlichen Berufs wohl kaum verwunderte. Ihre Wesensart schien der der Frau, die er gekannt hatte und noch immer liebte, jedoch irgendwie zu ähneln- zumindest in dem Wenigen, was er bisher davon mitbekommen hatte. Natürlich gab es aber an diesem Punkt auch ein gewaltiges Potential sich zu verschätzen und so schob Severus es hinten an.
Aber ihr Name...verdammt nochmal, warum musste ausgerechnet der Name dem Lilys so ähnlich sein?! Jedes Mal, wenn an diesem Tag ein Schüler über den Unterricht bei ihr gesprochen- und sie dabei erwähnt hatte, war Severus innerlich zusammengezuckt. Hatte er diese kurze, völlig irrationale Überraschung und Hoffnung gespürt...und war gleich darauf der Schmerz der Gewissheit mit voller Wucht zurückgekehrt. Nichts, was er mit seiner hart erarbeiteten und jahrelang trainierten Selbstbeherrschung nicht hätte abfangen können. Aber es kostete jedes Mal wieder Kraft, Konzentration, Energie. Und Severus spürte bereits jetzt, dass diese zusätzliche Belastung ihm viel mehr abverlangte, als all die Unterrichtsstunden in Verteidigung gegen die Dunklen Künste, die er neben dem Zaubertrankunterricht noch hatte koordinieren- und vorbereiten müssen.
Kurzum: diese Frau hier zu haben, bedeutete für ihn die Hölle in Hogwarts. Und er war wütend auf sich selbst, dass er auf diesen Umstand nicht etwas mehr Einfluss hatte.

Unzufriedenheit und Selbsthader erhielten noch einmal einen gewaltigen Aufschwung, als Severus (der gerade zum Abendessen gekommen war und sich gesetzt hatte), zu spät mitbekam, dass die Neue sich diesmal auf einem der freien Plätze direkt neben ihm niederließ. Er hatte nicht daran gedacht, später zum Essen zu erscheinen, um sicherzustellen, dass er sich von ihr würde fernhalten können. Verflucht.
"Guten Abend." grüßte sie ihn freundlich und lächelte sogar, obwohl ihr Gruß selbst und die Art, wie sie Platz nahm, eine höfliche Distanz ausdrückten.
Severus war es dennoch zu viel. Seine schwarzen Augen huschten nur kurz zu ihr hinüber. Er wusste, der Anstand hätte es geboten, etwas zu erwidern, aber er brachte es nicht über sich. Vielleicht würde diese Unhöflichkeit sie ja dazu bringen, ihn einfach in Ruhe zu lassen- das hatte immerhin schon bei den meisten seiner Kollegen recht gut funktioniert. Niemand suchte ihn auf, wenn es nicht unbedingt nötig wurde und Severus war zufrieden damit. Sein Schweigen schien die junge Frau zu verwirren, denn sie wandte kurz den Kopf in seine Richtung. Der Zaubertrankmeister bemerkte es nur am Rande- er hielt das Gesicht eisern nach unten zu den Schülern gerichtet, wo ein jeder rasch den Kopf senkte, der seinem Blick versehentlich begegnete.
Bis sich die Tische mit Speisen und Getränken füllten, wurde kein weiteres Wort mehr an Severus gerichtet und die neue Kollegin unterhielt sich statt dessen leise aber angeregt mit Hagrid, der sich wie immer am äußeren Rand der Tafel niedergelassen hatte, wo ein Stuhl extra auf seine Bedürfnisse in Größe und Stabilität magisch angepasst worden war.
Obwohl Severus keinen gesteigerten Wert darauf legte, das Gespräch zu verfolgen, bekam er dennoch den Großteil dessen mit, was gesagt wurde.

"...ich halte es trotzdem für wichtig, dass den Kindern ein angemessener Umgang damit beigebracht wird, der über ein simples Verbot hinausgeht. Ich bin mir sicher, dass Sie in diesem speziellen Punkt mit Silvanus zusammenarbeiten könnten, Hagrid."
"Hm...ich bin' kein Lehrer un' ich hab' auch nich' wirklich viel zu sag'n, wenn's drum geht, was die Schüler lern'. Außerdem wiss'n wir noch gar nich', ob die Quintapi sich überhaupt noch seh'n lass'n, wenn's jetz' kälter wird."
"Aber was kann es denn schaden, vorzusorgen? Selbst wenn sie einen Winterschlaf halten sollten, werden sie ja im Frühling wieder auftauchen und dann sind sie vielleicht hungrig...und damit auch aggressiver..."
"Die sin' nicht aggressiv! Die sin' höchstens 'n bissl launisch. Un' wahrscheinlich verwirrt, weil's ja nicht ihr natürlicher Lebensraum hier is'..."

Gletschereis und FrühlingssonneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt