Bobby

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"Ich ... Wir müssen uns trennen."

Hastig senkte ich den Blick und blätterte mit fahrigen Fingern und konzentrierter Miene durch den Screenshot-Ordner meines vergriffenen Smartphones.


A relationship, I think, is like a shark. You know? It has to constantly move forward or it dies. And I think what we got on our hands is a dead shark.


Alvy Singer in Maos Lieblings-Woodie-Allen-Film. Der Stadtneurotiker. Sie hatte mir den Film voriges Jahr am Abend nach dem letzten Basketballspiel der Saison gezeigt und mir seitdem tagtäglich vorgehalten, dass ich nach nicht einmal 20 Minuten eingeschlafen war. Ich hatte behauptet, dass ich einfach zu müde gewesen sei und ihr versprochen, ihn mir bald anzusehen. In Wahrheit hatte ich einfach nur kein Interesse an romantischen Schnulzen und mich zu Tode gelangweilt. Die DVD-Ausgabe, die mir Mao wenige Wochen später an Weihnachten geschenkt hatte, lag noch immer originalverpackt in meinem Regal. Das Zitat hatte ich gestern Abend in einer Anwandlung von schlechtem Gewissen und Reue ergoogelt. Es erschien mir eine seichte Art von Wiedergutmachung für das, was jetzt passieren würde. Mittlerweile kam es mir allerdings bescheuert und über alle Maße taktlos vor meiner Freundin, bald Ex-Freundin, zu unserer Trennung ein Zitat aus dem Film vorzutragen, der ihr so viel bedeutete, während er mir nicht mal die Mühe wert gewesen war die Augen offen zu halten oder die klebrige Plastikfolie von der DVD-Hülle zu reißen. Vielleicht das nächste Zitat.

I have not broken your heart - you have broken it; and in breaking it, you have broken mine.


Sturmhöhe. Ein Klassiker. Und noch dazu ein weiterer von Maos Favoriten. Unsicher überflog ich das verschnörkelte Zitat ein zweites Mal und schüttelte dann energisch den Kopf. Zu viel Selbstmitleid, zu dramatisch und absolut unpassend. Wenn hier jemand jemandes Herz brach, war das ich. Vielleicht sollte ich Mao dieses Zitat als Inspiration für das vorlegen, was sie mir potentiell an den dämlichen Kopf werfen konnte. Mao war mit Sicherheit... Moment. Mao! Verwirrt riss ich den Kopf hoch und war erstaunt, dass sie tatsächlich noch immer neben mir auf der mit allerlei Tags und Beleidigungen verzierten Parkbank saß. Ihre dunklen Rehaugen blinzelten mich ausdruckslos an, die Arme hatte sie mittlerweile schützend um ihre Hüften geschlungen. Ein Windhauch brachte sie und die gelbgrünen Blätter der großen Eiche, die seit Jahrzehnten links vor dem blinkenden Reklameschild des Panini Paddock ihr Dasein fristete, zum Frösteln. Einige schwarze Locken hatten sich aus ihrem unordentlichen Dutt gelöst und fielen ihr in das hübsche Gesicht, das malerisch von der untergehenden Sonne in Szene gesetzt wurde. Sie war ein bewegtes Gemälde. Ein verdammt stummes bewegtes Gemälde. Irritiert zog ich die Augenbrauen zusammen und fragte mich, ob ich mir bloß eingebildet hatte, etwas gesagt zu haben. Womöglich saßen wir seit fünf Minuten schweigend nebeneinander und ich hatte mich so sehr in das Finden der perfekten Wortwahl hineingesteigert, dass ich mal wieder alles und jeden um mich herum vergessen hatte. Es wäre nicht das erste Mal gewesen. Nervös kratzte ich mir die gerunzelten Stirn und räusperte mich lautstark, um es ein zweites Mal zu versuchen.

"Ich muss Schluss machen, Mao."

Das ging einfacher über die Lippen, als es bei einem zur Empathie fähigen Menschen der Fall sein sollte. Mist. Punkt 1 in der Wiki-how-Anleitung zum Schlussmachen: Sei einfühlsam. Punkt 2: Bereite dich gut vor und erkläre deine Gefühle. Verstohlen lugte ich auf den Ordner voller einfühlsamer Zitate, die so viel charismatischere Menschen als ich verfasst hatten. Verdammt, Bobby, du Idiot. Vielleicht kann ich ja gleich noch einen geistreichen Satz aus der Feder eines anderen einwerfen und die Situation so retten. Aber erst einmal wäre eine Reaktion ganz nett. Unsicher wanderten meine Augen vom verschmierten Handydisplay zu meiner scheinbar zur Salzsäule erstarrten Freundin/Exfreundin. Als sich unsere Blicke trafen, zuckte sie zusammen und ein leichtes Lächeln breitete sich auf ihren roséfarbenen Lippen aus. Hölzern, als wäre sie eine gerade frisch aufgezogene mechanische Puppe, strich sie sich die lästigen Haarsträhnen aus der breiten Stirn.

