Der dröhnende Bass des lange aus der Mode gekommenen Punk Songs ließ den gesamten Korpus des überteuerten SUVs im Rhythmus vibrieren. Declan Davis, dessen massige Gestalt in den Fahrersitz links von mir gepresst war, reckte die Hände fort vom mit dunklem Leder überzogenen Lenkrad in Richtung cremefarbene Autodecke und imitierte das Grölen des Leadsängers, als hinge unser aller Leben vom Durchbrechen der Schallmauer und nicht von einer zugleich simplen, aber auch gleichermaßen für den Star des Ruderteams offenbar gänzlich unwürdigen Aufgabe wie dem Halten des Lenkrades ab. Der Wagen eierte als Reaktion auf das unverantwortliche Verhalten seines prolligen Besitzers gefährlich von einer schwach beleuchteten Straßenseite zur anderen. Declan ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen und sprang gezielt gegen das Autodach hämmernd im Fahrersitz auf und ab wie ein zu großer Primat in einem zu kleinen Käfig.
Die den ganzen Abend schon auf mir lastende Anspannung breitete sich unaufhaltsam von meiner schmerzenden Magengegend auf den Rest meines Körpers aus und ich legte mir schwer atmend die langen Arme um den drahtigen Oberkörper. Declan Davis grölte unbeeindruckt weiter. Zum immer lauter werdenden Refrain stimmten Garcia und Anderson von der Rückbank mit ein und steckten ihre vom Alkoholkonsum hochroten Köpfe über die Mittelkonsole in die erste Reihe des Autos. Ich beobachtete wie in Trance die Spucketropfen, die aus Garcias weit aufgerissenen Mund in den Frontraum des Wagens flogen als sei er ein Konfetti spuckender Gargoyle. Anderson boxte im Takt der Musik gegen die Kopfstütze meines Sitzes und verstärkte damit meine ohnehin unerträglichen Kopfschmerzen. Mittlerweile war der Anführer unserer Rudercrew von seinen gewaltsamen Übergriffen auf die Autodecke dazu übergegangen wie ein vom Wahnsinn ergriffener Dirigent möglichst rhythmusfrei in der Luft herum zu fuchteln. Seine Berührungen des Lenkrads waren inzwischen so flüchtig und ruckartig, als verbrenne er sich bei jedem Hautkontakt mit dem Leder aufs Neue die Hände an einer zu heißen Herdplatte.
Augenblicklich wünschte ich mich zurück in die billige Raststätte außerhalb von Willow Green in der wir unseren Sieg in der Ruder-Schulmeisterschaft ungestört von neugierigen und belehrenden Erwachsenen mit einigen Dosenbier gefeiert hatten. Hätte ich bei der Platzvergabe der Autos für die Heimfahrt schneller reagiert, säße ich jetzt nicht neben einem besoffenen Halbaffen, sondern neben unserem jüngsten Mitglied, Oliver Brisbane - Zu Fleisch gewordene Vernunft und Verantwortungsbewusstsein. Und was am wichtigstens war: Ich säße im Auto eines nüchternen Fahrers. Ich war einfach zu tief in Gedanken versunken gewesen. Das Warten auf den Ausgang der Verhandlung hatte mir jegliche Reaktionsgeschwindigkeit und Auffassungsgabe geraubt. Totaler Realitätsverlust. Schluckend umklammerte ich das stumme Handy auf meinem angespannt auf und abwippenden Schoß. Noch immer keine Nachricht. Nicht einmal eine Zwischenmeldung. Das war gar nicht gut. Normalerweise fiel es Tante Audrey doch schon schwer 10 Minuten lang ruhig zu bleiben. Und jetzt... Seit knapp 6 Stunden kein Lebenszeichen. Die letzte Nachricht kurz vor dem Startschuss zum 1,5 km Rennen heute Vormittag.
Viel Glück auf dem Wasser, Meerjungfraumann! Du machst das schon! Ich spring jetzt auch ins kalte Wasser. Melde mich nach meinem Kampf mit Ursula. Alles wird gut. Ich bin ja nicht umsonst die beste Tante der Welt <3
Unweigerlich verkrampften sich meine zitternden Hände um das nutzlose schweigende Stück Elektroschrott, das mich mit einem einzigen "Pling" und motivationslosen Aufblinken des Displays über mein Schicksal aufklären würde. Sieg oder Niederlage.
Beängstigt ließ ich meinen von Melancholie und Furcht getrübten Blick durch den Innenraum des Wagens schweifen und musterte meine ausgelassen feiernden Teamkameraden. Ihr Kampf war bereits gewonnen. Ich dagegen war noch mitten auf dem Schlachtfeld. Alleine. In diesem Kampf ging es anders als in dem Kampf der anderen nicht um Teamarbeit. Es ging einzig und allein um mich. Ums nackte Überleben. Und dieses ungute Gefühl in der Magengegend, das mich schon den ganzen Tag begleitete, verschaffte mir die böse Vorahnung, dass mir in nicht allzu kurzer Zeit vom im Nebel verborgenen Feind ein Dolch in den Rücken gerammt werden würde. Ich hatte schon oft überlegt, was ich tun würde, wenn dieser verschwommene Albtraum Wirklichkeit werden würde und war zu keiner zufriedenstellenden Lösung gekommen. "Zwei Köpfe denken besser als einer!" pflegt meine Tante immer zu sagen, doch da ich mit niemanden außer ihr über diese Angelegenheit redete und ihre Einstellung dazu stets lächerlich optimistisch und realitätsfern war, war ich mit meinem Kopf und meinen Gedanken alleine. Und diese fühlten sich unangenehm in die Ecke gedrängt. Merkwürdig, dass ich wenige Minuten zuvor noch den überglücklichen Declan neben mir aus Argwohn und Neid über seine Ausgelassenheit mit einem Affen im Käfig verglichen hatte, dabei traf diese Bezeichnung doch so viel besser auf mich selbst zu. Declan mochte zwar ein Idiot sein, aber er war frei zu tun und zu lassen was er wollte. Er hatte ein teures Auto, eine hübsche Freundin, keine Geldsorgen, war trotz seiner diskussionswürdigen selbstbezogenen Charaktereigenschaften der beste Teamkapitän, den sich unsere Crew wünschen konnte und hielt uns alle zusammen. Verdammte Scheiße er war ein regelrechter Star an unserer Schule und hatte seinen Platz in Princeton so sicher in der Tasche, wie ein Handwerker einen Schraubenschlüssel. Ich dagegen war nichts weiter als ein kleines Zahnrädchen im Getriebe der Gesellschaft dessen Schicksal gerade eben im Gerichtssaal in der Church Street 46 in Minneapolis ohne mein Beisein und ausschließlich aufgrund der Launenhaftigkeit einer verantwortungslosen Säuferin neu ausgewürfelt wurde. Und würden die Würfel ungünstig fallen, würde ich alles verlieren wofür ich so hart gearbeitet hatte.
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Was am Ende bleibt...
Teen FictionDie Fülle an Emotionen und Wörter mit denen man diese Geschichten beschreiben müsste, passen nicht in das 2.0000 Zeichen Feld von Wattpad. Also hier nur einpaar Stichworte: Hashbrownies, Pinkie Pie, Dinos, Gebrochenes, Orchidaceae und zu viel Senf...