11. Von Erinnerungen

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Die letzte Schulwoche brach an und ich war froh über die Wahl meines Kurses für diese Projektwoche. Ich mochte es zu singen, war aber zu schüchtern, um es allein vor vielen Leuten zu tun. Im Chor hingegen konnte ich mich gut verstecken und den harmonierenden Stimmen lauschen. Nach einigen Stunden Probe verließ ich kurz nach ein Uhr gemeinsam mit Jenny das Schulgebäude. Dieser Dienstag war wolkenverhangener als die letzten Tage und doch war es fast noch genauso warm. Für den Nachmittag hatte ich mich wieder mit Maxi verabredet, genau so, wie wir es gestern auch waren. Der Gedanke an die letzten Nachmittage mit ihm machte mich glücklich. Ich merkte immer mehr, dass ich mit Maxi über so Vieles reden konnte und er mich nicht für das, was ich sagte, verurteilte. In seiner Gegenwart fühlte ich mich wohl und konnte mich so gut entspannen, wie seit Wochen nicht mehr. Auch bei unserem letzten Treffen taten wir nicht viel mehr, als durch die Gegend zu laufen und miteinander zu sprechen, oder das angenehme Schweigen zu genießen, in dem jeder seinen eigenen Gedanken nachhing.

Während der Schule bekam ich heute die Nachricht, dass er sich wieder mit mir treffen will. Seitdem lag ein kleines Lächeln wie festgeklebt auf meinen Lippen und auch Jenny schien es nicht entgangen zu sein, weil sie mich immer wieder sorgenvoll von der Seite ansah. Allerdings hatte ich immer noch keine Lust, ihr von meinen Treffen mit Maxi zu erzählen. Insgeheim hatte ich Angst, dass sowohl Jenny als auch Julius meine Seifenblase aus Freude und Sorglosigkeit einfach zerplatzen lassen würden. Und dabei war diese Leichtigkeit mit Maxi genau das, was ich zur Zeit am dringendsten brauchte.

Zu Hause angekommen, genoss ich die Ruhe, die mich bereits im Hausflur begrüßte. Mo war noch mit Freunden unterwegs, so wie er es in den letzten Wochen nach der Schule oft tat. Wir redeten zwar nicht darüber, aber ich merkte deutlich, dass auch ihm die Stimmung zwischen unseren Eltern zu schaffen machte. Immer noch in meinen Gedanken versunken, machte ich mir mein Mittagessen warm. Mit meinem Essen und meinem Lieblingsbuch setzte ich mich wenig später in meinen Lieblingssessel, in dem ich meistens saß, um zu lesen.

Meine erste Erinnerung an diesen alten Ohrensessel liegt lange zurück und doch erscheint sie mir klar inmitten der verschwommenen kleinkindlichen Erinnerungen. Damals saß ich bei meinem Pa auf dem Schoß und er ließ mich in einem seiner Biologie-Magazine blättern. An die Bilder erinnere ich mich nur noch verschwommen, aber die Hefte bestanden oft aus wunderschönen Bildern von Walen, Vögeln und anderer Tierarten. Was diese erste Erinnerung in dem Sessel so besonders machte, war aber etwas Anderes, als dass ich bereits damals an Tieren interessiert war und mein Pa mir immer die Texte zu den Bildern vorlesen sollte. Der alles überwiegende Teil dieser Erinnerung ist das unbeschreibliche Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit, die ich in den Armen meines Vaters empfand. Heute ist es nur noch der alte Sessel, der mich genau das fühlen lässt. Schon lange sind meine Eltern so zerstritten, dass alles andere in den Hintergrund zu rücken scheint. Zwar ist mir klar, dass besonders Pa das nicht mit Absicht machte, aber weh tat es trotzdem immer wieder aufs Neue.

Gedankenverloren strich ich über das abgegriffene Polster an den Armlehnen des Sessels und ignorierte das schmerzhafte Ziehen in meiner Brust. Dann öffnete ich das Buch, um mich für einige Minuten in die entfernte Welt zu lesen. Nebenbei löffelte ich das inzwischen abgekühlte Essen aus der Schale.

