Kapitel 4.0

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Kaum trete ich durch das Portal nach Favan, da hält mir Tir Kleidung unter die Nase. Ich breite sie auf der Wiese aus. Ein Thermounterhemd, ein T-Shirt, ein Wollpullover, eine Weste, Handschuhe, ein Schal, eine Mütze und eine pelzbesetzte Jacke. Thermosocken, Leggins, eine dicke Hose und kniehohe Schneestiefel. Er selbst steckt schon in der Montur.

„Ein Eisplanet. Welcher? Warum?" Ein Tropfen landet auf meiner Nasenspitze, lässt mich zum bewölkten Himmel hinaufschielen.

Tirs Miene kann man mit viel gutem Willen auch noch als bewölkt bezeichnen, seine Stirnfalten stellen einen neuen Rekord auf. „Wonta. Etwas Großes ist durchgekommen und richtet enormen Schaden an. Die dort lebenden Menschen sind nicht weit genug entwickelt, um dagegen anzukommen." Er leckt sich über die Unterlippe.

Der Versuch, mir meine Begeisterung nicht anmerken zu lassen, ist zum Scheitern verurteilt. „Also das klingt ..." Das klingt nach einem Auftrag ganz nach meinem Geschmack. Mit einem Räuspern überbrücke ich mein Zögern und schraube meine Stimme zurück in ihre normale Tonlage. „Ich meine ... Das klingt nach einem wichtigen Auftrag. Weißt du, was das heißt? Wir können uns endlich beweisen!" Ups. Da war mir die Selbstbeherrschung auch schon wieder entwischt. „Ich meine du. Du kannst dich beweisen."

„Ja. Sie wollen mich wohl langsam auf die Probe stellen ... Wirklich ... großartig." Er ist ein genauso schlechter Schauspieler wie ich.

Aber etwas verwundert mich doch: Keine Standpauke, dass das kein Spiel ist und ich mich zusammenreißen soll? Vielleicht ist er besorgt. Besorgter als sonst. „In letzter Zeit ist mehr los", meine ich also, um ihn abzulenken. „Werdet ihr so langsam nachlässig oder seid ihr unterbesetzt oder was?"

Den müden Blick, den er mir zuwirft, kann ich nicht ganz einordnen. „Etwas stört das Gleichgewicht zwischen den Welten und das macht die Portale durchlässiger. Was das Ungleichgewicht verstärkt. Aber kein Grund zur Sorge, unsere fähigsten Wächter gehen dem nach."

„Vielleicht können wir auch helfen. Vielleicht –"

„Wir haben einen Auftrag zu erfüllen. Danach können wir ja noch Detektiv spielen, wenn es dich glücklich macht."

„Jaja." Ich verdrehe die Augen und beginne, mich zu entkleiden. Das lässt ihn auf dem Absatz herumwirbeln. Trotzdem kann ich zumindest sehen, wie seine spitzen Ohren einen blauen Ton annehmen. Offensichtlich habe ich ihn endlich auf andere Gedanken gebracht. „Du bist so prüde, Tir."

„Ich besitze Anstand", entgegnet er.

„Du besitzt noch deine Jungfräulichkeit, das ist das Problem." Lachend ziehe ich die Leggins hoch. „Jetzt warte doch, lauf nicht weg! Es war doch nur ein ..." Ich seufze und beeile mich, in die Sachen zu schlüpfen.

Probeweise jogge ich ein paar Meter.
Es stört mich, wie sehr die Kleidung meine Bewegungsfreiheit einschränkt. Vor der Kälte kann sie mich schützen, aber auch vor dem, was auch immer uns da erwartet? Mein Blick streift über das Equipment an meiner Höhler-Hose – Messer, Lampe, Seil, Feuerzeug, Kompass. Nur Letzteres wandert in mein Bündel.

Ich schließe zu Tir auf, der schon vor dem im Boden eingelassenen Spiegel auf mich wartet. „Gibt es keine weiteren Informationen?"

Erneut zögert er. „Es ist groß, hat Schuppen, Federn, scharfe Zähne und kann Feuer spucken. Und es kommt wahrscheinlich von Jucroh."

„Drachenwesen ..." Ich kann Dromaeosauridae innerhalb einer Minute fesseln – inklusive der Utahraptoren, die immerhin sieben Meter lang werden können. Aber ein Drachenwesen ist dann doch eine andere Gewichtsklasse. „Wie sieht der Plan aus?"

Tir zieht die Augenbrauen nach oben. „Was denn, willst du nicht einfach drauf losstürmen wie sonst auch?"

„Ich bin nicht Lebensmüde, Eidechse."

Des Weltenwandlers SchicksalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt