Zweites Gespräch

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Es klopfte an der Tür.
Ich legte mein Buch zur Seite und bat den Besucher herein.
Es war die Krankenschwester von gestern.
Sie war wieder ziemlich motiviert, als wäre sie gerade von einer Tarantel gestochen worden.

"So...", sagte sie und warf einen Blick in ihre Mappe.

"Wie ich sehe, scheint es Ihnen ja ganz gut zu gehen. Morgen können Sie also auch wieder nach Hause."

"Das Buch ist sehr interessant.", meinte ich und sah sie an.

Die Schwester kam zu meinem Krankenbett und griff nach 'der Späher'.
Es war ein Kurzroman von Vladimir Nabokov, dem ich inzwischen sehr befallen war.

"Ich erfreue mich eher an Liebesromanen.", gab die Schwester preis und legte das Buch vorsichtig zurück.

"Wenn sie damit fertig sind, kann ich Ihnen 'Stolz und Vorurteil' empfehlen.
Es befindet sich auch hier in unserer kleinen Bibliothek."

"Dieses Werk ähnelt doch bestimmt auch 'Sturmhöhe'..." überlegte ich.

"Ich habe dafür nicht sehr viel Zeit, schließlich bin ich immer am Arbeiten.", sie wandte sich ab und lief in Richtung Tür.

"Morgen Vormittag werden noch ein paar Untersuchungen durchgeführt und dann dürfen sie gehen."

Damit verließ sie das Zimmer wieder.
Meine Gedanken wanderten wieder zu dem Buch aus der Bibliothek.
Bis zum Nachmittag war ich damit beschäftigt, bis es gegen 2 Uhr wieder klopfte.

Als es Robin war, der eintrat, lächelte ich zum ersten Mal an diesem Tag.
Er begrüßte mich und kam näher.

"Es ist schön, dich zu sehen.", meinte ich.

"Ich bin auch erfreut.", gab er lächelnd zurück.

Robin hatte eine Tasche dabei, die er auf meinem Bett abstellte.

"Ich habe dir etwas schönes mitgebracht."

Er holte ein neues Buch heraus und hielt es mir hin.

"Es ist aber nicht geklaut, oder?", wollte ich skeptisch wissen.

"Diesesmal nicht."

Erleichtert warf ich einen Blick auf das kleine in Leder gebundene Buch.

"Utopia!", stellte ich begeistert fest.

Meine Finger gleiteten über die Buchstaben.
Es war ein wunderschönes Gefühl.
Robin beobachtete mich dabei aufmerksam.

"Das Buch hat mir mein Vater geschenkt. Ich schätze seine Bücher alle sehr.", begann er.

"Ich nehme an, dass es mich an ihn erinnert. Er starb, als ich 15 war."

"War es der erste Weltkrieg?", wollte ich vorsichtig wissen.

"Die Folgen davon...", sagte Robin fast schon flüsternd.

Ich legte mitfühlend meine Hand auf seinen Arm.
Er sah mir dankbar in die Augen.

"Das tut mir wirklich leid.", flüsterte ich ihm zu.

"Kannst du mir etwas vorlesen?", bat ich ihn schließlich.

Und das war mir absolut nicht unangenehm.

"Ich hatte in letzter Zeit wenig Schlaf...", begann Robin zu überlegen.

"Wie wäre es, wenn wir selbst lesen und dem anderen dann dazu etwas erzählen. Ich hätte schon gerne gewusst, was du da liest.", schlug er dann vor.

"Liebend gern.", meinte ich.

"Du musst wissen, dass 'Utopia' sehr sentimental geschrieben ist.
Gewöhnliche Bauern und deren Lebensumstände.
Es könnte durchaus sein, dass es dich langweilt."

"Das glaube ich nicht, jedes Buch hat seine ganz eigene Art, dich festzuhalten.", erwiderte ich darauf.

"Wenn du meinst...", lächelte er.

Also nahmen wir beide unsere Bücher in die Hand.
Er, nahm 'Utopia' und ich 'Der Späher'.
Als wir anfingen zu lesen, breitete sich eine entspannte Ruhe aus.
Wir waren beide vertieft und vergaßen den Rest der Welt.

Robin hatte sich auf dem nahegelegenen Stuhl niedergelassen und atmete entspannt.

Gemeinsam saßen wir eine ganze Stunde so da.
An die Zeit dachte ich schon längst nicht mehr.

Tiefe Atemzüge ließen mich dann aufhören.
Mein Blick wanderte zu dem Stuhl, auf dem Robin saß.
Er war eingeschlafen.
Das Buch lag reglos unter seiner Hand.
Ich lächelte leicht, wandte mich dann jedoch wieder meinem Buch zu.
Seit langem, fühlte ich mich wieder wohl, mit jemandem in meiner Nähe.

Als ich mit meinem Buch fertig war, legte ich es fasziniert auf meine rechte Bettseite.
Ich betrachtete Robin, wie er seelenruhig schlief und entspannt atmete.

Bis zum frühen Abend, verhakten wir so. Ich hatte das Buch von Vladimir Nabokov inzwischen nocheinmal begonnen.
Als Robin langsam erwachte lächelte ich ihm zu.

"Wie lange habe ich geschlafen?", wollte er wissen, während er sich die Augen rieb.

"Bestimmt mehr als vier Stunden..."

Er nickte.
Dann würde er auf einmal hektisch.

"Ich muss los."

Er stand auf und wollte seinen Beutel mitnehmen.

"Warum? Bitte bleib noch ein bisschen.", hielt ich ihn zurück.

"Wir müssen uns doch noch von den Geschichten erzählen."

Damit hatte ich ihn überzeugt.
Er kam langsam zu mir und setzte sich neben mich auf das Bett.

"Also..." begann er langsam und nicht mehr so hektisch, wie gerade.

Ich mochte den Klang seiner Stimme und folgte ihm Wort für Wort.

Bis spät Abends waren wir damit beschäftigt.
Auch als mein Abendessen kam und wir auch miteinander aßen, wollten wir nicht aufhören uns gegenseitig über unsere Bücher zu unterrichten.
Es war vollkommen und fast wie ein Tanz.
Erst als es schon dunkel war, verabschiedeten wir uns voneinander.

"Robin?", fragte ich ihn.

"Ja, Jocelyn?"

"Kannst du mich morgen Nachmittag nach Hause begleiten?", fragte ich hoffnungsvoll.

"Wenn du willst.", gab er zustimmend zurück.

"Danke.", sagte ich.

Robin nickte und ging nun endgültig in Richtung Tür.

"Gute Nacht."

"Gute Nacht."

Ein letztes Mal, sah er zu mir, bis er die Tür wieder schloss.
Ich war froh, morgen wieder gehen zu dürfen und verbrachte den Rest des Abends damit, mich weiter mit 'Utopia' zu beschäftigen.
Robin hatte es für mich hier gelassen.
Und bis jetzt konnte ich noch nicht wirklich glauben, dass er doch nicht so schlimm war, wie ich es erstmals angenommen hatte.

Das schwarze Band Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt