9. Vom Eisessen und Spazierengehen

246 19 27
                                    

Die Sonne schien warm auf mein Gesicht, als ich mit halb geschlossenen Augen auf dem Rand des Springbrunnens saß. Das Vogelgezwitscher vom gegenüberliegenden Stadtpark erfüllte die Luft, ebenso wie die Rufe einiger spielender Kinder. Ein Lächeln stahl sich auf mein Gesicht, ohne dass ich es bemerkte. Solche Tage im Sommer genoss ich am meisten. Ein leises Seufzen entwich meinen Lippen.

Nach circa zehn Minuten kehrte Maxi, mit zwei Eistüten in der Hand, zu mir zurück und setzte sich neben mich auf den Rand des Brunnens. Etwas überrascht sah ich auf, da ich ihn erst jetzt bemerkte. Verlegen schaute ich zu ihm hoch und strich mir eine lose Haarsträhne wieder hinter das Ohr. Er lächelte mich einfach nur an und ohne etwas zu sagen, gab er mir eine der beiden Eistüten.

Wie ich es gehofft hatte, befand sich Stracciatella-Eis in ihr. "Danke," murmelte ich und errötete leicht, ohne den genauen Grund nennen zu können. Maxi nickte wieder nur stumm und wir begannen, unser Eis zu essen. Die Sonne schien weiterhin unnachgiebig auf uns herab. Vor der Eisdiele wurde es etwas lauter, da sich nun eine Gruppe Kinder vor ihr sammelte. Anders als sonst, störte mich diese Unruhe heute kein bisschen.

"Was ist nun eigentlich deine Lieblingssorte?", fragte ich ihn nach kurzer Zeit, weil Maxi es mir immer noch nicht verraten hatte. Ohne große Worte, nahm er den kleinen Eislöffel - einen von der Sorte, auf die der Name Karsten geprägt war -, löffelte etwas Eis darauf und hielt ihn mir vor den Mund. "Rate mal," war sein einziger Kommentar, während er mich erwartungsvoll und mit verschmitzten Lächeln ansah. Nach anfänglichem Zögern, probierte ich und war überrascht, als sich ein leicht bitterer und nussiger Geschmack in meinem Mund ausbreitete. "Haselnuss also," meinte ich und lächelte ihn an. "Gute Wahl." Maxis Grinsen wurde noch breiter, wenn das überhaupt möglich war. Sein Lachen gefiel mir sehr.

"Worauf hast du heute noch Lust?", fragte mich der Braunhaarige nach einiger Zeit, in der wir still unser Eis aßen. Als ich ihn ansah, blickte ich direkt in seine braunen Augen, die durch das Sonnenlicht golden schimmerten. In meinem Bauch setzt ein kleiner Schmetterling zu einem kurzen Flug an, doch ich versuchte es mir nicht anmerken zu lassen. Nach kurzem Überlegen, was mich zu keinem Ergebnis brachte, zuckte ich mit den Schultern. "Der Park ist ziemlich überlaufen," fing ich schließlich an, laut zu überlegen und ließ meinen Blick über die Pärchen, Familien und Freundesgruppen schweifen, die alle durch den Park liefen oder auf den Wiesen saßen. Maxi nickte zustimmend und fragte dann nach einer kurzen Stille: "Gibt es hier in der Nähe einen Wald? Vielleicht ist es da nicht so voll und wir können in Ruhe spazieren gehen?" Es wunderte mich etwas, dass er nichts im Stadtzentrum unternehmen wollte, doch ich nickte. Es sollte mir recht sein, da sonntags die Innenstadt, trotz der geschlossenen Geschäfte, von Fußgängern überlaufen ist.

Tatsächlich gab es außerhalb der Stadt einen Wald, in dessen Mitte sogar ein größerer See war. Jedoch würden wir etwa eine halbe Stunde mit dem Bus vom Stadtpark hier bis zu dem Wald benötigen. Trotzdem erzählte ich Maxi davon und er war sofort begeistert. Nebeneinander liefen wir in der unaufhörlich scheinenden Nachmittagssonne zur nächstgelegenen Bushaltestelle. Unsere Hände berührten sich einmal zufällig und sofort durchzuckte mich ein wohliger Schauer. Deuten konnte ich die Signale meines Körpers aber nicht so recht. Ich schob den Gedanken wieder beiseite und konzentrierte mich darauf, einen Fuß vor den anderen zu setzen und Maxi nicht noch einmal unbeabsichtigt zu berühren. Meinem Körper vertraute ich, was das anging, nicht mehr wirklich.

Eine halbe Stunde lang saßen wir in dem Bus, der zu unserem Glück klimatisiert war, und unterhielten uns. Beinahe nebenbei erwähnte Maxi, dass er und seine Familie eigentlich in einem Vorort von München lebten. Mir fiel wieder ein, dass er und sein Bruder schon im Schwimmbad erwähnten, dass sie hier nur waren, um mit den Eltern Urlaub zu machen. Und trotzdem zog sich mein Magen etwas zusammen, als ich realisierte, wie weit München von meiner Heimatstadt entfernt war. Ich mochte den großen Braunhaarigen, so viel stand fest. Es kam mir aus irgendeinem Grund so vor, als ob ich mich noch nie so gut mit jemandem unterhalten konnte.

Dieses komische Gefühl, das sich in meinem Bauch ausgebreitet hatte, war fest entschlossen, die ganze Busfahrt über zu bleiben. Es war egal, wie sehr ich versuchte, es zu verdrängen. Und so war ich sehr erleichtert, als wir endlich an der kleinen Haltestelle am Waldrand ausstiegen. Wir entschieden uns, den Rundweg um den See zu laufen.

Die Sonne schien durch das dichte Blattwerk über unseren Köpfen und malte Muster mit Licht und Schatten auf den Boden. Jedes Mal, wenn eine Brise durch das Laub wehte, tanzten die Muster am Boden. Der Duft der frischen Waldluft beruhigte mich ungemein und schon bald waren wir zwei in eine lockere Unterhaltung vertieft. Ich erzählte Maxi von der Schule, meinen Freunden, von Moritz und dem Fußball. Er war ein sehr guter Zuhörer, was ich sehr mochte. Als ich auf Julius zu sprechen kam, blieb er stehen und sah mich nachdenklich an. Ich blieb ebenfalls stehen und sah fragend zu ihm. Die Vögel über unseren Köpfen zwitscherten weiter. "Hat Julius eigentlich gar nichts dagegen, dass du dich mit einem anderen Jungen triffst?", fragte er schließlich und ich dachte, dass mir vor Verblüffung jegliche Mimik aus dem Gesicht gewischt wurde. "Nerv fragte mich gestern Abend etwas sehr Ähnliches," antwortete ich ihm langsam und musste mit dem Kopf schüttel, als ich an diese Situation zurück dachte. Die Überraschung über diese Frage musste mir bestimmt anzusehen sein. Doch in Maxis Blick sah ich, dass er eine Antwort erwartete. "Wir sind nicht zusammen, falls du das fragen wolltest," meinte ich langsam, während mein Blick auf den Boden gerichtet war. Verunsichert sah ich etwas später zu ihm auf und mir schoss die Schamesröte ins Gesicht. Wieder wusste ich nicht, warum es mir peinlich war, doch genau das war es. Es war mir unangenehm, über dieses Thema zu reden. Erst recht mit dem großen Braunhaarigen, den ich noch nicht so lange kannte, aber trotzdem irgendwie mochte. ́Gott, was ist nur mit mir los?', fragte ich mich verzweifelt. Der Ältere sah mich nur mit nachdenklicher Miene an und nickte langsam. Danach wechselte er sofort das Thema.

Die nächsten Minuten erzählte mir Maxi mehr von sich. Die Sache mit seiner Fußballmannschaft hörte sich sehr aufregend und nach echter Freundschaft an. Trotzdem hatte ich das Gefühl, dass er mir nicht alles erzählte. Schließlich ließ Nerv am Abend zuvor verlauten, dass es da zur Zeit einige Komplikationen zu geben schien. Trotzdem genoss ich es, Maxi zuzuhören. In seinen Augen sah ich ein freudiges Glitzern, sobald er über seine Leidenschaft und seine Freunde sprach.

"Ihr habt schon viel gemeinsam erlebt, oder?", fragte ich ihn schließlich und lächelte etwas. Er grinste mich an und meinte: "Wahrscheinlich mehr, als du jetzt denkst." Er hat mir also doch nicht alles erzählt, dachte ich. Ein kleiner Teil in mir war wegen dieser Tatsache etwas enttäuscht.

"Schau mal! Wollen wir uns vielleicht auf den Steg da drüben setzen?", fragte Maxi, riss mich damit aus meinen Gedanken und zeigte auf einen kleinen, unbenutzten Steg, der ein Stück in den See ragte. Ich nickt zur Antwort. Schon verließen wir den Wanderweg, liefen durch die licht stehenden Bäume und ließen das vor der Hitze schützende Laubdach hinter uns. Das Ufer des Sees war eine schmalere Grasfläche, an die direkt vor uns der Steg anschloss. Die tiefer stehende Nachmittagssonne wärmte meine Haut angenehm und erst jetzt merkte ich, dass ich im Wald etwas gefröstelt hatte. Mein Begleiter testete unterdessen den Steg sorgfältig, bevor ich auch nur einen Schritt darauf setzen durfte. Er war wirklich sehr umsichtig. Wieder umspielte ein Lächeln meine Lippen und wieder war ich machtlos dagegen.


Hoppla! Dieses Bild entspricht nicht unseren inhaltlichen Richtlinien. Um mit dem Veröffentlichen fortfahren zu können, entferne es bitte oder lade ein anderes Bild hoch.
Ein Sommer voller Überraschungen | DWKWo Geschichten leben. Entdecke jetzt