"Kate! Los schieß zu mir!"
"Ja, los Kate, Lina steht frei!"
'Ja! Ich bin nicht taub!', dachte ich leicht genervt. Dann schoss ich quer über das Spielfeld zu Lina, die Schwierigkeiten hatte meinen Ball zu halten. Sofort stürmte ich weiter in Richtung Tor. Kurz vor dem Tor blieb ich stehen und genau in diesem Augenblick passte Selina zu mir. Ehe sich die Torwartin des gegnerischen Teams versah versenkte ich die Kugel mit einem weiteren harten Schuss im Tor. Es stand 3:1 für meine Mannschaft und wir hatten nur noch fünf Minuten zu spielen. Wir gaben alles und legten ein sehr gutes Zuspiel ab. Ella hatte nun den Ball und setzte an, um ihn weiter zum gegnerischen Tor zu bringen.Weiter kam ich mit meinem süßen Tagtraum aber nicht. Ich wurde stark an der Schulter gerüttelt. Mein Blick fokussierte wieder und ich begann die Stimmen um mich herum wieder wahrzunehmen. Ich blinzelte ein paar Mal, bis die Sitzbezüge des Busses wieder klar zu sehen waren und drehte dann meinen Kopf zur linken Seite. Was ich sah war das vorwurfsvoll aussehende Gesicht meiner besten Freundin Jenny.
"Kate? Du hast mir schon wieder nicht zugehört, oder?", fragte sie und sah mich noch durchdringlicher an. Betreten schaute ich auf meinen Schoß. "Tut mir leid," murmelte ich. Schnell fügte ich hinzu: "Worum ging es?" Jenny seufzte auf und sah mich tadelnd an. "Wo hast du zur Zeit nur deinen Kopf? Ich meine es Ernst. Du scheinst so oft in Tagträumen versunken zu sein."
"Ich weiß auch nicht," antwortete ich ihr. Es war nicht die ganze Wahrheit. Zwar wusste ich auch nicht, wo die ganzen Tagträume auf einmal herkamen, doch ich wusste, dass ich schon seit längerem den Wunsch hatte Fußball zu spielen. Eine Barriere aus unerklärlicher Angst und Scham in meinem Kopf hielten mich aber, wie so oft schon, vom Ausleben dieses Traums ab. Diese Barriere verhinderte sogar, dass ich Jenny davon erzählen konnte. Ein resignierter Seufzer kam mir über die Lippen. Meine Sitznachbarin schien es aber wegen der allgemeinen Aufbruchsstimmung im Bus nicht mitbekommen zu haben. Oder sie schob es auf meine Verwirrtheit wegen der Tagträume.Viel Zeit, um die ganze Situation zu sehr zu zerdenken blieb mir nicht mehr. Zum Glück. Der Bus bog um die Ecke und die Schule kam in Sicht. Die Unruhe, die vor ein paar Minuten im Bus herrschte war nichts gegen das Gewusel, was nun ausbrach. Jeder schnappte sich seine Schultasche und die Kinder der jüngeren Klassen drängten sich schon im Bereich des Ausgangs. Jenny sah mich vielsagend an und verdrehte genervt die Augen. Ich musste grinsen. Jeden Morgen regt sie sich darüber auf. "Nur noch eine Woche, dann hast du sechs Woche Pause vom Schulbusfahren," sagte ich noch immer lächelnd. In der Tat mussten wir in diesem Schuljahr nur noch sechsmal Bus fahren. Jenny jedoch warf mir nur einen sehr mitleidigen Blick zu.
Nachdem unser Bus und auch nachfolgende Busse die Massen an Schülern vor dem Schulgebäude abgeladen hatten, verbrachten Jenny und ich die letzten Minuten vor Unterrichtsbeginn auf dem Schulhof. Schon jetzt war es recht warm und dieser Donnerstag sollte erst der Anfang einer längeren Hitzewelle über ganz Deutschland sein. Auf dem Schulhof machten wir Julius sehr schnell ausfindig und umarmten ihn zur Begrüßung. Jenny nutzte sofort die Möglichkeit einen engagierteren Gesprächspartner als mich zu haben und erzählte Julius, für meinen Geschmack zu ausführlich, wie ich ihr vorhin im Bus nicht zugehört hatte. Genervt setzte ich mich auf die Bank in unserer Nähe. Julius besorgte Blicke, mit denen er mich musterte, entgingen mir natürlich nicht. Das Vorklingeln, was uns signalisierte in die Klassen zu gehen, rettete mich davor wie ein verletztes Tier betrachtet zu werden. Ich hatte dieses Verhalten von meinem Umfeld so langsam satt.
