10. Von Schmetterlingen im Bauch

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Meine Zehenspitzen berührten das kühle Wasser des Sees und erzeugten kleine Wellen auf der Oberfläche, während ich meine Beine über den Rand des Stegs hängen ließ. Mein Kopf war der Sonne zugewandt, meine Augen waren geschlossen und ich lauschte den Geräuschen der Natur um mich herum. Und dann war da natürlich noch Maxis langsamer und tiefer Atem. Er saß nur wenige Zentimeter von mir entfernt auf dem Steg und ließ ebenfalls seine Beine ins Wasser hängen. Ich stellte fest, dass ich seine Nähe sehr genoss und in meinem Kopf malte ich mir aus, was wohl passieren würde, wenn ich jetzt meinen Kopf an seine Schulter lehnen würde.

'Moment mal.' Dieser eine kleine Gedanke holte mich zurück aus meinen Tagträumen. Was dachte ich mir eigentlich dabei, so etwas zu denken? Innerlich rügte ich mich dafür, meine romantischen Vorstellungen auf den unschuldigen Maxi zu projizieren. Er konnte schließlich auch nichts dafür, dass ich noch nie in einer Beziehung war. ‚Ob er schon mal in einer Beziehung war? Bestimmt,' schoss es mir durch den Kopf. Noch bevor ich etwas dagegen tun konnte, kam die Frage auch schon aus meinem Mund: "Maxi? Hattest du schon einmal eine Beziehung?" Gespannt und verlegen sah ich zu ihm herüber und nahm wahr, wie sich sein Gesichtsausdruck veränderte.

Lange schwieg er und starrte einfach nur auf die kleinen Wellen im Wasser, die meine Füße immer noch entstehen ließen. Mit jedem Atemzug, der verstrich, rügte ich mich, die Frage gestellt zu haben. Aber ich ließ ihm Zeit für seine Antwort, weil ich seine Situation nur zu gut kannte. Irgendwann sah er mir in die Augen und nickte nur. Sein Gesicht sah auf einmal so traurig aus, wie ich es in den letzten Stunden noch nicht kennengelernt habe. "Du musst nicht darüber reden, wenn es dir zu schwer fällt. Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, warum ich überhaupt gefragt habe. Tut mir leid," murmelte ich ihm leise zu und sah auf unsere Hände, die wir beide auf dem Steg abstützten.

Maxis Reaktion verblüffte mich. Er legte seine Hand einfach auf meine und meinte: "Ist schon okay. Die Beziehung hielt nicht lange und ging auch nicht unbedingt schön zu Ende. Das ist alles." Ich sah ihm in seine braunen Augen, die die Nachmittagssonne einzufangen schienen und nickte nur verständnisvoll. Viel zu sehr war ich mit den Achterbahn fahrenden Schmetterlingen in meinem Bauch beschäftigt, als dass ich ihm in einem ganzen Satz hätte antworten können. Und doch entging mir der traurige Schleier, der sich leicht über sein Gesicht legte, nicht.

Zögernd und unsicher, was ich nun machen sollte, schaute ich ihn nur an. Dann schwang ich meine Beine wieder auf den Steg und setzte mich im Schneidersitz so hin, dass ich ihn direkt ansehen konnte. Die ganze Zeit war ich strikt darauf bedacht, dass sich meine Hand, auf der seine lag, nicht bewegte. "Hängst du immer noch an der Person?", fragte ich ihn schließlich mit einem mulmigen Gefühl im Bauch. Maxi sah mich an und schien zu überlegen. Irgendwann meinte er: "Nein, eigentlich nicht. Aber die Zeit mit ihr war etwas besonderes." Ich nickte verständnisvoll und legte ihm meine zweite Hand auf seine, weil ich gut nachvollziehen konnte, was er meinte. Manchmal schwelgt man eben gerne in Erinnerungen.

Das Lächeln, was er mir daraufhin zuwarf, wischte jegliche Traurigkeit aus seinem Gesicht und war einfach ansteckend. Wieder schwiegen wir uns nur an, während wir beide den anderen lächelnd ansahen. Erst später realisierte ich, dass das einer dieser Marmeladenglasmomente war, die man am liebsten für immer einfangen will. Die Nachmittagssonne schien warm auf uns herab und in der Wiese am See zirpten die Grillen. Irgendwann schien Maxi die Sprache wiedergefunden zu haben und sagte: "Ich mag dein Lächeln." Ich lief rot an und sah einfach zu Boden, in der Hoffnung, diese Reaktion meines Körpers vor ihm verstecken zu können. Doch er kommentierte es nicht weiter und wendete seinen Blick wieder zum See, seine Hand immer noch fest von meinen umschlossen.

Irgendwann wurde es Zeit, dass wir aufbrachen, damit ich pünktlich zum Abendessen zu Hause war. Wir schlenderten also den restlichen Waldweg entlang, sprachen aber kaum noch miteinander. Gemeinsam genossen wir die Wärme und das Singen der Vögel im Wald.

"Wie lange macht ihr hier eigentlich Urlaub?", fragte ich ihn, als wir wieder an der Bushaltestelle standen und auf den Bus warteten. "Bis zum nächsten Samstag. Und wirklich Urlaub ist es auch nicht, den wir hier machen. Mein Vater ist aus geschäftlichen Gründen hier und Nervs Mutter bestand darauf, einen Familienurlaub daraus zu machen." Erstaunt zog ich eine Augenbraue nach oben, weil der Maxi nicht wirklich enthusiastisch klang, als er das erzählte. "Du klingst ja nicht sonderlich begeistert davon," stellte ich trockener fest, als beabsichtigt. Er sah mich nur an und runzelte die Stirn. "Du hast meinen Vater gestern im Freibad gesehen. Kein normaler Mensch geht im Anzug und Krawatte in ein Freibad. Und Nervs Mutter ist auch etwas spezieller. Also nein, ich hatte mich nicht sonderlich auf den Businessurlaub gefreut." Doch dann verzog sich sein Gesicht wieder zu einem Grinsen. "Aber jetzt habe ich dich ja kennengelernt." Ehe ich irgendetwas erwidern konnte, kam der Bus und wir stiegen ein. Der Moment zum Antworten war verflogen, doch das Kribbeln in meinem Bauch blieb die ganze Busfahrt über da.

Gemeinsam stiegen wir nach einer halben Stunde wieder aus dem Bus. Maxi musste nur noch wenige Meter in die Innenstadt zum Hotel laufen, während ich noch weitere 15 Minuten Busfahrt vor mir hatte. "Sehen wir uns morgen wieder?", fragte er mich, kurz bevor wir uns verabschiedeten. Ich nickte nur, weil ich erneut kein weiteres Wort aus mir heraus bekam. Maxi grinste als Antwort und meinte dann, dass er mir schreiben würde. Während er das sagte, griff er meine Hand und drückte sie einmal. Viel zu schnell ließ er mich wieder los, verabschiedete sich und machte sich auf den Weg zum Hotel. Er schaute einige Male zu mir zurück und dann kam auch schon mein Bus, zu dem ich sprinten musste, um ihn nicht zu verpassen. Schwer atmend, aber so glücklich wie schon lange nicht mehr, fuhr ich die letzten Minuten bis nach Hause.


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