1. Kapitel

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Freitagabend, es war schon spät. Der Schulball würde bald beginnen und ich saß immer noch im Pyjama auf dem Bett und scrollte durch mein Handy. Ich wollte nicht hingehen. Konnte ich nicht einfach in meinem bescheidenen Zimmer bleiben und mich für den Rest meines Lebens nicht weiter von diesem himmelsgleichen Ort entfernen als die Distanz zum Kühlschrank? In diesem Moment vibrierte mein Handy.

„Bist du schon fertig? Ich kann es kaum erwarten!"

„Mhm, ja fast"

Andrea hat mir geschrieben. Ich weiß gar nicht, warum wir überhaupt in Kontakt waren. Wir waren keine Freunde, ich würde sie eher als eine Bekannte bezeichnen.

Langsam rappelte ich mich auf, wenn ich mich jetzt nicht fertig machte, würde ich definitiv nicht rechtzeitig fertig sein und wie meine Mutter so schön sagte, der Ball eines Mädchens muss ausgekostet werden, denn ein solcher Moment wird dir in deinem Leben nicht noch einmal geschenkt. Da sie mir nun vom Himmel aus wohl eher weniger Ratschläge geben wird, muss ich zumindest diesen einen befolgen.

Ich zwängte mich also in das enganliegende, königsblaue Kleid, das an den Falten, die es warf, mit glitzernden Steinen besetzt war, und gab ein wenig Wimperntusche auf meine Wimpern. Meine Taille wirkte unnatürlich schmal und meine Haut blass. Ich könnte leicht in einem Vampirfilm mitspielen. Meine braunen Haare lockte ich und als Abschluss legte ich eine zarte Kette um. Fertig, mehr Aufwand steckte ich nicht in mein Aussehen, das ich hoffentlich in wenigen Stunden wieder zu meinem Pyjama-Ich-will-nur-schlafen-Look ändern konnte.

Ich hatte Glück, dass mich ein Junge aus der anderen Klasse gefragt hat, ob ich mit ihm zum Ball gehen würde, ansonsten stünde ich wie Maria und Isabelle neben den Bänken und würde verzweifelt darauf hoffen, dass mich jemand zum Tanzen auffordern würde, damit ich der extrem peinlichen Situation entrinnen könnte. Mein Begleiter, Jeremiah, legte sehr großen Wert auf sein Äußeres und hat mich deshalb rund 200-mal gefragt, welche Farbe mein Kleid, meine Schuhe und meine Accessoires haben würden, damit er die Farbe seiner Krawatte darauf abstimmen konnte. Jeremiah holte mich um punkt 20:00 Uhr mit seinem kleinen Fiat 500 ab. Er begrüßte meine Tante, die seit dem Tod meiner Eltern auf mich aufpasste, freundlich und schenkte uns beiden ein beklommenes, aber freundliches Lächeln.

Als wir die peinliche Stille während der Autofahrt überstanden hatten und endlich in die geschmückte Turnhalle kamen, entschuldigte ich mich sofort, um mir „ein Getränk zu holen". Nach diesen quälenden 20 Minuten im Auto hatte ich beschlossen, dass ich mich wohl lieber zu Maria und Isabelle gesellen würde, als diesen Abend mit Jeremiah zu verbringen. Anscheinend sah dieser das genauso, denn als ich mich nach ihm umsah, stand er bei einer Gruppe von Mädchen und war fleißig am Flirten.

Ich nahm also meine Cola und suchte ein Plätzchen, an dem ich die nächste Stunde ungestört verbringen konnte, bevor ich Jessy, meine Tante, anrief, damit sie mich abholte. Ich sah mich um. All diese arroganten Teenager, die alle nur das gleiche wollten. Die Jungs Sex, die Mädchen die wahre Liebe und alle zusammen Alkohol und Drogen. Ich beobachtete, wie eine kleine zusammengewürfelte Gruppe durch den Hinterausgang hinausschlich, vermutlich um sich zu bekiffen und hinterher ein paar Vodkashots hinunterzulassen. Ich verstand all diese Jugendlichen nicht. Sie wollten alle nur feiern, während ich am liebsten in meinem Zimmer wäre. Ein paar Bücher lesen, einen Film schauen – meine Definition von Spaß unterschied sich grundsätzlich von denen der meisten. Mich hatte das nie gestört, ich war immer schon eine "Einzelgängerin" und seit ich eine Waise war, war ich die "depressive Einzelgängerin". Es interessierte mich nie, was andere über mich sagten und genau deswegen, hatten sie sich nie für mich interessiert.

Ich war so in meinen Gedanken versunken, dass ich nicht bemerkt hatte, dass sich ein Junge mit schwarzen verwuschelten Haaren neben mich gestellt hatte. Man konnte mir wohl ansehen, dass ich nicht die beste Zeit meines Lebens hatte, so wie alle anderen hier, denn die ersten Worte, die er zu mir sagte, waren: „Warum bist du hier, wenn du dich so schrecklich fühlst, wie ich den ganzen Scheiß hier finde?" Er lächelte nicht während er das sagte, er schaute in die Menge und wartete geduldig auf meine Antwort. Ich war ein wenig perplex, doch obwohl ich so viel Zeit allein verbrachte - oder vielleicht auch genau deswegen - war ich gut im Kontern. „Weil ich es, genauso wie du, hinter mich bringen muss." Nun drehte er sich um und lächelte schief. Er lächelte, wie ich bisher nur Augustus Water lächeln sehen habe – natürlich nur vor meinem inneren Auge. „Touché. Die Frage ist nun nur, warum wir es über uns ergehen lassen, wenn wir in diesem Moment wortwörtlich überall auf dieser Welt sein könnten", „So einer bist du also, ein großer Denker", „Eher ein freier Geist. Mir ist natürlich klar, dass wir durchaus nirgends anders zu sein haben, als genau hier, an diesem grauenhaften Ort, an dem alle so tun, als hätten sie an der eigentlichen Feier Spaß, aber jegliche illegale Spielerein verwenden, um sich einen, in ihren Augen wirklichen, Spaß zu erlauben." Ich war paff. Für einen kurzen Augenblick hatte ich schon überlegt, welche Ausrede ich verwenden sollte, um mich von diesem Gespräch zu befreien, doch mit dieser enormen Wendung hatte ich nicht gerechnet. Das einzige was jetzt noch schief gehen konnte, war, dass er nur auf das eine aus war. „Was hältst du davon, wenn wir verschwinden." Zu früh gefreut, es war ja klar. Auch, wenn ich wusste was jetzt folgen würde, stimmte ich zu, denn alles war besser, als hier zu bleiben und meinem Date dabei zuzusehen, wie er anderen ihr Date ausspannte.

Ich war kein Flittchen und eigentlich wollte ich auch keinen One-Night-Stand, aber zugegeben, der Typ war echt heiß. Ein Problem war da aber trotzdem, und zwar, dass ich noch Jungfrau war und absolut keine Erfahrung hatte.

„Entspann dich, ich bin schon kein Serienmörder", er hatte meine Anspannung bemerkt und dass, obwohl er gerade Auto fuhr und zwischen uns fast über ein Meter Abstand war. „Man kann nie wissen", versuchte ich zu scherzen, wobei meine Stimme nervös flackerte. Nach einiger Zeit, in der wir uns über Bücher, wie Hamlet, Stolz und Vorurteil und sogar Das Schicksal ist ein mieser Verräter, unterhalten haben, bog er rechts in eine Schotterstraße ein. Meine Panik war fast verflogen, doch mit einem Mal war sie wieder da. Wir waren noch 10 Minuten unterwegs und als wir vor einer riesigen Villa anhielten, konnte ich meine Überraschung nicht für mich behalten. „Hast du dir deine Theorie mit dem Serienmörder noch mal überlegt und gedacht, ich fahre dich zu einer verlassenen Hütte?", scherzte der mir immer noch Unbekannte. „Nein, ich habe nur nicht damit gerechnet, dass wir vor einem Palast anhalten werden!" Er lachte und stieg aus. Die Tür öffnete sich und er hielt mir die Hand hin. Das Auto war recht hoch und als ich heraus hüpfen wollte, fiel ich ihm direkt in die Arme. Er war um einiges größer als ich und ich musste meinen Kopf ziemlich nach oben drehen, um ihm in die Augen schauen zu können. Sie waren, wie zwei schwarze Diamanten, funkelten und wirkten dennoch geheimnisvoll, wie die Nacht. Mein Atem verschnellerte sich und es fühlte sich an, als würden wir eine Ewigkeit in dieser Position verharren. Plötzlich fühlte ich einen Arm an meinen Beinen und ich wurde wie eine Feder hochgehoben. „Schließ deine Augen", flüsterte er mir ins Ohr, seine Stimme war tief und mein Herz hämmerte wie verrückt gegen meinen Brustkorb. Es kam mir vor als vergingen Stunden. Ich spürte, wie er eine Tür öffnete und eine Treppe hinaufging, doch ich wagte es nicht, meine Augen zu öffnen. Eine weitere Tür war geöffnet worden und mit einem sanften Ruck fiel ich auf ein Bett. Ich blickte auf und sah wieder ihn seine schwarzen Augen. „Alex", „Beatrice", dieser Austausch an Worten genügte, um mich vollkommen zu beruhigen. Mein Herz hörte auf zu rasen, doch in meinen Lippen fühlte ich ein unendliches Verlangen. Ich wollte mich leicht aufsetzen, doch er drückte mich mit einer Hand hinunter und seine Lippen fanden die meinen.

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