Kapitel 1 - Neuigkeiten

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"Severus! Einen Moment bitte!" die schneidende Stimme Minerva McGonagalls ließ ihn kurz vor der Treppe hinab in die Kerker erstarren, während eine schnatternde Schülerschar sich nach dem Frühstück bereits dort hinunter bewegte. Die meisten von ihnen sahen aus, als würden sie lieber einen anderen Weg nehmen.
Snape ließ sie vorüberziehen, ohne sie eines Blickes zu würdigen und wandte sich zu der deutlich älteren Lehrerin um. "Ja?" fragte er in seinem üblichen, kühlen Tonfall, während Minerva forschen Schrittes durch die Eingangshalle zu ihm herüber kam. Sie senkte die Stimme als sie sprach, das Gesicht so ernst wie eh und je und der strenge Blick hielt jeden neugierigen Schüler besser vom Lauschen ab, als ein Muffliato-Zauber.
"Albus hat soeben mit mir gesprochen und mich darauf aufmerksam gemacht, dass er das gesamte Kollegium vor dem Mittagessen im Lehrerzimmer erwartet. Sie werden Ihren Unterricht zehn Minuten früher beenden müssen."
Snape hob eine Augenbraue. "Und warum genau will der Schulleiter, dass ich mit meiner vierten Klasse zwei Stunden auf das Brauen einer Schrumpflösung verwenden muss, anstatt einer?" sein Ton war gereizt und Minervas Mund wurde schmal. Sie hielt seinem Blick mühelos stand.
"Ich habe nicht die leiseste Ahnung, Severus, aber Sie werden sich wohl damit abfinden müssen. Dumbledore würde das Kollegium nicht grundlos so spontan zusammenrufen. Das wissen Sie ebenso gut wie ich. Guten Tag, Severus." ohne auf eine Antwort zu warten machte McGonagall auf dem Absatz kehrt und stieg die breite Marmortreppe hinauf.
Snape blickte ihr mit funkelnden Augen nach, dann rauschte er die Kerkertreppe hinab und scheuchte die letzten Schüler vor sich her ins Zaubertrankklassenzimmer.

Für die Lehrerschaft schleppte sich der Tag ebenso quälend langsam dahin wie für ihre Schützlinge, wenngleich auch aus verschiedenen Gründen. Während die Schüler nun nach dem ersten Monat des neuen Schuljahres bereits an dem Punkt ankamen, da ihnen bewusst wurde, wie viel sie in diesem Jahr zu lernen hätten, erschöpften sich die über die Ferien aufgebauten Energiereserven auch bei den Professoren. Das erste allgemeine Tief, ehe man wieder in den Alltagstrott finden- und die Zeit bis zu den Weinachtsferien durchstehen würde.
Zudem jedoch regte sich im Kollegium auch ein zutiefst menschlicher Anflug von Neugier. Denn sie alle fragten sich- mit Ausnahme von Professor Binns vielleicht- was Dumbledore ihnen wohl so wichtiges zu sagen hätte, dass es nicht bis zum Abend warten konnte. In die unterdrückte Erwartung mischte sich (bei dem einen mehr, bei dem anderen weniger) eine Spur Unwohlsein. Niemand konnte sich wirklich vorstellen, dass eine Sache von solcher Dringlichkeit etwas Gutes bedeuten könnte. Und wie es ein Ereignis eben so an sich hat, das man teils unruhig, teils neugierig erwartet, schien die Zusammenkunft im Lehrerzimmer partout nicht näherrücken zu wollen.

Als es endlich soweit war, entließen Professor Flitwick mit einem Händeklatschen-, Professor Trelawney mit einem dramatischen Seufzen-, und Snape zähneknirschend ihre erleichterten Schüler zehn Minuten vor dem Läuten aus dem Unterricht.
Während sich die Schüler wie üblich lärmend in Richtung der Großen Halle oder ihrer Gemeinschaftsräume begaben, strebten die Lehrer in die entgegengesetzte Richtung. Professor Binns war der Letzte der eintraf und er las noch immer aus seinen Unterlagen vor, als er durch die rückwärtige Wand ins Lehrerzimmer schwebte. Professor Sprout verdrehte die Augen und schloss die Tür, die sie beim Warten auf ihn höflicher Weise offen gelassen hatten, während McGonagall den Lehrer für Zaubereigeschichte mit einem lauten Räuspern darauf aufmerksam machte, dass er nicht mehr vor seiner Klasse stand. Der Geist hob den Blick von seinen Papieren und sah sich verwirrt um. Man hätte meinen können, er wäre rein zufällig hier vorbeigekommen und vielleicht war dem auch so.
Als Ruhe eingekehrt war, wandten sich alle Augen erwartungsvoll Dumbledore zu, der seinen Platz an der Stirnseite des langen Tisches eingenommen hatte, welcher für die etwas formelleren Versammlungen genutzt wurde. Die bequemen Sessel vor dem Kamin blieben leer und boten einen etwas bedrückenden Anblick, der lediglich durch die knisternden Flammen ein wenig gemildert wurde.
"Ich danke Ihnen, dass Sie sich trotz der recht kurzfristigen Bitte alle die Zeit genommen haben, sich hier zu versammeln." Dumbledores ruhige Stimme erfüllte den Raum augenblicklich mit einer Wärme, die das Kaminfeuer nicht zu verbreiten vermochte und der freundliche Ausdruck auf seinem Gesicht ließ eine kaum zu übersehende Welle der Entspannung durch das Kollegium gehen. Wenn der Schulleiter seine Ansprache auf diese Art begann, konnte es zumindest nichts allzu Schreckliches sein, was es zu besprechen gab. Dumbledore schmunzelte. "Wie ich sehe, haben Sie sich schon wieder alle möglichen Schreckgespenster ausgemalt, denen Sie hier begegnen würden. Ich versichere Ihnen, dass es keine verborgenen Irrwichte in den Schränken gibt." seine blauen Augen blitzten belustigt über die Gläser seiner Halbmondbrille hinweg und ein etwas peinlich berührtes Kichern zog sich durch die Reihen der Anwesenden. Auf einen Schlag hatte sich die Stimmung im Raum gelöst und mit einem entspannten Interesse lauschten die Lehrer nun dem Schulleiter- mit den üblichen Ausnahmen natürlich.