Fast zwei Stunden später lief ich auf den Stadtpark zu und machte schon von weitem Maxi aus, der auf dem Brunnenrand saß, so wie ich es am Sonntag tat. Das Lächeln auf meinen Lippen vergrößerte sich, ohne dass ich etwas dagegen unternehmen konnte. Kurz bevor ich ganz bei ihm ankam, stellte ich fest, dass Nerv neben ihm saß und er einen schon ziemlich abgewetzten Fußball bei sich hatte. Überrascht zog ich meine Augenbrauen nach oben, als Maxis Blick auf mich fiel und er aufstand, um mich zu begrüßen. "Du hattest gar nicht gesagt, dass Nerv mitkommen würde. Und wozu ist denn der Fußball?", war das erste, was mir über die Lippen kam und ihn sofort zum Schmunzeln brachte. "Dir auch hallo, Kate," grinste er mich an und ich errötete leicht. "Hey," murmelte ich kleinlaut. Gekonnt lenkte er das Gespräch weiter, ohne wirklich auf meine Reaktion einzugehen. "Du hattest doch erzählt, dass du gerne mehr Fußball spielen willst. Nerv und ich haben sowieso immer einen Ball dabei, unsere Eltern sind jetzt gemeinsam bei einem Geschäftsmeeting und Nerv hatte Lust auf Fußballspielen. Da dachte ich, dass wir heute gemeinsam spielen können." Erstaunt sah ich ihn an und er fügte noch schnell hinzu: "Nur wenn du Lust hast natürlich." Ich war immer noch erstaunt, dass er sich dieses kleine Detail meiner Erzählungen gemerkt hatte, versuchte aber meine Mimik im Griff zu behalten, da er sie sonst vielleicht falsch deuten könnte. Stattdessen lächelte ich leicht und antwortete mit einem leichten Nicken: "Klar habe ich Lust." "Spitze, wo können wir spielen?", fragte da auch schon Nerv, der mich anlächelte.

Nach kurzem Überlegen fiel mir eine relativ freie Wiese im Park ein, die für uns drei ausreichend Platz bieten würde. Da Maxi und Nerv nichts dagegen hatten, machten wir uns also auf den Weg und waren wenig später da. Sofort schnappte sich Nerv den Ball und kickte ihn auf die Wiese. Während er also dem Ball hinterher rannte, suchten Maxi und ich eine Stelle, um unsere Taschen abzustellen. "Ich bin echt erleichtert, dass es dich nicht stört, dass Nerv mit dabei ist," sagte der große Braunhaarige, nachdem wir einen Platz im Schatten eines großen Ahorns gefunden hatten. Als ich zu ihm sah bemerkte ich seinen aufrichtigen Blick. Anscheinend hatte er sich wirklich den Kopf darüber zerbrochen, ob mich die Anwesenheit seines kleinen Bruders stören würde. "Ist doch kein Problem. Warum sollte es mich auch stören?" Maxi runzelte kurz seine Stirn, nickte dann aber. Nach einem längeren Schweigen, in dem ich ihm ansah, dass er mit sich rang, ob er noch etwas sagen soll, brachte Maxi schließlich heraus: "Weißt du, andere hätten nicht so reagiert, wenn ich mich mit ihnen allein zu einem Treffen verabredet hätte." Etwas verwirrt sah ich ihn an, doch bevor ich etwas sagen konnte hörte ich Nerv "Achtung! Ball!" rufen und ich konnte dem Fußball noch gerade so ausweichen, bevor Maxi ihn gekonnt mit der Brust annahm und ihn danach zu dem Jüngeren zurück schoss. Grinsend sah er mich an und gemeinsam liefen wir zu Nerv, um den Ball umher zu kicken. Meine verwirrenden Gedanken zu Maxis letzter Aussage kamen irgendwann zur Ruhe und ich konzentrierte mich voll und ganz auf unser Spiel.

Der Nachmittag verging wie im Flug und irgendwann saßen wir zu dritt unter dem Baum im Schatten und genossen die letzten warmen Sonnenstrahlen, die sich im Laufe des Nachmittags ihren Weg durch die Wolkendecke gekämpft hatten. Mit einem Lächeln auf den Lippen lehnte ich mir gegen den Stamm des Ahorns und schloss kurz die Augen. Das Vogelgezwitscher und die entfernten Rufe spielender Kinder verliehen dem Moment eine rundum vollständige, sommerliche Atmosphäre. Doch diese friedliche Stimmung wurde durch das Klingeln eines Handys unterbrochen. Ich öffnete die Augen und sah, wie Maxi sein Handy griff, aufstand und sich einige Meter von Nerv und mir entfernte, bevor er das Gespräch annahm.

Seine eben noch gelassene Körpersprache versteifte sich mit einem mal und er lief auf der Wiese auf und ab, wie ein Tier, das zu lange in einem Käfig gehalten wurde. Gespannt wartete ich, dass er wieder zurück zu Nerv und mir kam. Auch Nerv hatte sich inzwischen neugierig aufgesetzt und sah erwartungsvoll zu Maxi, als er wieder kam. "Sorry Leute, das war mein Vater." Auch Nervs Stimmung schien zu kippen, als er Maxi fragte, was er wollte. Dieser atmete einmal tief durch und mit einem entschuldigenden Blick zu mir antwortete er Nerv: "Die beiden wollen unseren Urlaub hier frühzeitig abbrechen. Morgen Nachmittag wollen sie zurück nach München fahren."

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⏰ Letzte Aktualisierung: Oct 02, 2022 ⏰

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