Die Schulstunden vergingen heute sehr schnell und bestanden zum Großteil aus dem Anschauen von Filmen, Spielen von Spielen oder dem vereinzelten Bearbeiten von Arbeitsblättern. Was sollen die Lehrer auch sonst am vorletzten wirklichen Schultag in einer neunten Klasse machen?
Nach der Schule setzten wir uns noch zu dritt für eine Weile in die kühle Aula der Schule. Keiner von uns hatte bei den Außentemperaturen wirklich Lust das Schulgebäude zu verlassen. Julius eilte, sobald wir den Raum betraten zu dem Flügel, der vor der kleinen Bühne stand. Seine Sachen ließ er achtlos auf den Boden fallen, setzte sich an das Klavier und begann ihm eine liebliche Melodie zu entlocken. Jenny seufzte in einer Mischung aus genervt sein und Belustigung auf, dann setzte sie sich auf einen der viele Stühle im vorderen Teil des Raums. Bevor ich mich zu ihr setzte, lief ich zu dem Piano und sammelte Julius Sachen auf. Ich lächelte ihm zu und er nickte mir dankend zu. Leicht errötend beeilte ich mich zu Jenny zu gelangen. Sie sah mich etwas irritiert an, doch kommentierte es nicht weiter. Stattdessen zog sie ihr Handy hervor und konzentrierte sich darauf. Julius spielte sein gesamtes Repertoire an Liedern auf dem Klavier. Wie ich diese Momente genoss, wenn er spielte und die Zeit stillzustehen schien. Irgendwann setzte er sich zu uns und wir redeten über die letzte Schulwoche und in welchen Projekten wir sein würden. An unserer Schule war die letzte Woche vor den Sommerferien nämlich immer Projektwoche. Julius hatte sich für die Band entschieden, die den Chor, in dem Jenny und ich sein würden, begleiten werden. "Also stehen die Chancen, dass wir uns nächste Woche öfter sehen ja sehr gut," Meinte Julius ziemlich in Gedanken verloren. Ich nickte nur, doch Jenny schien sich stark zu beherrschen, um keinen schnippischen Kommentar abzugeben.
Anderthalb Stunden später als die Schule eigentlich für uns beendet war, verließen wir das Gebäude. Die Hitze schlug uns wie ein heißer Föhn ins Gesicht. Ich stöhnte auf. Wie ich diese sengende Hitze doch hasste. "Sagt mal...", fing Julius an laut zu überlegen, "Habt ihr am Samstag schon etwas vor?" Jenny und auch ich schüttelten den Kopf, also fuhr Julius fort: "Was haltet ihr davon ins Freibad zu gehen?" "Klingt super!", stimmten Jenny und ich wie aus einem Mund dem Vorschlag zu. Er überlegte kurz und fragte dann: "Wie wäre es mit elf Uhr Treff im Freibad?" "Passt bei mir," erwiderte ich knapp. Jenny nickte nur zustimmend. Mit diesen freudigen Aussichten verabschiedeten wir zwei Mädchen uns von Julius.
Zwanzig Minuten später sind Jenny und ich an unserer Haltestelle ausgestiegen. Nach unserer Verabschiedung lief ich nach Hause. Meine fröhliche Stimmung verdunkelte sich urplötzlich, als ich durch die Haustür trat.
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Ein Sommer voller Überraschungen | DWK
FanfictionKate träumte schon immer vom Fußballspielen. Ihre Schüchternheit und kaum vorhandenes Selbstbewusstsein standen ihr aber immer im Weg, ihren Traum tatsächlich zu leben. In diesem Sommer jedoch schien ihr Leben eine Kehrtwende der feinsten Art zu vol...