"Ok."

Jetzt war es an mir zusammen zu zucken. Damit hatte ich wirklich nicht gerechnet. Verdutzt ließ ich mein Handy auf den Schoß sinken und hob die frei gewordene linke Hand in Zeigefingerformation in Richtung meines widerspenstigen Lockenkopfes.

"Ich möchte gerne Schluss machen", wiederholte ich meinen nicht ganz wiki-how-konformen Schlussmachsatz. Maos Lächeln brachte ihre niedlichen Grübchen zum Vorschein.

"Ja." 

Sie nickte verständnisvoll, als erklärte ich ihr gerade, dass ich noch neues Brot fürs Abendessen einkaufen müsste.

"Mit dir", setzte ich hastig hinterher, um jegliche Missverständnisse auszuschließen und wies jetzt ungelenk mit dem Zeigefinger in Richtung ihres merkwürdig maskenhaften Gesichtausdruckes. 

"Ich weiß", erwiderte mein Exfreundin liebevoll lächelnd, erhob sich dann fast springend von der kalten Parkbank, strich ihre Arbeitsschürze glatt und hob die kleine Hand zum Abschied.

"Fahr vorsichtig, es ist heute sehr windig. Wir sehen uns morgen."

Tänzelnd lief sie in Richtung des leuchtenden Panini-Paddock-Reklameschilds, hielt nach Ankunft unter diesem einer Kundin die gläserne Eingangstür auf und folgte ihr mit schwingenden Hüften in den gut gefüllten Sandwichladen. Die Tür fiel mit einem hämischen Klirren hinter ihr zu. 

"Was zur Hölle...", entfuhr es mir fassungslos. 

Verwirrt vergrub ich das Gesicht in den schwitzigen Händen. So hätte das ganz bestimmt nicht laufen sollen. 

War das meine Schuld? Hätte ich doch eine Rede gespickt mit diversen gefühlvollen Zitaten schreiben sollen, die ich ihr dann vorlese? Ist sie wütend, weil ich so direkt war? Ist sie wütend, weil ich Schluss gemacht habe? Und als Strafe will sie mich jetzt mit ihrem merkwürdigen Verhalten in den Wahnsinn treiben? War das "Fahr vorsichtig, es ist heute sehr windig" ein nett gemeinter Rat oder doch eine Drohung? Ist sie überfordert und ich sollte ihr hinterherrennen, um ihren bevorstehenden Zusammenbruch abzufangen? Oder ist es ihr wirklich einfach scheißegal, dass ich gerade eben 2 Jahre und 4 Monate Beziehung in den Dreck geschmissen habe? Sie wollte nicht einmal eine Begründung hören. "Ok". Was soll daran bitte ok sein?

Sauer griff ich nach dem Handy auf meinem Schoß, öffnete den Chat mit Mao und bombardierte sie mit allen höflichen Floskel-Fragen, die mir in den Sinn kamen. Ich werde hier bestimmt nicht als der Böse dastehen.


???Ist alles gut zwischen uns? Geht es dir gut? Bist du sauer? Wollen wir darüber reden?


Grimmig stierte ich auf das stumme Chatfenster und wollte, entgegen meiner vorigen Entscheidung alles daran zu setzen mein Image zu retten, aufgebracht damit beginnen, über ihre Geheimniskrämerei und ihr Schweigen herzuziehen, als plötzlich eine Antwort aufploppte.


Alles gut. :) Meine Pause war vorbei und ich musste wieder rein.Wir sehen uns morgen.


Das war keine Antwort. Zumindest keine zufriedenstellende. Verwirrt zerraufte ich mir das Haar und seufzte theatralisch auf. Schließlich gab ich mich geschlagen.


Ok. Viel Spaß bei deiner Schicht.CU.


Niedergeschlagen erhob ich mich von der klebrigen Parkbank, überquerte den dreckigen Parkplatz und stieg in meinen roten Pick-Up. Frustriert schleuderte ich das unnütze Handy mit den zahlreichen Liebes- und Trennungszitaten aus Buch und Film auf den Beifahrersitz und startete den ratternden Motor.Das war wirklich nicht gut gelaufen. Was war los mit Mao? Mit dieser Trennung hätte man keinen ihrer geliebten Groschenromane oder kitschigen Telenovelas füllen können. Zu antiklimaktisch. Sie hätte sich wenigstens etwas Mühe geben können. Verärgert verpasste ich dem staubigen Armaturenbrett einen Klaps und ratterte ernüchtert dem Sonnenuntergang entgegen.

Was am Ende bleibt...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt