Was am Ende bleibt...

Callum

Die Stimme von Mrs. Geschichtslehrkraft begrüßte uns zum Start des neuen Schuljahres in gewohnt monotoner Manier. Unbeirrt vom Desinteresse ihrer Schüler führte der gleichbleibende "Whitenoise" von vorne in den heutigen Stoff ein.

"Uns werden heute viele Tote, Krankheiten und herzzereißende Kämpfe ums Überleben beschäftigen. Das wird mindestens genauso spannend wie der nächste Actionfilm, den ihr euch im Kino ansehen könnt!" 

Spannender als jeder Actionfilm es je in diesem Moment hätte sein können, war meiner Meinung nach bloß der Sekundenzeiger auf der großen weißen Plastikuhr direkt über der Tafel. Langsam tickte er vorwärts, der ersten Pause entgegen. Diesem schwarzen wandernden Balken galt in den nächsten 9 Minuten und 42 Sekunden meine volle Aufmerksamkeit - Bis mich das knackende Geräusch des Schullautsprechersystems zurück in die Erstsiedlerzeit und den Klassenraum zog.
Blechern knackend hallte die Stimme unserer Schulsekretärin Lorraine durch das Klassenzimmer. Eine nette mittealte Dame, die in jeder Situation ein warmes, herzliches Lächeln zu viel übrig hatte.
Bis jetzt schien der heutige Geschichststunden-Actionstreifen niemanden in diesem Klassenraum wirklich zu fesseln. Überall fand in Kleingruppen reger Austausch über Erlebnisse der Ferien statt. Selbst Mrs. Geschichtslehrkraft schien noch äußerst angeregt mit der Tafel im Zwiegespräch zu stehen. Ihr freundlich lächelnd wie einer alten Freundin zugewandt quietschte sie mit einem Stummelstück Kreide auf der Tafel herum und schien in ihrem Monolog über das Jahr 1607 in heller Begeisterung aufzugehen. Doch sobald Lorrains helle Stimme ertönte wurde es still.

"... Callum Dunn bitte in das Büro der Direktion kommen."

Ich rutschte auf meinem harten Holzstuhl tief in die Lehne zurück. Es knackte erneut.

"Unverzüglich bitte."

Die Lautsprechanlage verabschiedete sich mit einem erneuten Quietschen. Mein Versuch eins mit der Stuhllehne zu werden scheiterte. Meine Augen hatten während der Durchsage mit hochkonzentrierter Miene das Lochplattenmuster der Decke bewundert. Es blieb weiterhin still um mich herum.
Super! Das Schuljahr war nicht einmal 90 Minuten alt und ich wohl die erste Person die in diesem Jahr im Büro des Rektors auftauchen musste.
Alles was lebte und sich in diesem Zimmer befand schien mich unverhohlen anzustarren. Sogar unsere Lehrerin hatte mitten in ihrer Schreibbewegung inne gehalten und ihre angeregte Unterhaltung mit der Tafel beendet - das Kreidestück schwebte noch immer fest umklammert vor ihr in der Luft. Ich verschränkte meine Arme vor der Brust und starrte sie mit meiner jahrelang einstudierten ausdruckslosen Miene an.
Was war bitte dieses Mal das Problem? Ich hatte doch gar nichts gemacht...
Sobald sie mein Starren bemerkte fing Mrs. Jones sich schnell wieder und zeigte mit ausholender Armbewegung und Nicken erst zu mir und dann Richtung Klassenzimmertür. Ohne eine Miene zu verziehen erhob sich mein Körper und schob sich durch die verurteilend tuschelnde Menschenmenge in Richtung Tür.

"Er wurde bestimmt wieder mit Gras erwischt. Der ist doch sowieso dauer-high."

Es kicherte zurück: "Hihi, jetzt grade bekommt er bestimmt auch nichts mit."

Innerlich verdrehte ich meine Augen. Ruhig bleiben. Diese Tussen wussten gar nichts. Und genossen bestimmt nur die Aufmerksamkeit, die sie sich mit ihren Abenteuergeschichten über mich erschlichen.

"Ich hab auch gehört er soll derjenige gewesen sein der Marian Kepling aus der 10b geschwängert hat..."

"Die Marian, die seit dem Sommer auf das Mädcheninternat in Brighton geht?"

"Na was denkst du denn wieso ihre Eltern sie dorthin geschickt haben?!"

Ein bestürztes Aufstöhnen und Jauchzen ging durch die Gruppe pubertär verblödeter Zicken, begleitet von einigen erschrockenen Händen vor den exzessiv rot geschminkten Lippen. Mir entfuhr ein leises verächtliches Schnauben. Noch lächerlicher als diese mit Hormonen und schlechten Seifernopern vollgepumpten Puppen waren nur ihre abenteuerlichen zusammen gesponnenen Geschichten über mich. Hätte ich diesen Ruf ehrlich verdient und wäre zumindest ein Viertel der haarsträubenden Lügengeschichten wahr, die sie sich über mich erzählten, hätte mindestens ein Zweiteiler fürs Kino drin sein müssen.