"Wie ich Ihnen zu Beginn des Schuljahres bereits mitgeteilt habe, erwarten wir noch ein weiteres Mitglied für unser Kollegium. Der Posten des Lehrers für Verteidigung gegen die Dunklen Künste ist einmal mehr neu zu besetzen. Glücklicher Weise konnte ich das Ministerium bisher davon überzeugen, dass ich bereits jemanden gefunden hätte, der lediglich mit Verspätung anreisen würde." sein Schmunzeln ließ ihn ein wenig aussehen wie einen weißbärtigen Schuljungen, der sich über einen gelungenen Streich freute. Minerva und Pomona tauschten Blicke und gaben sich keine Mühe, ein selbstzufriedenes Lächeln zu verbergen. Niemand von ihnen war scharf darauf, eine Lerhkraft durch das Ministerium zugeteilt zu bekommen, die vielleicht nicht einmal qualifiziert für das Lehramt wäre, nur weil Dumbledore niemanden finden konnte.
"Da ich nun tatsächlich jemanden gefunden habe, werden Sie Ihre Kräfte ab dem morgigen Tag also wieder ganz auf den Zaubertrankunterricht konzentrieren können, Severus." der Schulleiter lächelte ihm zu und viele Augenpaare huschten neugierig zu Snape hinüber, welcher mit nahezu ausdrucksloser Miene Dumbledore anstarrte. "Was für eine...erfreuliche Nachricht..." presste der Zaubertrankmeister hervor. Es hätte kaum deutlicher sein können, dass er die Mitteilung ganz und gar nicht erfreulich fand.
Doch Dumbledore lächelte unbeirrt weiter. "Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie diese zusätzliche Belastung zum Beginn des neuen Schuljahres auf sich genommen haben, Severus." Snape nickte knapp, schwieg aber.
Vergnügt wandte sich der Schulleiter wieder an den Rest der Lehrerschaft. "Nun, unsere neue Lehrkraft wird heute Nachmittag anreisen und uns zum Abendessen Gesellschaft leisten, bei dem sie auch den Schülern vorgestellt wird. Zwar hat sie die ersten beiden Jahre ihrer Schulzeit hier auf Hogwarts zugebracht, aber ich bezweifle, dass sie sich noch allein zurechtfinden wird. Ich möchte Sie daher noch einmal alle um Ihre Unterstützung bitten." Sein Blick glitt reihum und stieß auf selbstverständliches Kopfnicken und kurze Zustimmungen.

"Minerva, ich glaube Sie haben am Nachmittag keinen weiteren Unterricht?"
"Das ist korrekt." bestätigte die Verwandlungslehrerin knapp.
"Dann möchte ich, dass Sie unseren Gast am Eingang des Schlossgeländes empfangen und sie mit ihrem Büro und ihrem Klassenzimmer vertraut machen."
"Natürlich, Albus. Ich nehme an, die Räumlichkeiten haben sich nicht geändert?" Dumbledore schüttelte stumm den Kopf und Minerva tat mit einem Nicken kundt, dass sie verstanden hatte.
"Ausgezeichnet." fuhr der Schulleiter fort "Miss Helin Evenson wird laut ihrer Eule gegen Vier Uhr eintreffen. Wir werden sie nach dem Abendessen hier willkommen heißen." Einige der älteren Lehrer runzelten kurz die Stirn bei der Erwähnung des Namens. Doch während sie alle sich schnell wieder fingen, huschten Dumbledores klare blaue Augen hinüber zu Snape.
Den Bruchteil einer Sekunde nur trafen sich ihre Blicke. Niemandem sonst fiel auf, dass Snape kreideweiß geworden war und seine Kiefer sich fest zusammenpressten. Niemandem sonst fiel auf, dass seine Hände sich unter dem Tisch verkrampft hatten, als der Name von Lily Evans für einen Moment über ihren Köpfen schwebte, wie der tiefe, klagende Schrei eines Augurey.

Gletschereis und FrühlingssonneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt