Vanilla

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CouJou-Day. Verdammt. Die großen bunten Buchstaben der unbeholfen selbstgebastelten Plastikgirlande schwangen mir, angetrieben durch die verbrauchte Luft, die durch die Lüftungsschlitze der Fritteusen und Kochplatten blies, unheilvoll entgegen. Eliza Twinkelton, Kantinenchefin und Willow Greens hauseigener Wannabe-Jamie-Oliver, funkelte mich erwartungsvoll aus ihren freundlichen braunen Teddybäraugen an. Meine linke Augenbraue begann nervös zu zucken. 

"Wie wäre es heute mit dem Tagesgericht, mein Liebling? Immerhin ist Culinary Journey Day und es schadet nie seinen Horizont zu erweitern", wiederholte Miss Twinkelton ihre vor freudiger Erwartung geradezu triefenden Worte nach einer ausbleibenden Reaktion meinerseits ein zweites Mal und fügte mit einem verschwörerischen Zwinkern hinzu, "Mr. Cortez und ich haben lange an diesem Rezept getüftelt und es perfektioniert." Eine ausladende Armbewegung über die mysteriös grünlich dampfende Essensauslage später, gab sie dem unansehnlich blubbernden Monstrum einen Namen. "Feinstes Pfeffer-Roastbeef mit Minzsauce." 

Meine vom, mit Sicherheit gesundheitsschädlichen, wenn nicht sogar tödlichen, Essensdampf getrübten Augen musterten den kläglich zusammengefallenen und bis zur Unkenntlichkeit zerkochten Fleischklops und wanderten kurz darauf ängstlich zu dem stählernen Bottich voll giftgrünem Schleim, der sorgsam daneben drapiert war. Die Kelle fand in der wackelpuddingartigen Konsistenz ohne Probleme einen aufrechten Stand. Unwillkürlich zog sich mein Magen zusammen. Ich hätte gestern einkaufen gehen sollen... Wie hatte ich das nur vergessen können?! 

"Liebling?", weckte mich die Kantinenchefin aufmunternd lächelnd aus meiner Schockstarre, "Eine Portion für dich? Wir müssen uns leider beeilen, da warten noch viele andere hungrige Mäuler, die gestopft werden wollen."

Ein kurzer Blick über die Schulter auf Lav, die sich unruhig und etwas irritiert umsah und drei weitere verlorene Seelen, Freshmen, die es wohl nicht besser wussten, enttarnte Miss Twinkeltons Aussage als dreiste Lüge. Sehnsüchtig blickte ich zu den bis weit in die Schulflure hinaus reichenden Schlangen der zwei einzigen Snackautomaten der gesamten Willow Green High. Es dauerte nur wenige Sekunden bis ein breit gebauter Senior Year vor dem dunkelblauen Automaten die muskulösen Arme in die Höhe riss und brüllte: "Die letzte Tüte." Triumphierend wedelte er mit einer Tüte Chili-Kartoffelchips vor den Augen seiner Mitschüler herum. Ein kollektives Aufstöhnen ging durch die Reihe der hinter ihm Wartenden und sie zogen sich ans Ende der Schlange der letzten Hoffnung auf ein genießbares Mittagessen, den zweiten grünen Snackautomaten, zurück.

"Hat Hausmeister Wilson nicht gesagt, er will die Automaten am CuJou-Day öfter nachfüllen?", meldete sich ein Junge mit Sommersprossen und roten Haaren empört vom neuen Ende der Schlange zu Wort. Ein bejahendes Raunen ging durch die hungrige Menge. Wenig später rannte der sommersprossige Junge unter lautstarken Anfeuerungsrufen in Richtung Hausmeisterbüro, während ein junges Mädchen in Pfadfinderuniform mit Brille und verschmitzten Grinsen damit begann Kekstüten zu einem unerhörten Wucherpreis von 10 Dollar pro Stück zu verticken. Das passierte jedes Mal. Einmal im Monat, immer dann wenn Mr. Cortez, der Hauswirtschaftslehrer und Miss Twinkelton die buschigen Köpfe zusammen steckten, um unseren Horizont mit ihren kulinarischen Neuschöpfungen am CuJou-Day zu erweitern, verwandelte sich die Kantine in ein Schlachtfeld. Als hätte man an der High School nicht schon genug mit dem alltäglichen Überlebenskampf zu tun, kam an diesem unheilvollen Datum für diejenigen, die unglücklicherweise vergessen hatten sich mit hausgemachten Mahlzeiten darauf vorzubereiten, auch noch der Kampf um einen gefüllten Magen hinzu. Ich muss wohl kaum erwähnen, dass die Prozentzahl der üblichen Essensgeldüberfälle an diesem besonderen Tag zwar sank, dafür aber der Diebstahl zahlreicher sorgsam mit Leckereien gefüllter Brotdosen, sowie die Besucherzahlen im nicht weit entfernten Panini Paddock ein absolutes Hoch erlebten. 

Die wenigen Minuten, die sich das Erzählte in meinem Kopf und vor meinen Augen abspielte, fühlten sich wie eine halbe Ewigkeit an und mir war als würde mein Leben vor meinem inneren Auge vorbeiziehen - selbstverständlich in Form von schicken instagramworthy und mit melancholischen Filter bearbeiteten Essensfotos. Mein Magen gab ein mürrisches Knurren von sich.Entschlossen atmete ich tief durch und straffte die Schultern. Das hatte ich mir selbst eingebrockt, jetzt musste ich die Konsequenzen tragen. Erhobenen Hauptes wandte ich mich an die mich noch immer erwartungsvoll anblinzelnde Miss Twinkelton. Ein rascher zweiter Blick auf das matschige Etwas, das sie Tagesgericht schimpfte, besiegelte meine Entscheidung endgültig.

Was am Ende bleibt...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt