Maevis

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Die unscheinbare Bedienung starrte mich wahlweise unverhohlen interessiert oder irritiert aus ihren mausgrauen Froschaugen an, während sie meine Bestellung aufnahm. Ich erwiderte dieses bunte Potpourri an verwirrenden Emotionenen in Form meiner beunruhigten Blicken in die hintere Ecke des Ladens, in der sich zwei erwachsene Frauen hysterisch wimmernd um ein ebenfalls laut weinendes Mädchen in meinem Alter drängten. Ein halb genervter, halb belustigter Seufzer entfuhr mir. Wo bin ich hier bloß wieder hineingeraten? Das die Menschen sich nicht Zuhause um ihr Drama kümmern können.

"Vier Stücke von der glutenfreien Kokoslawine?", nervös strich sich die unruhige Bedienung eine der kurzen aschblonden Strähnen aus dem androgynen Gesicht und setzte ein zittriges Lächeln auf, "Darf es sonst noch etwas sein?"

Nervös nestelte sie an ihrer mit Beerensirup und Sahneflecken verschmutzten Schürze herum und warf immer wieder angespannte Blicke über die schmalen Schultern.
Hallo? Geht's noch? Hier spielt die Musik! Oder ist der Kunde in diesem Saftladen nicht König? Verstimmt trat ich von einem dreckigen Lederstiefel auf den anderen, schürzte die dunkelrot geschminkten Lippen und warf den seidig braunen Pferdeschwanz mit einem entschlossenen Ruck zurück.

"Ne, das wäre alles."

Leger stützte ich mich mit den Ellbogen auf dem krümeligen Tresen ab, funkelte die angespannte Bedienung herausfordernd an und fügte nach einem kurzen, aber vielsagenden, Blick in die Ecke mit den drei heulenden Sirenen hinzu, "Es wäre nur schön, wenn es schnell geht. Ich hab noch Termine."

Erschrocken zuckte die Bedienung zusammen, nestelte weiter an ihren heruntergekommenen Kleidungsstücken herum und räusperte sich so intensiv als müsse sie eine jahrelang hochgezüchtete Raucherlunge auskurieren.

"Chrm. Ja, na klar... Ich muss kurz in den Kühlraum... 5 Minuten?"

Ich antwortete auf diese höchst optimistische und offensichtlich unrealistische Zeiteinschätzung bloß mit einem gespielt nonchalanten Lächeln. Die leicht abstehenden Ohren der Bedienung liefen dunkelrot an, während sie sich entschuldigend nickend von mir fort drehte und schließlich stolpernd in einem Hinterzimmer verschwand.

Kopfschüttelnd richtete ich meinen Oberkörper auf, strich die dunkle Lederjacke zurecht und wandte mich die Augen verdrehend von dem wimmernden Trauerspiel in der Ecke ab. Ein weiterer Seufzer entfuhr mir.

Ich hoffe Patrick und Steve wissen die Mühen zu schätzen, die ich für ihren Lieblingskuchen auf mich nehme...

Gelangweilt kratzte ich mir die mit Sommersprossen bedeckte Stupsnase und ließ den Blick durch das wenig besuchte Lokal schweifen.
Was für ein deprimierender Ort... Was für ein deprimierendes Leben... Gibt es hier denn wirklich niemand Interessanten? Gerade als ich mich seufzend und desinteressiert wieder dem Tresen zuwenden wollte, trat eine hochgewachsene Gestalt in mein Blickfeld und drängte sich barsch an mir vorbei.

Sein braunes Haar fiel in leichten Locken auf die breiten Schultern. Mit einer kraftvollen Bewegung knallte er die beringte Hand auf den dreckigen Tresen und ließ beim erneuten Anheben eine grüne 10-Dollarnote zurück. Die Schar quiekender Schweinchen in der Ecke hob die verheulten Gesichter und starrte den gut gebauten jungen Mann mit einer Mischung aus Verwirrung und Empörung an. Die Bedienung mit dem androgynen Gesicht und den abstehenden Ohren, die gerade mit einer großen umweltfreundlichen Tüte voller Kokoslawinen aus dem Lager getreten war, hob irritiert die schmalen Augenbrauen. Dann begann er zu sprechen. Mein Herz setzte für einen Moment aus. Seine Stimme war herb und süßlich zugleich - Zu Musik gewordene dunkle Zartbitterschokolade.

"Weinen hilft auch keinem weiter. Wir sehen uns."

Ruckartig wandte er sich vom Tresen ab und griff mit der rechten Hand nach einem kleinen zufrieden grinsenden Jungen, der urplötzlich links von mir auftauchte und dessen Mundwinkel an das Innere eines Farbtopfes erinnerten. Die zweite Hand hob der mysteriöse Unbekannte entschieden zum Abschiedsgruß. Seine dunklen Augen funkelten im dreckigen Licht der billigen Deckenlampen und überstrahlten diese mit Leichtigkeit. Das beleuchtete Profil seines Gesichts mit der markanten, perfekt geschwungenen Nase, den dichten ernst gemeißelten Brauen, den perfekt geformten Lippen und dem breiten Kiefer erinnerten an eine der aus Stein gehauen Götterstatuen im Museum. Mein Herz machte einen weiteren Hüpfer als sich unsere Blicke in den wenigen Sekunden seiner Drehung in Richtung Tür trafen. Schwarz und unnahbar. Der endlose Nachthimmel gespickt mit vereinzelten goldenen Sternensplittern.

Na, DAS konnte man doch guten Gewissens mal als interessant bezeichnen!

Ein zufriedenes Lächeln umspielte meine Lippen, während ich dem ungleichen Geschwisterpaar hinterher starrte. Undeutlich und wie durch eine Art Rauschen vernahm ich die farblose Stimme meiner Bedienung, griff hastig nach der dunkelbraunen Papiertüte, drückte ihr einen 10-Dollarschein in die schwitzige Hand und eilte ohne irgendeinen der Zurückgebliebenen auch nur eines Blickes oder Wortes zu würdigen, mit vor Aufregung erhitzten Wangen hinaus in die Kühle der anbrechenden Nacht.

Hoffentlich hat niemand meine geröteten Wangen bemerkt. Wie peinlich.

Was am Ende bleibt...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt